Beschluss
- BVerwG 11 B 102.96 - vom 19. März 1997
- Bay VGH 20 A 96.40030 - vom 17. September 1996
In der Verwaltungsstreitsache _ _ _ _ hat der 11. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 19. März 1997 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Diefenbach und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Bonk und Dr. Storost
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. September 1996 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 DM festgesetzt.
Gründe:
Die auf die Revisionszulassungsgründe des Verfahrensmangels und der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Nrn. 1 und 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Beschwerde rügt, der Verwaltungsgerichtshof habe das angefochtene Urteil in vorschriftswidriger Besetzung erlassen (§, 138 Nr. 1 VwGO); nach dem Geschäftsverteilungsplan des Verwaltungsgerichtshofs für das Jahr 1996 sei nämlich zur Entscheidung nicht der 20., sondern der 8. Senat berufen gewesen. Eine solche Rüge kann im Wege der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden; die zulassungsfreie Verfahrensrevision (§ 133 Nr. 1 VwGO a.F.), auf die die Beklagte und die Beigeladene zu 1 verweisen, ist durch das Vierte Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 17. Dezember 1990 (BGBl I S. 2809) abgeschafft worden. Entgegen der Ansicht der Beschwerde liegt der gerügte Verfahrensmangel jedoch nicht vor.
Zwar kann mit der Rüge der unvorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts auch die unrichtige Anwendung des Geschäftsverteilungsplans gerügt werden, wenn und soweit hierin zugleich eine Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter liegt. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn das Gericht seine Zuständigkeit willkürlich angenommen hat (vgl. Beschluß vom 14. September 1989 - BVerwG 2 CB 54.86 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 90 m.w.N.), wenn also die Zuständigkeitsannahme des Gerichts bei verständiger Würdigung offensichtlich unhaltbar ist (vgl. Beschluß vom 13. Juni 1991 - BVerwG 5 ER 614.90 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 1 VwGO Nr. 28 m.w.N.). Davon kann hier keine Rede sein.
Nach dem einschlägigen Geschäftsverteilungsplan war der 20. Senat unter anderem zuständig für "Eisenbahn-, Kleinbahn-, Bergbahnrecht, soweit nicht der 8. Senat zuständig ist", sowie für "Streitigkeiten nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 5, 6 und 7 VwGO"; der 8. Senat war unter anderem zuständig für "Eisenbahn-, Kleinbahn- und Bergbahnrecht, soweit Kreuzungen mit öffentlichen Straßen und Wegen betroffen sind", sowie für "Streitigkeiten nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 8 und 9 VwGO". Im vorliegenden Fall geht es um eine Anfechtungsklage gegen einen Planfeststellungsbeschluß des Eisenbahn-Bundesamtes vom 1. September 1994 für die Verlegung zweier höhengleicher Bahnübergänge um jeweils 200 m. Der Planfeststellungsbeschluß betrifft nur die Verlegung der Bahnübergänge; die Verkehrsplanung im übrigen ist Gegenstand der Bauleitplanung der beigeladenen Stadt. Die Klage betrifft also eine Streitigkeit im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 VwGO und fällt insofern in die Zuständigkeit des 20. Senats. Da der Bahnübergang eine Kreuzung der Eisenbahn mit öffentlichen Straßen und Wegen darstellt, gibt es allerdings auch einen Bezug zur Zuständigkeit des 8. Senats.
Wie sich aus einem - den Prozeßbeteiligten bekannten - Aktenvermerk vom 3. Februar 1996 ergibt, legen die Vorsitzenden des 8. und 20. Senats die genannten Regelungen des Geschäftsverteilungsplans dahin aus, daß Planfeststellungs- und Plangenehmigungssachen nach dem Allgemeinen Eisenbahngesetz auch dann, wenn sie eine Eisenbahnkreuzung zum Gegenstand haben, zur Zuständigkeit des 20. Senats gehören; der 8. Senat ist danach nur für sonstige, von einem Planfeststellungs- oder -genehmigungsverfahren unabhängige Eisenbahnkreuzungsstreitigkeiten zuständig. Diese Auslegung des Geschäftsverteilungsplans ist nicht etwa offensichtlich unhaltbar, sondern im Gegenteil naheliegend.
2. Zu Unrecht mißt die Beschwerde der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf die Auslegung des § 2 Abs. 1 EKrG bei. Nach dieser Vorschrift sind neue Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen als Überführungen herzustellen. Die Beschwerde stellt dazu die Rechtsfrage: "Handelt es sich bei § 2 Abs. 1 EKrG um eine drittschützende Vorschrift, die jedenfalls denjenigen Personen eine Klagebefugnis im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO vermittelt, die als Angrenzer der kreuzenden Straße in gesteigertem Maße auf die Benutzung der öffentlichen Straße mit höhengleichem Bahnübergang angewiesen sind."
Diese Frage rechtfertigt schon deshalb nicht die Revisionszulassung, weil sie sich so im Revisionsverfahren nicht stellen würde. Nach der - nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen (§ 137 Abs. 2 VwGO) - Tatsachenfeststellung des Gerichtsbescheids (S. 4), auf die das angefochtene Urteil verweist, befindet sich das Haus des Klägers nämlich fast 500 m von dem nächstgelegenen Bahnübergang entfernt und liegt "nicht an der Straße, die zu der künftigen Kreuzung führen soll"; deshalb besteht nach der Sachverhaltswürdigung der Vorinstanz kein "besonders individualisierter Bezug gerade seines Grundstücks zu dem Bahnübergang".
Möglicherweise will die Beschwerde jedoch über die zitierte Frage hinaus geklärt sehen, ob der genannten Vorschrift generell - unabhängig von einer besonderen Beziehung zwischen Grundstück und Bahnübergang - drittschützende Wirkung zugunsten der Benutzer des Bahnübergangs zukommt. Der Kläger macht insoweit vor allem geltend, daß in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung gewisse Vorschriften, die die Verkehrssicherungspflicht konkretisierten, als Schutznormen zugunsten der Betroffenen anerkannt seien. Auch diese erweiterte Fragestellung gibt der Rechtssache aber keine grundsätzliche Bedeutung; die Frage ist vielmehr, ohne daß es dazu eines Revisionsverfahrens bedürfte, aufgrund der vorliegenden höchstrichterlichen Judikatur - mit der Vorinstanz - zu verneinen.
Drittschutz vermitteln nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts solche Vorschriften, die nach dem in ihnen enthaltenen, durch Auslegung zu ermittelnden Entscheidungsprogramm auch der Rücksichtnahme auf Interessen eines individualisierten Personenkreises dienen (vgl. z.B. BVerwGE 95, 333 ). Um eine solche Bestimmung handelt es sich bei § 2 Abs. 1 EKrG nicht. Ziel der Vorschrift ist, im Interesse der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs höhengleiche Bahnübergänge bei der Anlegung neuer Kreuzungen von vornherein zu vermeiden (vgl. dazu BTDrucks IV/183, S. 4 ; Marschall/Schweinsberg, EKrG, 4. Aufl. 1990, § 2 Anm. 3). Die in § 2 Abs. 1 EKrG statuierte Pflicht zum Bau von Überführungen knüpft also nicht etwa an ein konkretes Sicherheitsdefizit eines Bahnübergangs und an besondere Gefahren für einen bestimmten Personenkreis an, sondern bezweckt im öffentlichen Interesse eine generelle Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in Fällen, in denen ohnehin eine neue Kreuzung gebaut wird. Entgegen der Ansicht der Beschwerde läßt sich § 2 Abs. 1 EKrG daher nicht - wie die Vorschriften der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung über die Sicherung höhengleicher Bahnübergänge (vgl. dazu RGZ 169, 376 ; BGH, Urteil vom 3. Dezember 1955 - VI ZR 257/54 - VersR 1956, 99 ) - als eine die allgemeine Verkehrssicherungspflicht konkretisierende Norm auffassen (ebenso Marschall/Schweinsberg, a.a.O., § 3 Rn. 1.4). § 2 Abs. 1 EKrG hat eher Ähnlichkeit mit der Bestimmung in § 3 Abs. 1 FStrG, wonach die Träger der Straßenbaulast die Bundesfernstraßen in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis genügenden Zustand zu bauen, zu unterhalten, zu erweitern oder sonst zu verbessern haben; diese Bestimmung hat auch der Bundesgerichtshof nicht als Schutzgesetz zugunsten der Wegebenutzer, sondern als allein dem Allgemeininteresse dienend angesehen (Urteil vom 20. März 1967 - III ZR 29/65 - NJW 1967, 1325 ).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 GKG.
Dr. Diefenbach, Prof. Dr. Bank, Dr. Storost.
Gericht | BVerwG |
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Datum | 19.03.1997 |
Normen | § 138 VwGO, § 2 EKrG |
Stichworte | Rüge der unvorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts; Eisenbahnkreuzung; höhengleicher Bahnübergang; Verkehrssicherungspflicht; Pflicht zum Bau von Überführungen und Drittschutz; |
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