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VG Freiburg, Beschluss vom 26.08.2015

Az.: 1 K 95/15

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Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf _ _ _ € festgesetzt.

 

Gründe:

Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 29.10.2014 gegen die für sofort vollziehbar erklärte Verfügung des Landratsamts S.- B.-Kreis vom 17.10.2014, mit der der Antragstellerin die Durchführung des Eisenbahnbetriebs (Personenbeförderungsfahrten sowie Zugfahrten zu Zwecken der Streckenunterhaltung) in den Tunneln auf der Museumsbahnstrecke der Sa.-bahn zwischen dem „Bu.-tunnel“ (Nordportal) und dem Kehrtunnel „I. W.“ (Westportal) jeweils für den Zeitraum vom 1. November eines Jahres bis zum 31. März des Folgejahres untersagt wird, wiederherzustellen, ist nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 5 VwGO zulässig, aber unbegründet.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin hat das Landratsamt die sofortige Vollziehung in einer dem § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise begründet. Die Behörde hat insoweit darauf hingewiesen, dass es im öffentlichen Interesse dringend geboten sei, zum Schutz der in den Tunneln überwinternden Fledermäuse erhebliche Störungen durch zusätzlichen Fahrbetrieb im Winter, bis hin zu Tötungen und Verlust dieser Lebensstätten, während eines anhängigen Widerspruchs- oder Klageverfahrens zu verhindern. Dem formellen Erfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist bereits genügt, wenn die Anordnung des Sofortvollzugs – wie hier – einzelfallbezogen begründet wird, ohne dass in diesem Zusammenhang zu prüfen ist, ob die von der Behörde gewählte Begründung inhaltlich zutrifft.

Die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung ergibt im vorliegenden Fall, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung der Untersagungsverfügung vom 17.10.2014 das gegenläufige Interesse der Antragstellerin, den Eisenbahnbetrieb jeweils für den Zeitraum vom 01.11. eines Jahres bis zum 31.03. des Folgejahres vorläufig durchführen zu können, überwiegt. Dabei fällt zunächst ins Gewicht, dass nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage der Widerspruch der Antragstellerin voraussichtlich erfolglos bleiben wird.

Die von der Antragstellerin bezweifelte sachliche Zuständigkeit des Landratsamts S.- B.-Kreis ergibt sich aus ihrer Eigenschaft als untere Naturschutzbehörde gemäß §§ 3 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG, 10 Abs. 1, 72 Abs. 1, 60 Abs. 1 Nr. 3 NatSchG, 15 Abs. 1 Nr. 1 LVG. Diese Zuständigkeit wird nicht durch eine speziellere fachgesetzliche Zuständigkeit einer anderen Behörde verdrängt. Insbesondere lässt sich aus dem Eisenbahnrecht keine Zuständigkeit des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg für das Einschreiten gegen ein aus Behördensicht naturschutzwidriges Verhalten der Antragstellerin ableiten.

Allerdings ist gemäß § 2 Nr. 1 der Eisenbahnzuständigkeitsverordnung vom 11.09.1995 (GBl. 1995, 714) i.V.m. § 5 Abs. 3 Satz 1 AEG a.F. (jetzt: § 5 Abs. 1a Nr. 2a, Abs, 2 Satz 1 AEG) das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur die für die Eisenbahnaufsicht gegenüber der Antragstellerin zuständige Landesbehörde. Nach § 5 Abs. 1 AEG wird im Wege der Eisenbahnaufsicht die Beachtung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes und der darauf beruhenden Rechtsverordnungen (Nr. 1) sowie des Rechts der Europäischen Gemeinschaften oder der Europäischen Union und von zwischenstaatlichen Vereinbarungen (Nr. 2 und 3), soweit sie Gegenstände des Allgemeinen Eisenbahngesetzes bzw. der Verordnung (EG) über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr betreffen, überwacht. Entsprechend haben die Eisenbahnaufsichtsbehörden nach § 5a Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 AEG die Aufgabe, die Einhaltung der in § 5 Abs. 1 AEG genannten Vorschriften zu überwachen und dabei insbesondere Gefahren abzuwehren, die beim Betrieb der Eisenbahn entstehen oder von den Betriebsanlagen ausgehen. In Wahrnehmung dieser Aufgaben können sie nach § 5a Abs. 2 AEG gegenüber denjenigen, die durch die in § 5 Abs. 1 AEG genannten Vorschriften verpflichtet werden, Maßnahmen treffen, die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und zur Verhütung künftiger Verstöße gegen die in § 5 Abs. 1 AEG genannten Vorschriften erforderlich sind. Schon im Hinblick auf den klaren Wortlaut der Bestimmungen, der die Zuständigkeit der Eisenbahnaufsicht auf die Überwachung spezifisch eisenbahnrechtlicher Normen beschränkt, lässt sich daraus eine Zuständigkeit des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg, die Antragstellerin durch Ordnungsverfügung zur Einhaltung des Naturschutzrechts anzuhalten, nicht ableiten (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 08.06.2005 - 8 A 262/05 -, juris). Nichts anderes gilt für § 2 Abs. 4 Nr. 2 der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung (EBO), wonach die zuständige Landesbehörde für die nichtbundeseigenen Eisenbahnen Anweisungen zur ordnungsgemäßen Erstellung und Unterhaltung der Bahnanlagen und Fahrzeuge sowie zur Durchführung des sicheren Betriebs erlassen kann (vgl. auch hierzu: OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. vom 08.06.2005, a.a.O.). In Übereinstimmung mit dieser Rechtslage hat das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg im vorliegenden Fall mit Schreiben vom 28.11.2013 an das Regierungspräsidium Freiburg seine Zuständigkeit zur Überwachung der Einhaltung originär naturschutzrechtlicher Vorschriften verneint.

Ermächtigungsgrundlage für die angefochtene Untersagungsverfügung ist § 3 Abs. 2 BNatSchG. Danach überwachen die für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden die Einhaltung der Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften und treffen nach pflichtgemäßem Ermessen die im Einzelfall erforderlichen Maßnahmen, um deren Einhaltung sicherzustellen. Der von der Antragstellerin geplante Winterbetrieb der Sa.-bahn mit Personenbeförderungsfahrten an den Adventswochenenden sowie betriebsbedingten Fahrten in den Monaten November bis März verstößt – wie das Landratsamt in der angefochtenen Verfügung zutreffend dargelegt hat – gegen § 34 Abs. 1 und Abs. 2 BNatSchG. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG sind Projekte vor ihrer Zulassung oder Durchführung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Natura 2000-Gebiets zu überprüfen, wenn sie einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen geeignet sind, das Gebiet erheblich zu beeinträchtigen und nicht unmittelbar der Verwaltung des Gebiets dienen. Der Projektträger hat gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 BNatSchG die zur Prüfung der Verträglichkeit erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Ergibt die Prüfung der Verträglichkeit, dass das Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann, ist es unzulässig (§ 34 Abs. 2 BNatSchG). Diese Bestimmungen stellen die Umsetzung von Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21.05.1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, im Folgenden: FFH-Richtlinie) in nationales Recht DAR. Nach Art. 4 FFH-Richtlinie weisen die Mitgliedstaaten Gebiete, die sie zuvor der Kommission benannt haben und die von dieser im Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten nach einem in der Richtlinie im Einzelnen geregelten Verfahren als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung festgelegt worden sind, als besondere Schutzgebiete aus. Diese Gebiete sind Teil des zusammenhängenden europäischen ökologischen Netzes „Natura 2000“. Ein solches FFH-Gebiet ist das Gebiet „Bl. Pf. und Mi. Wu.“, in dem sich alle 6 Tunnelanlagen der Sa.-Bahn ganz oder teilweise befinden. Bei der Meldung dieses Gebiets als Schutzgebiet wurden 3 Fledermausarten ausdrücklich genannt, nämlich die Mopsfledermaus, die Bechsteinfledermaus und das Große Mausohr (aufgeführt in Anhang II der FFH-Richtlinie als Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse, für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen). Die Festlegung dieser Region als FFH-Gebiet erfolgte daher auch aufgrund seiner besonderen Bedeutung als Lebensraum für diese Fledermausarten. Deshalb ist die Sicherung dieses Lebensraums als Erhaltungsziel des FFH-Gebiets „Bl. Pf. und Mi. Wu. “ anzusehen.

Sowohl bei den geplanten Personenbeförderungsfahrten im Winter als auch bei den Fahrten zwischen November und März zur Instandhaltung der Strecke handelt es sich um Projekte i.S.v. § 34 Abs. 1 BNatSchG. Der Begriff des Projekts ist weder in der FFH-Richtlinie noch im Bundesnaturschutzgesetz definiert. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 14.01.2010 - C - 226/08 – Stadt Papenburg, juris m.w.N.) kann insoweit aber auf die Bestimmung dieses Begriffs in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27.06.1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten zurückgegriffen werden. Als Projekt ist danach die Errichtung von baulichen oder sonstigen Anlagen sowie sonstige Eingriffe in Natur und Landschaft einschließlich derjenigen zum Abbau von Bodenschätzen zu verstehen. Zu den sonstigen Eingriffen gehören dabei sämtliche Aktivitäten, die eine Gefährdung des jeweils geschützten Gebietes mit sich bringen können (vgl. Gellermann in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht Band II, Stand: 15.01.2015, § 34 BNatSchG, Rdnr. 7 m.w.N.). Dies ist hier der Fall, weil die Tunnel der Sa.-Bahn von Fledermäusen verschiedener Arten, darunter insbesondere der Mopsfledermaus, als Winterquartier genutzt werden, so dass ein Winterbetrieb der Sa.-Bahn die Tiere beim Überwintern stören kann.

Dabei teilt die Kammer nach derzeitiger Einschätzung die Auffassung des Landratsamts, dass diese Projekte der Antragstellerin nicht nur geeignet sind, das FFH-Gebiet erheblich zu beeinträchtigen, was nach § 34 Abs. 1 BNatSchG eine Verträglichkeitsprüfung erforderlich macht, sondern dass diese Prüfung – auch wenn die Antragstellerin als Projektträger ihrer Verpflichtung nach § 34 Abs. 1 Satz 3 BNatSchG zur Vorlage der zur Prüfung der Verträglichkeit erforderlichen Unterlagen nicht nachgekommen ist – aller Voraussicht nach zu dem Ergebnis führt, dass diese Projekte nach § 34 Abs. 2 BNatSchG unzulässig sind, weil sie tatsächlich zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteilen führen können.

Die Tunnel der Sa.-Bahn werden nach den vorliegenden Erkenntnissen in unterschiedlichem Umfang von der Mopsfledermaus und anderen Fledermausarten als Winterquartier genutzt. lm Vordergrund steht dabei der W. Kehrtunnel. Nach einer vom Freiburger Institut für angewandte Tierökologie GmBH im Auftrag des Regierungspräsidiums Freiburg in der Zeit vom 25.02.2014 bis 31.03.2015 durchgeführten Fledermauserfassung in den Tunneln der Sa.-Bahn (Gutachten vom 12.05.2015) wurde dort der höchste Bestand an Mopsfledermäusen am 27.01.2015 mit 357 Tieren gezählt. Nach den Ausführungen im Gutachten handelt es sich dabei um das zweitgrößte bekannte Winterquartier der Mopsfledermaus in Deutschland und das größte in BadenWürttemberg. Diese Beurteilung stimmt überein mit den Angaben, die bereits der Diplom-Biologe und Fledermausexperte der höheren Naturschutzbehörde beim Regierungspräsidium Freiburg Dr. Kretzschmar in seiner im vorliegenden Fall abgegebenen fachlichen Einschätzung zur Bedeutung der Tunnels der Sa.-Bahn zwischen Bl. und We. für Fledermäuse vom 13.12.2013 sowie in dem in einem früheren Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz (1 K 2610/13) durchgeführten Erörterungstermin vom 08.01.2014 gemacht hat. Im W. Kehrtunnel wurden darüber hinaus einzelne Exemplare anderer Fledermausarten beobachtet. Deutlich weniger winterschlafende Fledermäuse wurden bei der Erfassung im St. Kehrtunnel angetroffen. Auch hier wurde die höchste Anzahl winterschlafender Tiere am 27.01.2015 mit 21 Exemplaren der Mopsfledermaus und 8 Exemplaren der Mausohr sowie einzelnen Exemplaren anderer Fledermausarten festgestellt. Erwähnenswert ist hier, dass im St. Kehrtunnel bei mehreren Kontrollen auch ein Exemplar der Großen Hufeisennase gefunden wurde, die in dieser Gegend seit Jahrzehnten verschollen war. Im dritten bei der Untersuchung erfassten Tunnel, dem Gr. Tunnel, wurden lediglich Einzeltiere der Mopsfledermaus und des Braunen Langohrs festgestellt. In seiner fachlichen Einschätzung vom 13.12.2013 hat Dr. Kretzschmar außerdem darauf hingewiesen, dass bei Kontrollen der AG Fledermausschutz in den Jahren 2003 und 2004 auch im Tunnel am A. Weg Einzeltiere verschiedener Fledermausarten gefunden wurden. Bei dieser Sachlage erscheint der Kammer die von Dr. Kretzschmar gezogene Schlussfolgerung, es müsse davon ausgegangen werden, dass auch die beiden weiteren Tunnels der Strecke, zu denen keine Kontrollen vorlägen, als Winterquartier von Fledermäusen genutzt würden, in vollem Umfang nachvollziehbar.

Die Kammer geht aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse auch davon, dass Zugfahrten durch die Tunnels während der Winterschlafzeit der Fledermäuse für diese eine erhebliche Störung darstellen. So legt das Gutachten vom 12.05.2015 DAR, es sei davon auszugehen, dass im Winterschlaf gestörte Fledermäuse die überlebensnotwendigen Fettreserven schneller abbauten, weil sie den Stoffwechsel außerplanmäßig erhöhen müssten. Insbesondere, wenn die Tiere aufgrund von Störungen aufflögen oder gar den Tunnel verlassen müssten, müsse mit einer deutlich erhöhten Sterblichkeit gerechnet werden. Neben dieser indirekten Erhöhung der Sterblichkeit könne es durchaus auch zur direkten Tötung oder Verletzung kommen, wenn der Tunnel im Winter mit Zügen durchfahren werde (Hitzewirkungen, Abgase, Kollisionen, Tötung und Verletzung von wegen der Störung abfallenden Tieren). Ähnlich hatte sich auch bereits Dr. Kretzschmar in seiner fachlichen Einschätzung vom 13.12.2013 geäußert. Dabei hat er auch erläutert, dass zwar sehr deutliche Unterschiede zwischen einem Dampfzug mit vielen Wagen – wie er für die von der Antragstellerin beabsichtigten Personenbeförderungsfahrten vorgesehen ist – und einem einteiligen dieselbetriebenen Kontrollfahrzeug – wie es etwa für Instandhaltungsarbeiten ausreichend sein mag – bestünden. Es sei aber davon auszugehen, dass jede Art von Bahnverkehr durch die Tunnels während der Winterschlafzeit der Fledermäuse eine erhebliche Störung darstelle. Die Kammer hält diese auf der Grundlage fachlicher Expertise gemachte Aussage für überzeugend.

Der Einwand der Antragstellerin, diese Annahme werde dadurch widerlegt, dass sich der Bestand an Tieren in der Vergangenheit nicht negativ entwickelt habe, obwohl schon bisher in den Wintermonaten Instandhaltungsfahrten durchgeführt worden seien, geht fehl. Zum einen sind in den früheren Jahren die Bestände – etwa im W. Kehrtunnel – nur sporadisch erhoben worden. Die Anzahl der dabei jeweils vorgefundenen Fledermäuse war schwankend, was auch auf die Witterung des jeweiligen Jahres und andere Einflussfaktoren zurückzuführen sein kann. Mangels Kenntnis der näheren Umstände der damaligen Kontrollen kann auch nicht als sicher vorausgesetzt werden, dass stets alle Fledermäuse erfasst worden sind. Belastbare Zahlen liegen erstmals mit dem Gutachten vom 12.05.2015 vor, für das Erhebungen über einen längeren Zeitraum vorgenommen worden sind. Zum anderen könnte aus dem Umstand, dass sich die Fledermauspopulation in der Vergangenheit möglicherweise (noch) nicht verringert hat, nicht darauf geschlossen werden, dass die mit dem Bahnbetrieb für Instandhaltungsfahrten verbundenen Störungen der Fledermäuse in ihrer Winterruhe langfristig keine negativen Auswirkungen im Hinblick auf die Populationsgröße und damit keine erheblichen Beeinträchtigungen des FFH-Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteilen hätten. Die genannten fachkundigen Äußerungen zu dieser Frage, die eine derartige Entwicklung nahelegen, sind von der Antragstellerin nicht durch eine in gleicher Weise fachlich qualifizierte Gegenargumentation entkräftet worden.

Sind die von der Antragstellerin geplanten Projekte somit nach § 34 Abs. 2 BNatSchG unzulässig, könnten sie gemäß § 34 Abs. 3 BNatSchG nur durchgeführt werden, soweit es aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art, notwendig ist und zumutbare Alternativen, den mit den Projekten verfolgten Zweck an anderer Stelle ohne oder mit geringeren Beeinträchtigungen zu erreichen, nicht gegeben sind. Derartige zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses liegen hier ersichtlich nicht vor, da der geplante Winterbetrieb der Sa.-bahn nur dem privaten Gewinnerzielungsinteresse der Antragstellerin und dem allgemeinen touristischen Interesse an einer Ausweitung der Betriebszeiten der Museumsbahn dienen soll und es sich nicht um eine wichtige Verkehrsverbindung im eigentlichen Sinne handelt.

Da nach alledem ein Verstoß gegen § 34 Abs. 1 und Abs. 2 BNatSchG festzustellen ist, der die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Einschreiten der unteren Naturschutzbehörde nach § 3 Abs. 2 BNatSchG erfüllt, kann hier zunächst offen bleiben, ob daneben auch Verstöße gegen die weiteren vom Landratsamt S.-B.-Kreis in der angefochtenen Verfügung vom 17.10.2015 genannten naturschutzrechtlichen Bestimmungen (§§ 44 Abs. 1 Nr. 1 - 3, 33 Abs. 1 Satz 1, 23 Abs. 2 BNatSchG) vorliegen.

§ 4 BNatSchG steht dem Erlass der angefochtenen Verfügung vom 17.10.2014 nicht entgegen. Nach § 4 Satz 1 Nr. 3 BNatSchG ist bei Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege auf Flächen, die ausschließlich oder überwiegende Zwecken des öffentlichen Verkehrs als öffentliche Verkehrswege dienen oder in einem verbindlichen Plan für die genannten Zwecke ausgewiesen sind, die bestimmungsgemäße Nutzung zu gewährleisten. Die Ziele und Grundsätze des Naturschutzes und der Landschaftspflege sind in diesen Fällen lediglich zu berücksichtigen (§ 4 Satz 2 BNatSchG). Diese sogenannte Funktionssicherungsklausel kann aber schon aus Gründen des dem Unionsrecht eigenen Anwendungsvorrangs nicht bemüht werden, um von der Erfüllung der unionsrechtlich begründeten Pflichten zum Habitat- und Artenschutz abzusehen (vgl. Gellermann in: Landmann/Rohmer, a.a.O., § 4 BNatSchG, Rdnr. 17 m.w.N.). Nachdem § 34 Abs. 1 und Abs. 2 BNatSchG – wie dargelegt – die Umsetzung von Art. 6 Abs. 3 der FFH-Richtlinie in nationales Recht darstellen, kommt § 4 BNatSchG im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung.

Die Untersagungsverfügung scheitert auch nicht an dem – der Kammer nicht vorliegenden – Planstellungsbeschluss des Regierungspräsidiums Freiburg vom 10.01.1978, mit dem auf Antrag der Stadt Bl. die erneute Inbetriebnahme des Personenverkehrs auf dem zuvor stillgelegten Streckenabschnitt zwischen den Bahnhöfen We. und Zo.-Bl. als Museumsbahn genehmigt worden ist. Die Kammer hat allerdings Zweifel an der Argumentation des Landratsamts, wonach sich die Legalisierungswirkung dieses Planfeststellungsbeschlusses von vornherein nicht auf den Winterbetrieb der Sa.-Bahn beziehen soll. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass eine zeitliche Beschränkung des Bahnbetriebs im Planfeststellungsbeschluss selbst nicht vorgesehen ist. Soweit sich das Landratsamt zur Bestimmung des Genehmigungsinhalts auf die dem Antrag beigefügte Vorhabenbeschreibung beziehen will, nach der der Museumsbahnbetrieb in den Monaten Mai bis Mitte Oktober des jeweiligen Jahres geplant sei, ist dem entgegenzuhalten, dass im Erläuterungsbericht der Stadt Bl. vom 02.02.1977 auch davon die Rede ist, dass außerdem Sonderfahrten nach Bedarf vorgesehen seien. Von daher ist auch den Antragsunterlagen ein Ausschluss des Winterbetriebs und damit eine entsprechende Begrenzung des Genehmigungsinhalts nach Auffassung der Kammer nicht eindeutig zu entnehmen. Jedoch hindert nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 14.01.2010 Stadt Papenburg, a.a.O.) im Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 3 der FFH-Richtlinie der Umstand, dass eine Tätigkeit nach nationalem Recht endgültig genehmigt wurde, als solcher nicht daran, diese Tätigkeit bei jedem Eingriff als gesondertes Projekt i.S. der Richtlinie anzusehen. Denn andernfalls wären derartige Vorhaben einer Prüfung auf Verträglichkeit mit diesem Gebiet von vornherein auf Dauer entzogen und die Erreichung des Ziels der Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen i. S. der Richtlinie könnte nicht vollständig gewährleistet werden. Gründe der Rechtssicherheit oder des Vertrauensschutzes stehen dem nach der genannten Rechtsprechung nicht entgegen. Bei wiederkehrenden Unterhaltungsmaßnahmen erwägt der EuGH, diese könnten nach ihrer Art oder nach den Umständen ihrer Ausführung als einheitliche Maßnahme betrachtet und daher als ein einziges Projekt i. S. von Art. 6 Abs. 3 der FFH-Richtlinie angesehen werden. In diesem Fall unterläge ein solches Projekt, wenn es vor Ablauf der Umsetzungsfrist der FFH-Richtlinie genehmigt worden sei, nicht den Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 über eine Prüfung auf seine Auswirkungen auf das betreffende Gebiet. Da die hier in Rede stehenden Unterhaltungsmaßnahmen – wie sie sich aus der Darstellung der Antragstellerin ergeben – nach Art und Umfang ganz unterschiedlich sein können, hält die Kammer schon die Voraussetzung dafür, diese als ein einziges Projekt i.S. von Art. 6 Abs. 3 der FFH-Richtlinie bzw. § 34 Abs. 1 BNatSchG anzusehen, für nicht gegeben. Unabhängig davon fiele nach der zitierten Entscheidung des EuGH ein solches Projekt in den Bereich des Art. 6 Abs. 2 der FFH-Richtlinie (umgesetzt in § 33 BNatSchG), wonach alle Veränderungen und Störungen, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung eines Natura 2000- Gebietes in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteile führen können, unzulässig sind. Da die Voraussetzung dieses allgemeinen Veränderungs- und Störungsverbots nach den obigen Ausführungen gleichfalls vorliegen, hindert der Planfeststellungsbeschluss vom 10.01.1978 jedenfalls nicht das Einschreiten des Antragsgegners auch hinsichtlich der beabsichtigten Instandhaltungsmaßnahmen.

Soweit die Antragstellerin auf ihre Betreiberpflichten als Eisenbahninfrastrukturunternehmen (§§ 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Satz 2, 14 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 AEG) verweist, geht dies fehl. Wie das Landratsamt in der angefochtenen Verfügung zutreffend ausgeführt hat, bestehen diese Pflichten nur im Rahmen der allgemeinen, d.h. für alle geltenden, Gesetze wie hier der einschlägigen Bestimmungen des Bundesnaturschutzgesetzes.

Die vom Landratsamt angestellten Ermessenserwägungen sind rechtlich nicht zu beanstanden. Zu den von der Antragstellerin als mildere Mittel angebotenen Maßnahmen (z.B. Reduzierung der Fahrgeschwindigkeit bei Durchfahrt durch die Tunnel, Einsatz einer Diesellok für die Tunneldurchfahrten, Anbringung von Abschirmblechen oder Schließen der Regler bzw. Unterlassen weiterer Feuerung vor den Tunnelbereichen, um den Ausstoß von Dampf und Ruß auf ein Minimum zu reduzieren) hat das Landratsamt sich dahingehend eingelassen, es sei derzeit fachlich nicht gesichert, dass diese Maßnahmen tatsächlich den erwünschten Zweck erreichten. Vielmehr sei davon auszugehen, dass sie nicht geeignet seien, da Fledermäuse im Winterschlaf empfindlich auf plötzliche Störungen jeder Art reagierten. Diese Störungen gingen von allen Zugfahrten aus, unabhängig in welcher Betriebsart sie erfolgten. Die Kammer ist mit dem Landratsamt der Auffassung, dass die von der Antragstellerin angebotenen Maßnahmen allenfalls zu einer Verminderung der Störungen, nicht aber zu dem rechtlich geforderten vollständigen Absehen von Störungen für die Fledermäuse führen würden. lm Übrigen erscheinen dem Gericht die Vorschläge teilweise – wie etwa der Einsatz einer Diesellok für die Tunneldurchfahrten – eher unpraktikabel oder aber – wie das Schließen der Regler, das Unterlassen der Feuerung oder die Herabsetzung der Geschwindigkeit durch das Zugpersonal – als für die Behörde kaum kontrollierbar.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin hat das Landratsamt deren Belange bei der Ermessensabwägung durchaus gesehen und mit dem ihnen gebührenden Gewicht in die Abwägung eingestellt. Dabei hat das Landratsamt zutreffend als maßgeblich angesehen, dass es sich bei der Sa.-Bahn um eine Museumsbahn und damit nicht um eine der Grundversorgung bzw. der Daseinsvorsorge dienende Bahnlinie handelt. Zugleich hat es berücksichtigt, dass sich die Untersagung nur auf den Zeitraum vom 01.11. eines Jahres bis zum 31.03. des Folgejahres beziehen soll, für einen Zeitraum mithin, in dem jedenfalls bisher tatsächlich keine Personenbeförderungsfahrten durchgeführt worden sind. Das Interesse der Antragstellerin wurde daher zu Recht mit der Chance umschrieben, durch eine Ausweitung der Betriebszeiten zusätzliche betriebliche Einnahmen zu erzielen. Wenn die Behörde dieses Interesse angesichts der

dargelegten überregionalen Bedeutung des im W. Kehrtunnel vorhandenen Winterquartiers der Mopsfledermäuse als gegenüber naturschutzrechtlichen Belangen nachrangig angesehen hat, begegnet dies keinen rechtlichen Bedenken. Für betrieblich bedingte Fahrten, die zwingend im Winter durchgeführt werden müssten, hat das Landratsamt auf die Möglichkeit einer naturschutzrechtlichen Befreiung nach § 67 BNatSchG verwiesen. Soweit die Antragstellerin in diesem Zusammenhang vorträgt, die Verlagerung von Instandhaltungsarbeiten in die Sommersaison würde dazu führen, dass der Betrieb der Sa.-Bahn auch im Sommer eingeschränkt werden müsste, hält das Gericht dies nicht für überzeugend. Wie sich aus dem allgemeinen zugänglichen Fahrplan der Sa.-Bahn ergibt, liegen in der Zeit von April bis Oktober zwischen den Tagen, an denen Fahnen stattfinden, immer wieder freie Tage, an denen Instandhaltungsarbeiten durchgeführt werden könnten. Schließlich hat das Landratsamt in der angegriffenen Verfügung gesehen, dass die Schutzbereiche der Grundrechte der Antragstellerin aus Art. 12 und Art. 14 GG berührt sind, hat die Untersagung in dem in der Verfügung vom 17.10.2014 festgelegten Umfang aber als verhältnismäßige Regelung der Berufsausübung und Inhaltsbestimmung des Eigentums angesehen. Auch insoweit gibt die getroffene Entscheidung zu Beanstandungen keinen Anlass.

Nach alledem wird der Widerspruch der Antragstellerin aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben. Das besondere Vollzugsinteresse resultiert daraus, dass der Schutz des FFH-Gebiets in seiner für die Erhaltungsziele maßgeblichen Eigenschaft als Winterquartier für Fledermäuse nur unzureichend gewährleistet werden könnte, wenn die Antragstellerin für den Zeitraum des bis zum rechtskräftigen Abschluss möglicherweise mehrere Jahre dauernden Hauptsacheverfahrens den Winterbetrieb der Sa.- Bahn durchführen könnte. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.

Gericht VG Freiburg
Typ Beschluss
Datum 26.08.2015
Normen § 5 AEG, § 5a AEG, § 3 BNatSchG, § 4 BNatSchG, § 34 BNatSchG, Art. 6 der FFH-Richtlinie
Stichworte Überwinternde Fledermäuse, Fledermäuse in Tunneln, Fahrbetrieb im Winter, Projekte i.S.d. § 34 Abs. 1 BNatSchG, sachliche Zuständigkeit, erhebliche Störung, zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses, Funktionssicherungsklausel, Anwendungs

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