Urteil
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Voraussetzungen, unter denen die Klägerin die Eisenbahnstrecke … als Teststrecke für ein neuartiges Schienenfahrzeug nutzen darf. Die Klägerin ist Eigentümerin der knapp 7 km langen Eisenbahnstrecke von der Ausweichanschlussstelle … bis zum Streckenende in …. Unter dem 19. Dezember 2000 erteilte das beklagte Ministerium der Klägerin die Genehmigung zum Betrieb einer öffentlichen Eisenbahninfrastruktur gemäß § 6 Abs. 2 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) in Bezug auf diese Strecke. Die Genehmigung ist bis zum 31. Dezember 2015 befristet. Die Strecke ist derzeit nicht betriebssicher im Sinne der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO). Ein Eisenbahnbetrieb findet auf der Strecke derzeit nicht statt.
Unter dem 12. Dezember 2008 beantragte die Klägerin beim beklagten Ministerium die Erteilung einer Ausnahmebewilligung, um die Strecke von … nach … für Versuchs- und Testfahrten mit einem innovativen Schienenfahrzeug ("Schienentaxi") nutzen zu können. Mit Schreiben vom 26. Januar 2009 wies das beklagte Ministerium die Klägerin darauf hin, dass die Voraussetzungen für eine lnbetriebnahmegenehmigung der Strecke nicht erfüllt seien. Erst wenn die von der Landeseisenbahnverwaltung NRW benannten sicherheitsrelevanten Mängel an der Strecke beseitigt worden seien und seitens der Landeseisenbahnverwaltung ein positives Signal zur Zulassungsfähigkeit des Fahrzeugs erkennbar sei, könne darüber beraten werden, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Erprobung des Fahrzeugs auf der Strecke zugestimmt werden könne. Da das Fahrzeug in wesentlichen Punkten von den anerkannten Regeln der Technik abweiche, müsse für den Betrieb zumindest der Nachweis gleicher Sicherheit gegenüber dem Regelwerk geführt und von der Aufsichtsbehörde anerkannt werden.
Mit Schreiben vom 6. Februar 2009 wies die Klägerin darauf hin, dass die Durchführung von Testfahrten einen einwandfreien Zustand der Strecke erfordere und dass sich deshalb von selbst verstehe, dass sie vor der Aufnahme von Testfahrten die Strecke in einen entsprechenden Zustand versetzen werde. Das neu zu entwickelnde Fahrzeug sei noch nicht so weit, dass es als neues Fahrzeug einer Zulassungsüberprüfung für den Betrieb unterworfen werden könne. Beabsichtigt seien lediglich Testfahrten zur Erkennung, Erprobung und Verbesserung einzelner Komponenten auf einem Versuchsträger. Keinesfalls gehe es um Probefahrten zur Vorbereitung eines Regelbetriebes mit Personenbeförderung. Der Versuchsträger, ein umgebauter Mercedes-Kleinbus, habe als Straßenfahrzeug alle sicherheitsrelevanten Voraussetzungen erfüllt und entspreche damit eindeutig den "anerkannten Regeln der Technik". Er werde auch nicht im "gemischten Verkehr", das heißt zeitgleich mit Regelfahrzeugen, eingesetzt werden. Die Aufsichtsbehörde habe mit der Entwicklung und/oder Erprobung völlig neuer Fahrzeuge noch nichts zu tun. Werksseitige Versuche und Erprobungen von Komponenten berührten den öffentlichen Verkehr nicht. Testfahrten auf der Strecke könnten absolut sicher durchgeführt werden. Von der Strecke gehe keinerlei Gefährdung aus, weil sie über keine höhengleichen Kreuzungen verfüge.
Nach weiterem Schriftwechsel wies das beklagte Ministerium mit Schreiben vom 4. Januar 2010 die Klägerin darauf hin, dass die Erteilung einer Ausnahmebewilligung nicht in Betracht komme, da es kein gesetzliches Verbot gebe, von dem eine Ausnahmebewilligung erteilt werden könnte. Stattdessen sei eine sicherheitskonditionierte Ausnahmebewilligung von einem behördlichen Verbot sachgerecht. Das Ministerium gab der Klägerin erneut Gelegenheit, zu einer ihr im Entwurf bereits zuvor übersandten Untersagungsverfügung verbunden mit einer unter zahlreichen Bedingungen stehenden Ausnahmebewilligung Stellung zu nehmen.
Unter dem 12. Februar 2010 erließ das beklagte Ministerium aufgrund der §§ 4, 5, 5a AEG einen Bescheid, nach dem (Ziffer 1.) der Zugang zu der Eisenbahnstrecke … für Zwecke der Erprobung von innovativen Schienenfahrzeugen ("Schienentaxi") gewährt werden darf, wenn (1.) die Aufnahme des Betriebs der vorgenannten Strecke nach § 7f AEG genehmigt ist und (2.) eine Haftpflichtversicherung für den Betrieb der Eisenbahninfrastruktur abgeschlossen worden ist, die auch Schadensereignisse umfasst, die im Zusammenhang mit Fahrten mit innovativen Schienenfahrzeugen entstehen können. Unter Ziffer II. ist bestimmt, dass der Zugang zu der Strecke … für Fahrten zur Erprobung innovativer Schienenfahrzeuge zudem nur gewährt werden darf, wenn vor Beginn der Fahrten durch Testat eines anerkannten Sachverständigen nachgewiesen worden ist, dass das Fahrzeug (1.) die erforderliche statische und dynamische Festigkeit des Wagenkastens und des Fahrwerks, (2.) die erforderliche fahrtechnische Sicherheit, (3.) die erforderliche bremstechnische Sicherheit und (4.) die maximal zulässigen Fahrzeugabmessungen aufweist. Ziffer III. bestimmt, dass der Zugang zu der genannten Strecke für Fahrten zur Erprobung innovativer Schienenfahrzeuge darüber hinaus nur unter verschiedenen, im Einzelnen aufgeführten Voraussetzungen gewährt werden darf. Unter anderem ist unter Ziffer 1. u. a. geregelt, dass während der Probefahrten in dem Streckenabschnitt keine weiteren Schienenfahrzeuge verkehren dürfen. Ziffer 2. bestimmt, dass vor der Durchführung von Testfahrten die Teststrecke von … kommend ca. 1000 m vor der - noch nicht erneuerten - …brücke wirksam abzusperren ist. Ziffer 3. gibt der Klägerin auf, einen Versuchsleiter zu stellen, der mindestens die Qualifikation als Ingenieur / anerkannter Sachverständiger der Schienenfahrzeugtechnik aufweist. Ziffer 8. bestimmt, dass die Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h nicht überschritten werden darf. Ziffer IV. des Bescheides untersagt die Gewährung des Zugangs zur Strecke … mit innovativen Schienenfahrzeugen zu Zwecken ihres Betriebs. Gleiches gelte für Fahrten zwecks Erprobung dieser Fahrzeuge, wenn die unter Ziffer I. bis III. genannten Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Die Erlaubnis der Gewährung des Zugangs zur Strecke …, mit innovativen Schienenfahrzeugen zu ihrer Erprobung nach Maßgabe der Voraussetzungen von Ziffer II. bis III. wurde für den Zeitraum von zwei Jahren - beginnend mit dem Zeitpunkt der Genehmigung zur Aufnahme des Betriebs der Strecke nach § 7f AEG - und unter dem Vorbehalt des Widerrufs erteilt (Ziffer VII.). Zur Begründung wird ausgeführt: Bei dem "Schienentaxi" handele es sich um eine Bahn besonderer Bauart, die nicht dem Allgemeinen Eisenbahngesetz und damit auch nicht der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung unterfalle. Gleichwohl sei die Klägerin als genehmigtes Eisenbahninfrastrukturunternehmen gehalten, den gesamten Betrieb der Eisenbahninfrastruktur betriebssicher zu gestalten, auch wenn sie die Strecke anderen Zwecken als dem Eisenbahnverkehr zur Verfügung stelle. Das "Schienentaxi" sei eine neue Beförderungstechnologie, es weise schon infolge seiner noch nicht erwiesenen statischen und dynamischen Festigkeit, Entgleisungs- und Bremssicherheit ein besonderes Gefahrenpotential auf, das infolge des zur Zeit technisch unbefriedigenden Zustands der Strecke … und ihres durchgehenden Gefälles von 25 ‰ noch gesteigert werde. Die Gewährung des Zugangs zu Zwecken des regelmäßigen Betriebs mit solchen Fahrzeugen scheide deshalb aus. Gleiches gelte grundsätzlich für die vorgesehenen Probefahrten. Diese könnten unter den im Einzelnen genannten Voraussetzungen gleichwohl zugelassen werden.
Daraufhin hat die Klägerin am 12. März 2010 Klage erhoben, zu deren Begründung sie im Wesentlichen ausführt: Sie sei darauf angewiesen, Investoren für die Entwicklung des sogenannten Schienentaxis zu finden. Deshalb müsse es sich bei der Teststrecke um eine nicht stillgelegte und der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung unterfallende Strecke handeln. Nur dann könnten Investoren von der Zukunftsfähigkeit des Vorhabens überzeugt werden. Für den Testbetrieb genüge auch eine relativ ungepflegte Strecke, die nicht den herkömmlichen Sicherheitsbedingungen entspreche. Gerade auf einer solchen Strecke könne das Schienentaxi seine Qualitäten zeigen. Die Strecke … sei deshalb und wegen des vorhandenen Gefälles und des Fehlens höhengleicher Kreuzungen und wegen der vorhandenen Tunnel und Brücken für einen Testbetrieb besonders geeignet. Die Instandsetzung der Strecke sei vor der Freigabe für Test- und Erprobungsfahrten nicht erforderlich. Die hinreichende Sicherheit sei auch so gewährleistet. Die Absperrung der Strecke sei ohne weiteres möglich. Eine zusätzliche Haftpflichtversicherung sei unnötig, da keine besondere Gefährdung durch den Testbetrieb entstehe. Es finde sich auch keine Versicherung, die auf einer nicht stillgelegten Strecke den Betrieb mit einem neuartigen Schienenfahrzeug versichere. Die Festlegung einer Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h sei aus Gründen der Sicherheit unnötig. Bei einer solchen Höchstgeschwindigkeit könne kein wettbewerbsfähiger Betrieb erprobt werden. Der Sicherheitsabstand zur …brücke von 1000 m sei unnötig. Das niedrigere Gewicht des Testfahrzeugs ermögliche auch ein ungefährliches Passieren der …brücke. Jedenfalls solle die Versuchsstrecke so lang wie möglich sein. Die Allgemeinheit habe ein sehr großes Interesse an der Entwicklung des Schienentaxis gezeigt. Die unter Ziffer II. aufgestellten Anforderungen an das Fahrzeug seien bereits erfüllt, da das Fahrzeug für den Straßenverkehr bereits abgenommen worden sei. Die DEKRA oder der TÜV oder eine andere Sachverständigenstelle könnten keine Bescheinigungen ausstellen, weil es keine Vorgaben gebe, an die sie sich halten könnten. Die Nebenbestimmungen unter Ziffer II. verhinderten innovative Entwicklungen vor dem Hintergrund, dass das Fahrzeug erst noch entwickelt werden solle. Die statische und dynamische Festigkeit des Wagenkastens und des Fahrwerks seien gegeben, da die Anforderungen des Straßenverkehrs höher als die des Schienenverkehrs seien. Ebenso sei die Entgleisungssicherheit und die bremstechnische Sicherheit erfüllt. Die maximalen Fahrzeugabmessungen würden eingehalten. Es sei nicht sinnvoll, dass nur ein Fahrzeug gleichzeitig auf der Teststrecke eingesetzt werden könne. Die entsprechende Anordnung verhindere wichtige Erkenntnisse für den Betrieb mehrerer Schienentaxis. Die Anordnung, dass der Versuchsleiter ein Ingenieur oder anerkannter Sachverständiger der Schienenfahrzeugtechnik sein müsse, sei zu eng. Es sei nicht sachgerecht, die Bestimmungen zur Betriebssicherheit in Anlehnung an die Verordnung über den Bau und Betrieb von Anschlussbahnen (BOA) zu treffen, da es sich bei der Versuchsstrecke nicht um eine Anschlussbahn, sondern um eine EBO-Strecke handele. Die BOA-Vorschriften seien für den Testbetrieb ungeeignet. Vor allem seien höhere Geschwindigkeiten für den Test notwendig. Soweit unter Ziffer IV. der Betrieb untersagt werde, sei dies unbedenklich. Ein regulärer Betrieb solle noch nicht stattfinden. Insgesamt sei die Anordnung unverhältnismäßig, da von dem Testbetrieb keine besonderen Gefahren ausgingen.
Die Klägerin beantragt,
das im Bescheid des beklagten Ministeriums vom 12. Februar 2010 unter Ziffer IV (Satz 2) enthaltene Verbot aufzuheben, innovativen Schienenfahrzeugen zwecks Erprobung dieser Fahrzeuge Zugang zur Strecke … zu gewähren, soweit das Verbot von der Nichterfüllung der unter Ziffern I., 11., und III., 1., 2., 3. und 8. des Bescheides aufgestellten Voraussetzungen abhängig gemacht wird.
Das beklagte Ministerium beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt es vor: Die Klägerin als öffentliches Eisenbahninfrastrukturunternehmen unterliege der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung, müsse deshalb eine betriebssichere Eisenbahninfrastruktur vorhalten und dürfe den Betrieb erst nach einer Erlaubnis nach § 7f AEG aufnehmen. Die Voraussetzungen für eine solche Erlaubnis seien derzeit nicht erfüllt. Die Klägerin sei offenbar nicht in der Lage, die Voraussetzungen zu erfüllen. Die geforderte Haftpflichtversicherung sei notwendig, falls der Testbetrieb nicht schon von der abgeschlossenen Haftpflichtversicherung umfasst sei. Wenn das Risiko tatsächlich so gering sei wie von der Klägerin behauptet, dürften auch entsprechende Versicherungsbeiträge gering sein. Es gehe nicht um eine Versicherung eines Eisenbahnverkehrsunternehmens sondern um die Versicherung der Klägerin als Eisenbahninfrastrukturunternehmen. Auch für den 'Testbetrieb müssten grundlegende Anforderungen an die Fahrzeuge erfüllt werden und durch einen außen stehenden Sachverständigen nachgewiesen werden. Der geforderte Sicherheitsabstand zur …brücke sei notwendig wegen des Gefälles und der fehlenden Kenntnisse über das realistische Bremsvermögen des Versuchsfahrzeugs. Auch die Anordnung einer Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h sei angemessen wegen des hohen Gefälles und wegen der Unwägbarkeiten des erst im Test befindlichen Fahrzeugs. Ein Gutachten zur Tragfähigkeit der …brücke durch einen Sachverständigen liege bislang nicht vor.
Das beklagte Ministerium hat in der mündlichen Verhandlung klarstellend erklärt, dass es sich bei den unter Ziffer III. des angefochtenen Bescheides formulierten Voraussetzungen eines Testbetriebs nicht um starre Regelungen handele. Vielmehr könnten diese Regelungen modifiziert werden, sobald die Klägerin belastbare Testergebnisse vorlege, die dies rechtfertigten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Streitakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des beklagten Ministeriums Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässig, aber nicht begründet.
Der Bescheid vom 12. Februar 2010 ist, soweit er angefochten wird, rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Ermächtigungsgrundlage für die ausgesprochene Untersagung sind §§ 4, 5, 5a des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG). Nach § 5a Abs. 1 Satz 1 AEG haben die Eisenbahnaufsichtsbehörden die Aufgabe, die Einhaltung der in § 5 Abs. 1 AEG genannten Vorschriften zu überwachen, soweit in diesem Gesetz nichts Besonderes bestimmt ist. Insbesondere haben sie dabei die Aufgabe, Gefahren abzuwehren, die beim Betrieb der Eisenbahn entstehen oder von den Betriebsanlagen ausgehen (§ 5a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AEG). Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AEG sind Eisenbahnen verpflichtet, ihren Betrieb sicher zu führen und die Eisenbahninfrastruktur, Fahrzeuge und Zubehör sicher zu bauen und in betriebssicherem Zustand zu halten.
Das beklagte Ministerium ist als Eisenbahnaufsichtsbehörde zuständig für den Erlass der Verfügung. Nach § 5 Abs. la Nr. 2 Buchstabe a) AEG sind die Länder zuständig für die Eisenbahnaufsicht über nichtbundeseigene Eisenbahnen mit Sitz im Inland, um die es hier geht. Dabei ist nach § 5 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2 AEG für die Aufsicht über Eisenbahninfrastrukturunternehmen jeweils das Land zuständig, in dem die Eisenbahninfrastruktur betrieben wird, hier also das Land Nordrhein-Westfalen. Nach § 1 Nr. 1 der Verordnung über die Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Eisenbahnwesens (Eisenbahnzuständigkeitsverordnung - EZustVO) vom 21. November 2006 (GV. NRW. 2007 S.105) ist in Nordrhein-Westfalen das für das Verkehrswesen zuständige Ministerium Aufsichtsbehörde.
Die angefochtene Verfügung dient dem Zweck, Gefahren beim Betrieb einer Eisenbahn abzuwenden. Die Zurverfügungstellung der Strecke zum Zwecke der Erprobung eines „Schienentaxis" fällt unter den Begriff des Betriebs einer Eisenbahn im Sinne von § 5a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AEG. Zwar geht es nicht um die Nutzung dieser Eisenbahninfrastruktur zu ihrem eigentlichen Zweck, nämlich die Beförderung von Gütern oder Personen zu ermöglichen, sondern um eine Nutzung in anderer Art und Weise. Nach dem Sinn und Zweck des Allgemeinen Eisenbahngesetzes ist die Eisenbahnaufsicht jedoch als umfassende Aufgabe ausgestaltet, die nicht erst dann eingreift, wenn es unmittelbar oder mittelbar um die Durchführung von Beförderungsleistungen geht, sondern stets dann, wenn eine Eisenbahninfrastruktur vorgehalten wird. Von einer Eisenbahninfrastruktur können nicht nur dann Gefahren ausgehen, wenn sie für ihren eigentlichen Zweck genutzt wird, sondern auch dann, wenn sie zu anderen Zwecken oder gar nicht genutzt wird. Es wäre sachwidrig, wenn in diesen Fällen nicht die Eisenbahnaufsichtsbehörde, sondern eine andere, etwa die allgemeine Ordnungsbehörde zuständig wäre.
Hiervon ausgehend ist es nicht zu beanstanden, dass die Aufsichtsbehörde der Klägerin die Gewährung des Zugangs zur Strecke mit innovativen Schienenfahrzeugen zu Zwecken ihrer Erprobung untersagt hat, wenn nicht bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Dieses Verbot dient der Gefahrenabwehr, es ist ermessenfehlerfrei und belastet die Klägerin nicht unverhältnismäßig.
Das Befahren der Strecke mit sog. „Schienentaxis" begründet eine Gefahr für Personen und Sachen. Diese Nutzung entspricht nach übereinstimmender Auffassung der Beteiligten nicht den Vorschriften der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung, die für den Bau, den Betrieb und die Benutzung der Bahnanlagen von öffentlichen Eisenbahninfrastrukturunternehmen gilt. Es handelt sich vielmehr um eine Nutzung durch innovative Fahrzeuge, zu deren statischer und dynamischer Festigkeit, Entgleisungs- und Bremssicherheit noch keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen. Zudem entspricht der Zustand der Strecke nicht den Anforderungen, die ansonsten an eine Strecke für den Eisenbahnverkehr gestellt werden, und außerdem weist die Strecke ein erhebliches Gefälle auf. Es besteht deshalb auch bei einem nur testweisen Betrieb die Gefahr, dass es zu Kollisionen oder Entgleisungen und dadurch zu Schäden an Menschen und Sachen kommt.
Um die dadurch hervorgerufenen Gefahren möglichst gering zu halten, aber zugleich der Klägerin den Testbetrieb zu ermöglichen, hat das beklagte Ministerium Anforderungen formuliert, die nicht als ermessensfehlerhaft angesehen werden können.
Unter Ziffer I. 1. der Verfügung hat das beklagte Ministerium die Nutzung der Strecke für die Erprobung von „Schienentaxis" davon abhängig gemacht, dass die Aufnahme des Betriebs der Strecke nach § 7f AEG genehmigt ist. Dies ist nicht zu beanstanden, obwohl die Klägerin auf der Strecke keinen regulären Eisenbahnbetrieb zum Zwecke der Güter- oder Personenbeförderung zulassen will, sondern lediglich einen Testbetrieb. Während die Klägerin noch in ihrem Schreiben vom 6. Februar 2009 an das beklagte Ministerium darauf hingewiesen hatte, dass die Durchführung von Testfahrten einen einwandfreien Zustand der Strecke erfordere und es sich deshalb von selbst verstehe, dass sie vor der Aufnahme von Testfahrten die Strecke in einen entsprechenden Zustand versetzen werde, trägt die Klägerin nunmehr vor, der Zustand der Strecke reiche möglicherweise nicht mehr aus, um schwere Regelfahrzeuge auf ihr verkehren zu lassen, dies treffe für die leichten, innovativen Fahrzeuge dagegen nicht zu; die Strecke sei absolut stabil genug, um auf ihr Schienentaxen gefahrlos verkehren lassen zu können. Vor dem Hintergrund, dass das Fahrverhalten des „Schienentaxis" noch nicht erprobt ist, überzeugt die Argumentation des beklagten Ministeriums, dass für den Testbetrieb eine den allgemeinen Anforderungen entsprechende Strecke erforderlich ist, um Gefahren in erforderlichem Maße auszuschließen. Gerade die Leichtigkeit der zu erprobenden Fahrzeuge kann - auch aus Laiensicht nachvollziehbar - dazu führen, dass beispielsweise Unebenheiten der Gleise erhebliches Gefahrenpotential in sich birgt. Die Klägerin wird durch diese Anforderung nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt, denn sie ist als öffentliches Eisenbahninfrastrukturunternehmen ohnehin verpflichtet, die Strecke in einem betriebssicheren Zustand für den Eisenbahnverkehr vorzuhalten bzw. erforderlichenfalls in einen betriebssicheren Zustand zu versetzen.
Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 25. Oktober 2007 - 3 C 51.06 -, BVerwGE 129, 381.
Diese Verpflichtung besteht kraft Gesetzes, auch wenn das beklagte Ministerium aktuell nicht beabsichtigt, sie - losgelöst von dem hier in Rede stehenden Probebetrieb - durchzusetzen, weil derzeit kein Eisenbahnverkehrsunternehmen Beförderungsleistungen auf der Strecke anbieten will.
Unter Ziffer I. 2. des Bescheides vom 12. Februar 2010 hat das beklagte Ministerium die Zulassung des Probebetriebs davon abhängig gemacht, dass der Nachweis geführt wird, dass die Haftpflichtversicherung, die gemäß der Verordnung über die Haftpflichtversicherung der Eisenbahnen vom 21. Dezember 1995 (BGBl. 1 S. 2101; Eisenbahnhaftpflichtversicherungsverordnung) für den Betrieb der Eisenbahninfrastruktur abgeschlossen wurde, auch Schadensereignisse umfasst, die im Zusammenhang mit Fahrten mit innovativen Schienenfahrzeugen („Schienentaxi") entstehen können. Diese Forderung ist rechtmäßig. Nach § 1 der Eisenbahnhaftpflichtversicherungsverordnung sind u. a. Eisenbahninfrastrukturunternehmen verpflichtet, eine Haftpflichtversicherung zur Deckung der durch Unfälle beim Betrieb einer Eisenbahn verursachten Personenschäden und Sachschäden bei einem im Inland zum Betrieb einer solchen Haftpflichtversicherung befugten Versicherer abzuschließen und aufrechtzuerhalten. Selbstverständlich muss auch die Klägerin den Abschluss einer Versicherung nachweisen, die auch Schäden umfasst, die nicht bei dem regulären Betrieb der Strecke entstehen, sondern bei dem von ihr beabsichtigten Testbetrieb. Es liegt im Verantwortungsbereich der Klägerin, ob sie ein Versicherungsunternehmen findet, das bereit ist, eine solche Versicherung abzuschließen.
Unter Ziffer II. des angefochtenen Bescheides wird von der Klägerin das Testat eines anerkannten Sachverständigen verlangt, dass das Fahrzeug bestimmte Anforderungen in sicherheitstechnischer Hinsicht erfüllt. Auch dies ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin wendet hiergegen zunächst ein, dass es gerade um die Entwicklung eines innovativen Schienenfahrzeuges gehe, für das es noch keine technischen Vorgaben gebe; erst im Laufe der Entwicklung könne festgestellt werden, welche Anforderungen zu stellen seien und ob das Fahrzeug diesen Anforderungen entspreche; durch die Vorgaben des beklagten Ministeriums würde jede innovative Entwicklung unmöglich gemacht. Demgegenüber ist es zum weitgehenden Ausschluss von Unfällen durchaus sachgerecht, vorab einen Nachweis dafür zu fordern, dass grundlegende Mindestanforderungen für ein Schienenfahrzeug erfüllt sind. Wie bei anderen (Schienen-)fahrzeugen auch geht es um einen Nachweis, dass das Fahrzeug voraussichtlich den Anforderungen des Testbetriebs gewachsen sein wird. Im Hinblick auf die Vorgabe, die erforderliche statische und dynamische Festigkeit des Wagenkastens und des Fahrwerks sei nachzuweisen (Ziffer II. 1.), trägt die Klägerin vor, dass das zu erprobende Versuchsfahrzeug ursprünglich für den Straßenverkehr zugelassen gewesen sei und die dafür erforderliche Stabilität aufweise; dies genüge auch den Anforderungen des Schienenverkehrs. Diese Behauptung der Klägerin mag zutreffen, ist aber durch einen außen stehenden Sachverständigen zu bestätigen, zumal Umbauten am Fahrzeug durchgeführt worden sind und der beabsichtigte Testbetrieb nicht auf ein bestimmtes Testfahrzeug beschränkt worden ist. Die erforderliche fahrtechnische Sicherheit (Entgleisungssicherheit), die erforderliche bremstechnische Sicherheit und die Einhaltung der maximal zulässigen Fahrzeugabmessungen (Ziffer II. 2., 3. und 4.) sind aus Gründen der vorbeugenden Gefahrenabwehr ebenfalls nachzuweisen. Der Umstand, dass das Versuchsfahrzeug ursprünglich für den Straßenverkehr zugelassen war, ist kein Beleg dafür, dass das Fahrzeug auch den Anforderungen des Schienenverkehrs entspricht. Wenn - wie die Klägerin vorträgt - diese Vorgaben erfüllt sind, wird sie durch die Verpflichtung, sich dies durch einen Sachverständigen bestätigen zu lassen, nicht unverhältnismäßig belastet.
Ziffer III. 1. Satz 1 des Bescheides vom 12. Februar 2010 schreibt vor, dass während der Probefahrten in dem Streckenabschnitt keine weiteren Schienenfahrzeuge verkehren dürfen. Die Klägerin wendet sich hiergegen, weil zu einem späteren Zeitpunkt der Entwicklung beabsichtigt sei, mehrere Schienentaxis gleichzeitig auf der Strecke zu erproben, um ihre kommunikativen Fähigkeiten und die damit verbundenen Sicherheitsvorkehrungen für den automatischen Betrieb samt der Hinderniserkennung praxisgerecht entwickeln und testen zu können. Dieses Vorbringen weckt keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Auflage. Es liegt auf der Hand, dass durch den gleichzeitigen Betrieb mehrerer Fahrzeuge weitere Gefahren hinzukommen. Bevor nicht der sichere Betrieb eines einzelnen Fahrzeugs - auch hinsichtlich einer automatischen Hinderniserkennung - belegt ist, erscheint es deshalb sachgerecht, den gleichzeitigen Betrieb mehrerer Fahrzeuge auszuschließen. Das beklagte Ministerium hat zugesagt, die Anforderungen zu modifizieren, sollte dies durch den fortschreitenden Testbetrieb gerechtfertigt sein.
Gegen die in Ziffer III. 1. Sätze 2 und 3 des Bescheides getroffenen Regelungen erhebt die Klägerin keine Einwände. Auch abgesehen davon bestehen keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit, da nur bei einer Sperrung der Strecke für die Zeit der Testfahrten weitere Gefahren durch versehentlich auf die Strecke gelangende andere Fahrzeuge ausgeschlossen werden können.
Die Regelung in Ziffer III. 2. des Bescheides, nach der die Strecke von … kommend ca. 1.000 m vor der …brücke wirksam abgesperrt werden muss, hält die Klägerin für rechtswidrig, da bei der vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit von nur 25 km/h selbst im Gefälle und bei ungünstigen Verhältnissen ein viel kürzerer Bremsweg erzielbar sei. Außerdem sei das Gewicht des Versuchsfahrzeugs so niedrig, dass es die …brücke auch in ihrem jetzigen Zustand gefahrlos passieren könne. Eine Absperrung sei deshalb nicht notwendig. Dem ist entgegenzuhalten, dass keinerlei konkrete Erkenntnisse über die Stabilität der …brücke vorliegen. Es wäre Sache der Klägerin nachzuweisen, dass die Stabilität der Brücke für die Versuchsfahrzeuge ausreichend ist. Außerdem darf die Klägerin nach Ziffer 1. der Verfügung den Testbetrieb nur zulassen, soweit eine Inbetriebnahmegenehmigung nach § 7f AEG erteilt worden ist. Eine solche Genehmigung wird für den Bereich der …brücke nach den Angaben der Beteiligten nur erteilt werden können, wenn diese Brücke grundlegend saniert ist. Im Hinblick auf den Abstand der Absperrung zur …brücke ist zu berücksichtigen, dass bislang keine Erkenntnisse über das Bremsverhalten der Versuchsfahrzeuge vorliegen. Das beklagte Ministerium hat zum Ausdruck gebracht, dass über den Abstand der Absperrung zur …brücke eine andere Regelung getroffen werden könne, wenn der Testbetrieb weitere Ergebnisse erbracht habe.
Unter Ziffer III. 3. ist der Klägerin aufgegeben worden, zur sicheren Durchführung der Probefahrten einen Versuchsleiter zu stellen, der mindestens die Qualifikation als Ingenieur/ anerkannter Sachverständiger der Schienenfahrzeugtechnik aufweist. Die Klägerin wendet dagegen ein, die innovative Technik des Pilotprojektes erfordere keinen Fachmann in Bezug auf die Regelfahrzeuge der Eisenbahnen, sondern spezifische Qualifikationen, wie sie etwa dem Berufsbild des Mechatronikers entsprächen. Dies habe die Behörde nicht berücksichtigt. Gleichwohl ist die Forderung des beklagten Ministeriums berechtigt. Auch das zu testende innovative Fahrzeug ist ein schienengebundenes Fahrzeug, so dass gerade ein Ingenieur oder Sachverständiger im Bereich der Schienenfahrzeugtechnik die Gewähr dafür bietet, dass der Testbetrieb gefahrlos und sachgerecht durchgeführt wird.
Erhebliche Bedenken hat die Klägerin gegen die Bestimmung in Ziffer III. 8. des Bescheides, wonach die Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h nicht überschritten werden darf. Diese Bedenken sind unberechtigt, auch wenn auf längere Sicht das „Schienentaxi" sicherlich nur konkurrenzfähig sein kann, wenn höhere Geschwindigkeiten möglich sind. Da bislang keinerlei konkreten und belastbaren Erkenntnisse über das Fahrverhalten der möglicherweise zum Einsatz kommenden Versuchsfahrzeuge vorliegen, ist es nicht unverhältnismäßig, zunächst eine Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h vorzuschreiben, zumal die Strecke ein erhebliches Gefälle aufweist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
Die Berufung wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht gegeben sind. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
Gericht | VG Arnsberg |
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Datum | 02.09.2010 |
Normen | § 4 AEG, § 5 AEG, § 5a AEG, § 6 AEG, § 7 AEG |
Stichworte | Ordnungsverfügung, eisenbahnrechtliche Ordnungsverfügung, Teststrecke, Versuchsfahrt, Testfahrt, Schienentaxi, innovative Schienenfahrzeuge, Eisenbahn-Bau und Betriebsordnung, EBO, Verordnung über den Bau und Betrieb von Anschlussbahnen, BOA |
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