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LG Frankfurt (aM), Beschluss vom 16.02.2015

Az.: 2-06 O 55/15

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Beschluss

[...]

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Antragstellerin.

3. Der Streitwert wird auf 250.000,00 € festgesetzt.

 

Gründe:

I.

Die damals noch unter der Bezeichnung L. _ _ _ _ _ mbH firmierende Antragstellerin ist die für das Land Schleswig-Holstein nach § 2 Abs. 5 ÖPNVG zur Wahrnehmung der Aufgaben nach dem Gesetz zur Regionalisierung des Öffentlichen Personennahverkehrs gemäß § 1 Abs. 2 RegG bestimmte Stelle. Als solche ist sie Zugangsberechtigte zur Eisenbahninfrastruktur nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 AEG.

Die Antragsgegnerin ist ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen, das wesentliche Teile der gleisgebundenen Eisenbahninfrastruktur in Deutschland betreibt. U. a. ist die Antragsgegnerin auch Betreiberin der gleisgebundenen Eisenbahninfrastruktur von L. /N. nach W. und damit der Gleise, auf denen Autozugverkehr zwischen dem schleswig-holsteinischem Festland und der Insel S. über den H. -damm verkehren muss.

Die Antragsgegnerin vergibt Trassennutzungsrechte aufgrund ihrer „Schienennetzbenutzungsbedingungen (SNB)“, die in Anlage KN 20 vorgelegt werden.

Die Antragstellerin reichte mit Antrag vom 6.10.2014 (Anlage K 1) eine Rahmenvertragsanmeldung gemäß § 14a AEG, § 14 Abs. 1 AEG in Verbindung mit § 13 Eisenbahninfrastrukturbenutzungsverordnung (EIBV) für die Periode 2015 – 2020 für die Zugnummern 2 – 51 bei der Antragsgegnerin ein, um künftig Autoreisezugverkehre auf der Relation W. - L. und Gegenrichtung entweder selbst oder unter Einschaltung eines von ihr bzw. dem Land Schleswig-Holstein beauftragten Unternehmens durchzuführen. Der Antrag umfasst 50 Rahmenvertragstrassen für den Autozug W. /S. - L. für die Jahre 2016 bis 2025 und ermöglicht die Realisierung der Autozugverbindung im Halbstundentakt. Nach der Planung der Antragstellerin soll nach Zuteilung des Rahmenvertrages in L. eine neue Verladeanlage am ehemaligen Streckengleis nach f. realisiert und über die Bundesstraße angeschlossen werden. Die entsprechende Planung lässt sich der in Anlage K 2 vorgelegten Skizze entnehmen. Die Einzelheiten des Betriebskonzepts ergeben sich aus Anlage K 9. Die dem Betriebskonzept zugrunde liegende Infrastruktur, insbesondere Verladeeinrichtung ist bisher weder erstellt noch geplant noch sind entsprechende Planungs- bzw. Bauanträge eingereicht. Die Klägerin geht von einer Planungs- und Erstellungszeit von etwa 15 Monaten aus, so dass die Durchführung des Zugverkehrs nicht bereits mit Beginn des Rahmenvertragszeitraums im Dezember 2015, sondern frühestens im Sommer 2016 erfolgen kann.

Neben der Antragstellerin beantragten zumindest zwei weitere Unternehmen, nämlich die bisherige Betreiberin DB f. AG und das US-amerikanische Unternehmen R. D. C. (RDC) den Abschluss eines Rahmenvertrages bei der Verfügungsbeklagten für den Autozugverkehr nach W. . Aufgrund beschränkter Schienenkapazitäten kann die Antragsgegnerin nur einer Bewerberin Trassen zuteilen.

Die Antragsgegnerin bestätigte zunächst den Eingang der Rahmenvertragsanmeldung der Antragstellerin am 6.10.2014. Mit Schreiben vom 17.10.2014 (Anlage K 3) wies die Antragsgegnerin u. a. darauf hin, dass der in der Rahmenvertragsanmeldung genannte Bahnhof L. weder über Bahnsteige, noch über eine Be- und Entladevorrichtung verfüge, so dass eine Be- und Entladung von Fahrzeugen bzw. ein Zu- und Ausstieg von Personen nicht möglich sei. Die Antragsgegnerin bat um Mitteilung, wo eine Be- und Entladung bzw. Zuoder Ausstieg stattfinden solle und wies darauf hin, dass ohne die geforderten Angaben die Rahmenvertragsanmeldung nicht plausibel sei, da nicht sichergestellt werden könne, dass die Antragsgegnerin den Rahmenvertrag ihrerseits erfüllen könnte, indem sie in jedem Fall eine Trasse im Rahmen der vereinbarten Bandbreite anbiete. Die Antragstellerin erhielt Gelegenheit, die fehlenden Angaben binnen drei Arbeitstagen zu übermitteln. Die Antragsgegnerin wies darauf hin, dass widrigenfalls die Anmeldung gemäß Ziffer 4.4.3.6SNB ungültig werde und eine Weiterbearbeitung nicht erfolge.

Die Antragstellerin erläuterte daraufhin mit Schreiben vom 22.10.2014 (Anlage K 4), dass die Entladung in einer neu zu errichtenden Anlage in L. anschließend an das ehemalige Streckengleis Richtung f. (Streckennummer 1_ _ _ _) an der B 5 erfolgen solle. Die rechtlichen Grundlagen für einen Anschluss regele § 13 AEG. Die Trassenvergabe habe nach Auffassung der Antragstellerin unabhängig von Zuweisung von Kapazitäten in Serviceeinrichtung zu erfolgen. Das Vorhandensein bzw. die Realisierungswahrscheinlichkeit sei nach Auffassung der Antragstellerin für den Trassenzugang ohne Bedeutung.

Mit Schreiben vom 28.10.2014 (Anlage K 5) wies die Antragsgegnerin darauf hin, dass sie weiterhin Zweifel an der Plausibilität der Rahmenvertragsanmeldung habe. Angesichts des Fehlens jeglicher Aktivitäten zur Schaffung der bau- und planungsrechtlichen bzw. infrastrukturellen Voraussetzung für die Errichtung der zur Durchführung der angemeldeten Autoreisezüge erforderlichen Autoverladeeinrichtungen in bzw. am Bahnhof L. sei es offensichtlich, dass deren Errichtungen und Inbetriebnahme bis zum Beginn der Laufzeit der dritten Rahmenvertragsperiode im Dezember 2015 nicht möglich sein werde und damit die angemeldete Zugcharakteristik Autozug jedenfalls zwischen N. und L. nicht plausibel sei. Die Antragsgegnerin setzte der Antragstellerin eine Frist zum 31.10.2014 für die Plausibilisierung ihres Antrages.

Die Antragstellerin wies sodann im Schreiben vom 30.10.2014 (Anlage K 6) darauf hin, dass die Nutzung von Serviceeinrichtungen nicht Gegenstand des Rahmenvertrages sei Die Antragsgegnerin sei daher nicht befugt, die Nutzung etwaiger Serviceeinrichtungen oder gar den Übergang von Zugfahrten in andere Netze oder Anschlüsse zum Gegenstand einer Zugangsentscheidung zu machen.

Mit Schreiben vom 4.11.2014 (Anlage K 7) wies die Antragsgegnerin daraufhin die Anmeldung der Verfügungsklägerin als nicht plausibel zurück und teilte mit, die frühere Antragsanmeldung der Antragstellerin vom 6.10.2014 nicht weiter bearbeiten zu wollen. Sie begründete dies damit, dass während der Laufzeit der dritten Rahmenvertragsperiode mangels entsprechender Infrastruktur bzw. mangels entsprechender Planungs- und Genehmigungsphasen die Durchführung eines Autoreisezugverkehrs zwischen W. und L. nicht realisierbar sei.

Hierauf wandte sich die Antragstellerin mit Schreiben vom 12.11.2014 (Anlage K 8) an die für die Regulierung nach dem Allgemeinen Eisenbahngesetz zuständige Bundesnetzagentur und bat um Einleitung eines Verfahrens nach § 14e Abs. 1 Nr. 3 AEG bzw. 14f Abs. 2 AEG. Die Bundesnetzagentur lehnte die Einleitung eines entsprechenden Verfahrens mit Schreiben vom 14.11.2014 (Anlage K 10) ab und leitete ein Netzzugangsverfahren nach § 14c Abs. 1 AEG ein. Sie begründete dies zum einen damit, dass Start und Beendigung der seitens der Antragstellerin geplanten und rahmenvertraglich angemeldeten Zugfahrten nicht möglich sein werde, da dies aufgrund der gegenwärtigen infrastrukturellen Gegebenheiten dazu führen werde, dass die Züge in L. jeweils das durchgehende Hauptgleis blockieren und weitere Zugfahrten anderer Eisenbahnverkehrsunternehmen auf der Marschbahn verhindern würden. Die Berücksichtigung einer beabsichtigten, jedoch noch nicht im förmlichen Planungs- und Genehmigungsverfahren befindlichen Eisenbahninfrastruktur sei nicht möglich. Mit E-Mail vom 2.12.2014 (Anlage K 11) kündigte die Bundesnetzagentur zudem an, das Verfahren einstellen zu wollen.

Hierauf wandte sich die Antragstellerin über ihren anwaltlichen Vertreter am 4.12.2014 erneut an die Bundesnetzagentur (Anlage K 12) und nahm am 17.12.2014 (Anlage K 14) zu der beabsichtigten Einstellung Stellung. Sie beantragte, die Antragsgegnerin nach § 14f Abs. 2 Satz 1 AEG zu verpflichten, die Rahmenvertragsanmeldung der Antragstellerin in das Verfahren über die Vergabe von Rahmenverträgen für die entsprechende Schienenwegkapazität einzubeziehen. Hierauf leitete die Bundesnetzagentur mit Schreiben vom 9.1.2015 (Anlage K 15) ein Verfahren nach § 14f Abs. 2 Satz 1 AEG ein. Mit Schreiben vom 16.1.2015 (Anlage K 17) wies die Bundesnetzagentur den Antrag der Antragstellerin mangels Begründetheit zurück. Zur Begründung verwies die Bundesnetzagentur darauf, dass die Anmeldung der Antragstellerin nicht plausibel sei, da eine Konstruktion rahmenvertraglicher Bandbreiten auf Grundlage der in der Anmeldung enthaltenen Angaben aus betrieblich technischen Gründen nicht möglich sei. Die Bundesnetzagentur wies darauf hin, dass zur Konstruktion der rahmenvertraglichen Bandbreiten nur auf die zum Zeitpunkt der Rahmenvertragsanmeldung tatsächlich vorhandene Bestandsinfrastruktur zurückgegriffen werden könne und nicht eine Eisenbahninfrastruktur zugrunde gelegt werden könne, die noch gar nicht vorhanden sei. Weiterhin verwies die Bundesnetzagentur darauf, dass in L. nicht nur Verladeeinrichtungen für Autozüge fehlten, sondern auch Gleisanlagen die ein Starten und ein Enden der Züge der Antragstellerin ermöglichten. Die Rahmenvertragsanmeldungen der Antragstellerin vom 6.10.2014 sähen eine Zuglänge von 600 m vor. Außer den durchgehenden Hauptgleisen in R. - L. gebe es dort gegenwärtig keine Gleisanlagen, die eine für die Abstellung des Zuges ausreichende Gleislänge aufwiesen. Somit könnten die Rahmenvertragsanmeldungen der Antragstellerin nur dann umgesetzt werden, wenn die betreffenden Züge in den durchgehenden Hauptgleisen in L. starten und enden würden, was jedoch zu einer Blockierung der Hauptgleise und somit zu einer Beeinträchtigung der Zugverkehre auf der Marschbahn führen würde. Die Verwendung der ehemaligen Streckengleise nach f. und Errichtung einer Verladeeinrichtung an dieser Stelle basiere auf einer Hypothese; eine tatsächliche Realisierung sei fraglich, zumal bislang die erforderlichen Genehmigungsverfahren nicht beantragt worden seien. Im Übrigen könne auch bei einer Reaktivierung der stillgelegten Gleise die seitens der Antragstellerin geplanten Zugfahrten mit 600 m langen Zügen nicht realisiert werden, da das Gleis 6 eine Bau-Länge von ca. 529 m und das Gleis zwischen Einfahrsignal D und Weiche 6 eine Länge von ca. 228 m aufweise.

Mit Schreiben vom 22.1.2015 (Anlage K 18) widersprach die Antragstellerin der beabsichtigten Einstellung des Verfahrens. Mit Schreiben vom 26.1.2015 (Anlage K 19) teilte die Bundesnetzagentur mit, dass sie an ihrer bisherigen Auffassung festhalten würde und hinsichtlich der von der Antragsgegnerin vorgenommenen Nichtbeachtung der Rahmenvertragsanmeldung der Antragstellerin keine Maßnahmen ergreifen werde.

Mit Schreiben vom 28.1.2015 (Anlage K 20) teilte die Bundesnetzagentur der Antragstellerin mit, dass die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 26.1.2015 ihre beabsichtigte Entscheidung über den Abschluss des Rahmenvertrages mit der RDC für die entsprechende Relation der Bundesnetzagentur nach § 14d Satz 1 Nr. 4 AEG mitgeteilt habe. Mit dem 26.1.2015 sei daher die sogenannte 4-Wochenfrist des § 14e Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 1 AEG ausgelöst worden. Die Antragstellerin wurde zu dem insoweit durchzuführenden Verfahren nach § 14e Abs. 2 Nr. 1 AEG förmlich nach § 13 Abs. 2 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz hinzugezogen.

Das Verfahren vor der Bundesnetzagentur dauert an.

Die Antragstellerin ist der Auffassung, sie könne nach § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 in Verbindung mit § 33 GWB verlangen, dass die Antragsgegnerin die Rahmenvertragsanmeldung der Antragstellerin in das Entscheidungsverfahren zur Vergabe eines Rahmenvertrages auf der Strecke L. /N. - W. und Gegenrichtung einbeziehe und bearbeite. Die Antragsgegnerin habe als marktbeherrschendes Unternehmen durch die Weigerung, die Rahmenvertragsanmeldung der Antragstellerin vom 6.10.2014 zu bearbeiten, ihre marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausgenutzt. Die Antragsgegnerin habe sich außerhalb ihrer Prüfungskompetenz bewegt, wenn sie zur Voraussetzung der Plausibilität einer Rahmenvertragsanmeldung mache, dass bestimmte Infrastruktureinrichtungen zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhanden seien. Es gehöre nicht zum Prüfungsgegenstand der Antragsgegnerin, die Realisierbarkeit einer Rahmenvertragsanmeldung zu kontrollieren. Die Antragsgegnerin habe auch in der Vergangenheit niemals eine solche Prüfung vorgenommen. Nachgeschobene Gründe für die angebliche Inplausibilität seien schon nicht zu berücksichtigen, da diese entgegen Ziffer 4.4.3.6 SNB nicht unverzüglich nachgefordert seien.

Die Antragstellerin beantragt,

der Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung zu untersagen, Rahmenverträge zur Nutzung der Eisenbahninfrastruktur für die Relation N. - W. bzw. L. - W. und Gegenrichtung zur Rahmenvertragsperiode 2015 bis 2020 zu vergeben, ohne den Rahmenvertrag der N. GmBH vom 06.10.2014 in die Entscheidung einbezogen zu haben.

 

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig, aber unbegründet. Der Antragstellerin steht kein Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Einbeziehung ihres Rahmenvertragsantrages in Rahmenvertragsvergabe für die Relation N. /L. - W. für die Rahmenvertragsperiode 2015 – 2020 aus §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 33 GWB zu, da die Netzzugangsverweigerung durch die Antragsgegnerin keine missbräuchliche Ausnutzung ihrer marktbeherrschenden Stellung darstellt. Die Nichtberücksichtigung der Antragstellerin beruht auf einem sachlichen Grund, da die Antragstellerin nach ihrem eigenen Vortrag den mit dem Rahmenvertragsantrag gemeldeten Zugverkehr nicht zur Beginn der Fahrplanperiode im Dezember 2015, sondern frühestens im Sommer 2016 durchführen kann.

1.) Es kann dahinstehen, ob § 19 Abs. 4 GWB im Bereich von sektorspezifischen Regulierungsvorschriften zum Netzzugang wie im Bereich des Eisenbahnrechts (§ 14 ff. AEG) überhaupt Anwendung finden kann oder ob die Vorschriften für den diskriminierungsfreien Netzzugang eine abschließende Sonderregelung darstellen, die keinen Raum für die Anwendung der Vorschriften aus §§ 19, 20 GWB lässt (so Gerstner in: Beck'scher AEG-Kommentar, § 14b, Rnr. 26 und LG Berlin BeckRS 2009, 12140; a.A. Bechthold, GWB, § 19, Rnr. 90; Immenga/MestmäckerFuchs/Möschel, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, GWB § 19, Rnr. 339 f.).

2.) Selbst bei unterstellter Anwendbarkeit des § 19 Abs. 4 GWB stellt das Verhalten der Antragsgegnerin keine missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch Verweigerung des Netzzugangs DAR.

a) Eine Zugangsverweigerung ist dann nicht missbräuchlich, wenn sie sachlich gerechtfertigt ist. Dieser Umstand wird mit dem Kriterium der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Mitbenutzung aus betriebsbedingten oder sonstigen Gründen im 2. Hs. des § 19 Abs. 2 Nr. 4 angesprochen. Dabei ergibt sich aus der gesetzlichen Formulierung („dies gilt nicht, wenn das marktbeherrschende Unternehmen nachweist . . .“), dass nicht etwa der Zugangspetent das Fehlen einer sachlichen Rechtfertigung darzulegen und ggf. zu beweisen hat, sondern dass es Sache des marktbeherrschenden Inhabers der Infrastruktureinrichtung ist, die Zugangsverweigerung gegebenenfalls zu rechtfertigen. Die Prüfung einer sachlichen Rechtfertigung impliziert die Notwendigkeit einer Interessenabwägung, bei der Eingriffsintensität eines Verbots der Zugangsverweigerung in die unternehmerischen Belange und das Eigentumsinteresse des Normadressaten die entscheidenden Abwägungstopoi darstellen. Die am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Interessenabwägung findet unter Berücksichtigung der auf die Schaffung von Wettbewerb auf dem abgeleiteten Markt gerichteten Zielsetzung des § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB statt. Neben dem Schutzzweck des § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB finden höherrangiges Recht und sonstige gesetzliche Verbote Eingang in die Interessenabwägung.

b) Sektorspezifische Zugangsregelungen können – soweit § 19 Abs. 2 Nr. 4 parallel daneben anwendbar ist – Einfluss auf die rechtliche Bewertung der Interessen beim Inhaber der Infrastruktureinrichtung gem. § 19 Abs. 2 Nr. 4 haben. Sind die sektorspezifischen Zugangsregelungen als ausdrückliches oder konkludentes gesetzliches Verbot formuliert, so ist ein Interesse, welches diesem Verbot zwangsläufig zuwiderläuft, nicht im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Somit können sektorspezifische Zielsetzungen zum Einfallstor für nichtwettbewerbliche, sektorspezifische Zielsetzungen werden. Im Übrigen können sich sektorspezifische Einwirkungen aus dem gemeinschaftsrechtlichen Sekundärrecht ergeben.

Verfahrensrechtliche Aspekte sektorspezifischer Netzzugangsverfahren wie §§ 14 ff. AEG bei der kartellrechtlichen Beurteilung des verweigerten Netzzugangs haben allerdings grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, da sich die kartellrechtliche Überprüfung sonst in einer bloßen Spiegelung des sektorspezifischen Regulierungsverfahrens erschöpfen würde. Die Berücksichtigung der in den materiellen sektorspezifischen Normen enthalten Wertungen verlangt nicht die Übernahme der verfahrensrechtlichen Normen. Daher sind bei der kartellrechtlichen Würdigung auch „nachgeschobene“ Gründe sowie die Gründe zu berücksichtigen, die die Bundesnetzagentur ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat, da davon auszugehen ist, dass die Antragsgegnerin sich dies als für sie günstig zu eigen machen würde.

c) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe stellt die Verweigerung des Netzzugangs der Antragstellerin durch die Antragsgegnerin in Form der Nichtberücksichtigung ihrer Rahmenvertragsanmeldung mangels eines Missbrauchs kein nach § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 GWB verbotenes Verhalten DAR. Die Antragsgegnerin kann sich insoweit nämlich auf einen sachlichen Grund berufen, der darin begründet liegt, dass die Antragstellerin einen Zugverkehr mit Sicherheit nicht zu Beginn der Fahrplanperiode im Dezember 2015 wird durchführen können.

aa) § 14 Abs. 1 AEG verpflichtet Eisenbahninfrastrukturunternehmen wie die Antragsgegnerin zur Gewährung diskriminierungsfreien Netzzugangs. Gesetzgeberisches Ziel ist es daher zum einen, Wettbewerb auf der Schiene unter mehreren Eisenbahnverkehrsunternehmen zu eröffnen (BR-Drs. 131/93, S. 100). Zum anderen ist gesetzgeberisches Ziel des AEG – das nach den obigen Ausführungen im Rahmen der Abwägung nach § 19 GWB ebenfalls zu berücksichtigen ist – nach § 1 Abs. 1 AEG auch gleichrangig die Gewährleistung eines sicheren Betriebs der Eisenbahn und eines attraktiven Verkehrsangebotes auf der Schiene. Durch diese Zielvorgaben soll die Rolle des Schienenverkehrs bei der Bewältigung der steigenden Mobilitätsbedürfnisse und der Entlastung der anderen Verkehrsträger gesichert werden (BT-Drs. 15/4419, S. 9). Auch die Netzzugangsregelungen nach §§ 14 ff. AEG dienen diesem gesetzgeberischen Ziel (Hermes in: Beck'scher, AEG-Kommentar, § 1, Rnr. 6, 8).

Dieses gesetzgeberische Ziel würde aber offensichtlich verfehlt, wenn die Antragsgegnerin einen Rahmenvertrag mit der Antragstellerin schließen würde, die nach eigenen Angaben (frühestens) Mitte 2016 die Strecke überhaupt bedienen könnte und somit ggf. ab Dezember 2015 die für die Verkehrsanbindung der Insel S. existentielle Strecke gar nicht mehr bedient würde, während zwei ab Dezember 2015 leistungsbereite Wettbewerber der Antragstellerin aufgrund der beschränkten Streckenkapazität die Strecke nicht bedienen dürften.

Unter diesem Gesichtspunkt stellt es einen sachlichen Grund DAR, die Rahmenvertragsanmeldung der Antragstellerin nicht zu berücksichtigen und ihr damit den Netzzugang zu verweigern.

bb) Darüber hinaus würde der Antragsgegnerin nach § 12 EIBV ein besonderes Kündigungsrecht zustehen, wenn – was die Antragstellerin selbst vorträgt – diese den Zugverkehr nicht zu Beginn der Periode durchführen kann. Nach § 12 S. 1 EIBV kann das Eisenbahninfrastrukturunternehmen die Vereinbarung nach § 14 Abs. 6 AEG (Netzzugang) fristlos kündigen, wenn der Zugangsberechtigte das Recht aus einer Netzzugangsvereinbarung aus von diesem zu vertretenden Gründen nicht binnen eines Monats wahrgenommen hat. In der Folge muss der Infrastrukturbetreiber einem dritten Zugangsberechtigter ein Angebot zur Nutzung zu machen, bei dessen Annahme der Infrastrukturbetreiber gezwungen ist, die Vereinbarung mit dem ursprünglich Berechtigten zu kündigen (§ 12 S. 2 – 4 EIBV).

Dass die Antragstellerin die abzusehende Nichtdurchführung zu vertreten hat, liegt auf der Hand, da sie in der Gestaltung ihrer Rahmenvertragsanmeldung und damit der Planung ihres Zugverkehrs frei ist. Sie hätte ebenso für ihre Planung bestehende Infrastruktureinrichtungen (Verladestationen) vorsehen können, hinsichtlich derer ihr ebenfalls ein Zugangsrecht nach § 14c I AEG zusteht (vgl. BVerwG Beschluss vom 08.01.2015, BeckRS 2015, 41495; OVG Münster Urteil vom 08.04.2014, BeckRS 2014, 51597, beide jeweils zu den Verladestationen N. und W. ). Entscheidet sich die Klägerin im Rahmen ihrer unternehmerischen Freiheit daher zur Schaffung einer eigenen Infrastruktur, obliegt es ebenfalls ihrer Verantwortung, diese so zu planen, dass eine rechtzeitige Fertigstellung möglich ist.

Der Antragsgegnerin stünde daher zum einen ab Mitte Januar 2016 in jedem Fall ein Sonderkündigungsrecht zu; zum anderen bestünde für konkurrierende Dritte wie hier die DB f. AG und die R. D. C. die Möglichkeit, die Kündigung des zwischen den Parteien bei Berücksichtigung der Anmeldung der Antragstellerin geschlossenen Rahmenvertrages zu erzwingen. Diese Kündigung des Vertrages Anfang 2016 ist dabei keine theoretische Option, sondern nach Auffassung der Kammer ein mit hinreichender Sicherheit eintretendes Ereignis. Dass unterlegene Bewerber eine derartige Gelegenheit nicht ergreifen würden, ist angesichts der aufgrund der Streckenkapazität monopolartigen Situation (nur ein Anbieter) und der durch drei Rahmenvertragsanträge bewiesenen Attraktivität der Strecke lebensfremd.

Ist aus Sicht der Antragsgegnerin daher mit Sicherheit zu erwarten, dass es im Januar 2016 zu einer Kündigung des Rahmenvertrags mit der Folge der erneuten Netzzugangsentscheidung kommen wird, stellt es offensichtlich einen sachlichen Grund DAR, die im Januar 2016 eintretende Situation zu antizipieren und die Antragstellerin bei der Entscheidung über den Netzzugang nicht zu berücksichtigen.

cc) Die Kammer verkennt nicht, dass es für die Antragstellerin ein unternehmerisches Risiko darstellen würde, „auf Vorrat“ eigene Verladeeinrichtungen zu schaffen, ohne die Sicherheit zu haben, den zur Benutzung notwendigen Netzzugang tatsächlich auch zu erhalten. Dies stellt sich für die Kammer allerdings als von der Antragstellerin zu tragendes unternehmerisches Risiko DAR. Will die Antragstellerin eigene Verladeeinrichtungen schaffen anstatt bestehende Verladeeinrichtungen zu nutzen, so steht dem hierdurch mutmaßlich entstehenden wirtschaftlichen Vorteil auch ein erhöhtes wirtschaftliches Risiko gegenüber.

Soweit die Antragstellerin daher der Auffassung ist, die Fristen für die Rahmenvertragsanmeldung seien angesichts des für die Schaffung eigener Verladestationen notwendigen Zeitraum von 15 Monaten zu kurz und unter dem Gesichtspunkt des Art. 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB rechtswidrig, teilt die Kammer dies nicht. Die Antragsgegnerin ist unter dem Gesichtspunkt des Netzzugangs aus § 19 Abs 2 Nr. 4 GWB nicht verpflichtet, ihre Netzzugangsentscheidungen von den individuell zu verantwortenden Planungen einzelnen Rahmenvertragsbewerber abhängig zu machen. Der wettbewerbssichernde offene Netzzugang ist vielmehr auch ohne eine derartige Rücksichtnahme gesichert. Dies zeigt nicht zuletzt, dass neben der Antragstellerin zwei weitere Bewerber Anträge auf Netzzugang gestellt haben, die auch im Verfahren berücksichtigt wurden.

3.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Gericht LG Frankfurt (aM)
Typ Beschluss
Datum 16.02.2015
Normen § 2 Abs. 5 ÖPNVG; § 1 Abs. 2 RegG; § 12 EIBV; § 13 EIBV; § 13 AEG; § 14 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 6 AEG; § 14a AEG; § 14c Abs. 1 AEG; § 14d S. 1 Nr. 4 AEG; § 14e Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 1 AEG; § 14f Abs. 2 AEG; § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 GWB;
Stichworte (... § 19 Abs. 4 GWB; § 20 GWB; § 33 GWB; § 13 Abs. 2 S. 1 VwVfG) Netzzugangsregelungen; Trassenvergabe; Rahmenvertrag – Anmeldung, Vergabe, Bandbreiten; infrastrukturelle Gegebenheiten; Verladeanlage; beschränkte Schienenkapazitäten; Inplausibilit

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