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VG Schleswig, Urteil vom 23.10.2019

Az.: 3 A 75/18

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Urteil

[...]

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Bescheides des Beklagten, mit dem auf Antrag der Beigeladenen Grundstücke mit Gleisanlagen in Flensburg von Bahnbetriebszwecken nach § 23 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) freigestellt wurden.

Es geht um Grundstücke mit Gleisanlagen, die ehemals für die Hafenbahn Flensburg als sog. Industriestammgleise von angeschlossenen Betrieben genutzt wurden. Die entsprechenden Flurstücke befinden sich nördlich des ZOB und der ehemaligen Weiche 3 im Seehafen Flensburg auf der West- und Ostseite der Flensburger Förde. Beide Arme der Hafenbahn wurden am Südende der Förde im Bereich des ZOB bei der „Weiche 3“ zusammengeführt; von dort wurden sie über ein von der DB Netz AG betriebenes Zuführungsgleis zu einer Weiche im Bereich Wilhelminenthal geführt, wo dann Anschluss an die Bahnstrecke Neumünster-Flensburg (Strecke 1040) bestand.

Auf der Westseite der Behörde führen die betroffenen Gleisanlagen von der Grenze des Flurstücks 685 (ca km 177,525) bis zu einem Prellbock auf dem Flurstück 13. Diese Hafengleise dienten dem Anschluss der Stadtwerke Flensburg GmBH an das DB-Netz. Diese Nutzung wurde schon vor langer Zeit aufgegeben. Ein Infrastrukturanschlussvertrag zwischen den Stadtwerken und der DB 1999 wurde zum 31.12.2013 mangels Bedarf gekündigt. Mit Schreiben vom 16.12.2013 beantragten die Stadtwerke beim damals hierfür zuständigen Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr die Stilllegung ihrer Gleisanlagen und begehrten den Widerruf der Genehmigung als Eisenbahninfrastrukturunternehmen. Der Landesbetrieb erließ am 5. Februar 2014 einen -entsprechenden Widerrufsbescheid und verlangte eine Sicherung, dass die Eisenbahninfrastruktur nicht mehr durch Eisenbahnfahrzeuge befahren werden könne. Im November 2014 verfüllten die Stadtwerke Flensburg teilweise die Rillenschienen mit Asphalt, so dass das westliche Hafengleis nicht mehr durchgehend für Eisenbahnfahrzeuge nutzbar war.

Auf der Ostseite führen die betroffenen Gleisanlagen von der Grenze des Flurstücks 352 (ca. km 177,875) bis zum Ende des Kaikantengleises auf Flurstück 130; Zweck war der Anschluss der im Hafen ansässigen Unternehmen an das öffentliche Eisenbahnnetz. Ein solcher Güterverkehr wurde vor langer Zeit aufgegeben. Teilweise gibt es dort keine Gleise mehr bzw. die Gleistrasse ist tlw. überbaut (nördlich der Einmündung der Nordstraße). Das Eisenbahnbundesamt genehmigte auf Antrag der DB Netz AG mit Bescheid vom 16.10.2001 den Rückbau der Weiche 3, so dass fortan keine Verbindung zum Schienennetz der DB Netz AG mehr bestand. Später -im Jahre 2015- genehmigte das EBA auch den Rückbau der Weiche 120 (Wilhelminenthal), die den Anschluss zwischen dem Schienennetz der DB Netz AG und dem Zuführungsgleis 1002 bis zur Weiche 3 ermöglichte.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Übersichtspläne (Bl. 265,266 der Beiakte; Anlagen zum angefochtenen Bescheid) Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 12. September 2017 (Bl. 28) beantragte die Oberbürgermeisterin der Stadt Flensburg die Freistellung der Gleisanlagen der städtischen Hafenbahn von Bahnbetriebszwecken nach § 23 AEG. Wegen der Begründung des Antrages und der beigefügten Unterlagen wird auf den Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Nachdem das Vorhaben öffentlich bekannt gemacht wurde, gingen drei negative Stellung nahmen ein, darunter eine Stellungnahme der Klägerin. Die Klägerin machte geltend, die Aufrechterhaltung der Hafenbahn wäre im Rahmen eines schienengebundenen Personennahverkehrs (SPNV) zum Zwecke einer Verbindung zur Innenstadt nützlich.

Mit Bescheid vom 19. Februar 2018 verfügte der Beklagte antragsgemäß die Freistellung von Bahnbetriebszwecken nach § 23 AEG für die Hafenbahn Flensburg (Ost und Westufer) mit Wirkung vom 1. September 2017 (bezogen auf bestimmte Grundstücke).

Die Freistellungsvoraussetzungen würden vorliegen. Es gehe um Betriebsanlagen einer Eisenbahn, ein aktuelles Verkehrsbedürfnis besteht nicht und auch eine langfristige bahnspezifische Nutzung sei nicht zu erwarten. Eine vorherige Stilllegung nach § 11 AEG sei nicht erforderlich, da es sich nicht um eine Eisenbahninfrastruktureinrichtung handele.

Zwar hätten drei Eisenbahnverkehrsunternehmen widersprochen, aber das angemeldete Nutzungsinteresse müsse ernsthaft und nachvollziehbar sein. Das sei nicht der Fall. Es sei nicht ersichtlich, dass die freizustellen Gleisanlagen langfristig für den SPNV genutzt werden könnten. Die Infrastruktur sei in der jetzigen Form nicht ausgelegt für die Nutzung für den SPNV. Ein Ausbauen bzw. eine Ertüchtigung sei nicht beabsichtigt. Die dargestellte beabsichtigte Nutzung sei deshalb so vage, dass eine langfristige bahnspezifische Nutzung nicht zu erwarten sei.

Am 19. März 2018 hat die Klägerin Klage erhoben.

Die Klägerin trägt vor:

Eine Klagebefugnis ergebe sich für sie, weil sie als betroffenes übernahmewilliges Eisenbahninfrastrukturunternehmen in ihren subjektiven Rechten verletzt werde. Sie befinde sich mit der DB-Netz AG im Rahmen eines Verfahrens nach § 11 AEG (für das vorgenannte Zuführungsgleis) in Übernahmeverhandlungen hinsichtlich der Strecke 1002 Abzweig Wilhelminenthal bis Flensburger Hafen. Sie werde damit im Sinne von § 23 Absatz 2 AEG unmittelbar angrenzendes Eisenbahninfrastrukturunternehmen werden. Die Infrastruktur werde dann über die wieder einzubauende Weiche 120 an das Schienennetz der DB angeschlossen. Der Nahverkehrsverbund Schleswig-Holstein plane, die Infrastruktur der Strecke 1002 zumindest bis Flensburg Alter Bahnhof/ZOB für den SPNV zu nutzen. Es gebe einen Trassensicherungsvertrag zwischen der Klägerin und dem Land Schleswig-Holstein vom 5. Juni 2019 betreffend die Sicherung der Eisenbahninfrastruktur zwischen Flensburg Wilhelminenthal und Flensburg Hafen/ZOB. Angesichts der Planungen der Stadt Flensburg wäre es sinnvoll, die Altstadt zu erschließen. Entsprechendes gilt für den Bereich Ost.

Es hätte hier nicht nach § 23 AEG verfahren werden dürfen. Eine vorherige Stilllegung nach § 11 AEG sei zu Unrecht unterblieben. Entgegen der Darstellung des Ministeriums gehe es um Infrastruktureinrichtungen, die als Strecken zu bewerten seien. Sie hätten Streckennummern durch die DB als Infrastrukturbetreiberin erhalten (1002 bzw. 1003). Diese Strecken seien mindestens bis zu einem (früher vorhandenen gewesenen) „Hafenbahnhof“ auf der Hafenwestseite bis zum 27.8.1970 als Hauptstrecke im Sinne der EBO eingestuft gewesen. Danach seien diese Strecken als Nebenbahn weiterbetrieben worden, ab Oktober 1972 nach den Regularien des sogenannten Zugleitbetriebes. Eine weitere Herabstufung zu einem sogenannten Bahnhofsnebengleis des Bahnhofes Flensburg-Weiche sei nicht im Rahmen eines Stilllegungsverfahrens nach § 11 AEG geschehen.

Zumindest die Hafenbahn 1003 (West) sei somit nicht nur Serviceeinrichtung, sondern eine Strecke. Daher hätte es ein Stilllegungsverfahren nach § 11 AEG geben müssen.

Auch die Voraussetzungen von § 23 AEG seien nicht erfüllt: Hier sei von einem Unternehmen ein langfristiges Interesse an der Nutzung geäußert worden. Entgegen der Darstellung des Ministeriums sei langfristig eine Nutzung im Rahmen der Zweckbestimmung durchaus zu erwarten, denn die Klägerin und auch die Freunde des Schienenverkehrs Flensburg e. V. möchten die Infrastruktur der Hafenbahn im Rahmen von touristischen Zugfahrten wieder befahren. Einziges Hindernis dafür sei der fehlende Anschluss bei Weiche 120 (Abzweig Wilhelminethal) bzw. der Weiche 3 nördlich des alten Bahnhofs. Dass die Anschlussweiche (Weiche 120) zur DB Strecke 1040 derzeit zurückgebaut sei, sei unerheblich, denn die Klägerin habe nach § 13 AEG ein unbedingtes Anschlussrecht und würde in entsprechende Verhandlungen eintreten.

Erforderlich sei hier im Übrigen als Gegenstück zur Planfeststellung nach § 18 AEG eine förmliche Entwidmungserklärung bzw. eine Planfeststellung. Angebracht sei folgende Reihenfolge: erst Stilllegung, dann Planfeststellung und zuletzt das Freistellungsverfahren. Jedenfalls müssten die Rechte privater Dritter bei einer Entscheidung nach § 23 AEG mit abgewogen werden.

Die Klägerin beantragt, den Freistellungsbescheid des Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus des Landes Schleswig-Holstein vom 19.2.2018 aufzuheben.

Der Beklagte und die Beigeladene beantragen, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor:

Die Klage sei unzulässig und auch unbegründet.

Die Klägerin sei nicht klagebefugt, da sie durch den Freistellungsbescheid nicht in ihren Rechten verletzt sein könne. § 23 AEG vermittele der Klägerin nach der Schutznormtheorie kein subjektiv öffentliches Recht. Nach ständiger Rechtsprechung bezwecke § 23 AEG nicht den Schutz solcher Dritter, die weder Adressat des Freistellungsbescheides noch antragsberechtigt am Freistellungsverfahren seien (u.a. OVG Schleswig, Urteil vom 18. August 2009). So sehe das auch die Kommentarliteratur.

Die Klage sei auch unbegründet, denn die Voraussetzungen des § 23 AEG würden vorliegen. Es fehle ein Verkehrsbedürfnis und langfristig sei eine Nutzung der Infrastruktur im Rahmen der Zweckbestimmung nicht mehr zu erwarten.

Ein aktuelles Verkehrsbedürfnis für die Anlagen, die als Serviceeinrichtungen anzusehen seien, bestehe nicht. De Anlagen würden seit mehreren Jahren nicht mehr bahnspezifisch genutzt.

Eine langfristige bahnspezifische Nutzung in Zukunft sei nicht zu erwarten. Die Beurteilung richtet sich nach dem jeweiligen äußeren Erscheinungsbild und objektiven Funktion der Einrichtung. Eine Nutzung der Gleisanlagen als Industriestammgleis sei nicht mehr zu erwarten. Eine anderweitige bahnspezifische Nutzung etwa für den Personenverkehr entspreche nicht der Zweckbestimmung der Gleisanlagen. Sie seien nicht für den Personenverkehr ausgelegt, ein Ausbau sei nicht beabsichtigt. Im landesweiten Nahverkehrsplan sei nur die Strecke bis zum ZOB als langfristig sicherungswürdig eingestuft.

Ein Stilllegungsverfahren nach § 11 sei nicht erforderlich. Die betroffenen Gleisanlagen seien bereits stillgelegt worden, bevor mit der AEG-Novelle 2016 der Anwendungsbereich des Stilllegungsverfahrens auf Serviceeinrichtungen erweitert worden sei.

Jedenfalls wäre hinsichtlich der Hafenbahn West ohnehin eine Stilllegungsfiktion eingetreten. Auf den Antrag der Stadtwerke vom 16. Dezember 2013 habe die zuständige Aufsichtsbehörde nämlich nicht innerhalb der Frist von 3 Monaten entschieden. Diese sei davon ausgegangen, dass ein formelles Bewilligungsverfahren nicht erforderlich sei. Damit wäre nach § 11 Abs. 2 und 3 AEG a. f. die Fiktion der Stilllegung eingetreten.

Eine Aufhebung des Freistellungsbescheides komme im Übrigen allenfalls für die Flurstücke in Betracht, für die am 30. Oktober 2017 Einspruch eingelegt worden sei.

Die Beigeladene hat keine schriftliche Stellungnahme abgegeben. Sie hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass sie den Standpunkt des Beklagten teile.

Der Rechtsstreit wurde dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang.

 

Gründe:

Die Anfechtungsklage der Klägerin ist unzulässig, weil es ihr an der nach § 42 Abs. 2 VwGO erforderlichen Klagebefugnis fehlt.

Gemäß § 42 Abs. 2 VwGO ist eine Anfechtungsklage, soweit - wie hier- gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn der Kläger bzw. die Klägerin geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen bzw. ihren Rechten verletzt zu sein. Die bloße Behauptung einer rechtlichen Betroffenheit genügt dabei nicht, vielmehr ist es erforderlich, dass die Verletzung von Rechtssätzen als möglich erscheint, die auch dem Schutz der Interessen von Personen zu dienen bestimmt sind, die sich in der Lage des Klägers bzw. der Klägerin befinden. Daran fehlt es, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die vom Kläger geltend gemachten Rechte bestehen oder ihm zustehen können (Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2019, § 40 Rn 65 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts).

Nach diesen Kriterien ist eine mögliche Verletzung von Rechten der Klägerin hier nicht festzustellen.

Gemäß § 23 Abs. 1 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) stellt die zuständige Planfeststellungsbehörde für Grundstücke, die Betriebsanlage einer Eisenbahn sind oder -auf denen sich Betriebsanlagen einer Eisenbahn befinden, auf Antrag des Eisenbahninfrastruktur Unternehmens, des Eigentümers des Grundstücks oder der Gemeinde, auf deren Gebiet sich solche Grundstück befinden, die Freistellung von den Bahnbetriebszwecken fest, wenn kein Verkehrsbedürfnis mehr besteht und langfristig eine Nutzung der Infrastruktur im Rahmen der Zweckbestimmung nicht mehr zu erwarten ist.

Hinsichtlich des Regelungszwecks des § 23 Abs. 1 AEG und der Bedeutung der in § 23 Abs. 2 AEG vorgesehenen Einholung von Stellungnahmen hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 21.4.2010 (7 B 39/09) zutreffend folgendes ausgeführt:

Die mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des AEG eingefügte Vorschrift des § 23 AEG regelt die Frage, wann und unter welchen Voraussetzungen für Bahngrundstücke die Wirkungen der Planfeststellung enden, wann also insbesondere der Fachplanungsvorbehalt (§ 38 BauGB) durch das allgemeine (Bau)Planungsrecht abgelöst wird (Hermes/Sellner, AEG, 1. Aufl. 2006, § 23 Rn. 2). Der Gesetzgeber hat damit die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 16. Dezember 1988 - BVerwG 4 C 48.86 Buchholz 406.11 § 38 BauGB Nr. 4 = BVerwGE 81, 111 ff.) zur „Entwidmung“ von Bahnanlagen aufgegriffen. Das Freistellungsverfahren stellt sicher, dass eine bahnfremde Nutzung erst dann möglich ist, wenn die öffentlichen Belange, die für eine Nutzung gemäß der ursprünglichen Zweckbestimmung sprechen, mit Zeitablauf ihr Gewicht nahezu vollständig eingebüßt haben (BTDrucks 15/4419 S. 18). Die Freistellung ist - wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt, der die Rechtswirkungen der Planfeststellung (und der Widmung) beseitigt und den rechtlichen Zustand wiederaufleben lässt, in dem sich das Grundstück vor der Belastung mit dem Fachplanungsvorbehalt befunden hat. Mit ihr sind daher für den Grundstückseigentümer in der Regel nur rechtliche Vorteile verbunden. Ob und, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen die Aufhebung einer Freistellung für den Grundstückseigentümer ausnahmsweise mit rechtlichen oder tatsächlichen Nachteilen verbunden sein kann und er deshalb über ein Rechtsschutzbedürfnis für eine dagegen gerichtete Anfechtungsklage verfügt, lässt sich nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise klären und würde sich vorliegend auch nicht stellen. Denn das Interesse an der Aufhebung der Freistellung, das die Klägerin geltend macht, folgt nicht aus ihrer Stellung als Eigentümerin, sondern als (anschließendes) Eisenbahninfrastrukturunternehmen. In dieser Eigenschaft kann sie Erwägungen, die gegen die Freistellung einer Betriebsanlage von Bahnbetriebszwecken sprechen, im Rahmen der Beteiligung nach § 23 Abs. 2 AEG, die hier zu Unrecht unterblieben ist, geltend machen. Dabei dient das Stellungnahmeverfahren nach § 23 Abs. 2 AEG - wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend betont hat - nicht dazu, eigene Rechte der in Absatz 2 aufgeführten Stellen zu wahren, sondern verfolgt den Zweck, Erkenntnisse und Informationen zu gewinnen, die für die Entscheidung über die Freistellung von Bedeutung sein können (BTDrucks 15/4419 S. 19). Für diese Entscheidung ist allein maßgeblich, ob aktuell kein Verkehrsbedürfnis mehr besteht und auch langfristig eine eisenbahnspezifische Nutzung der betroffenen Grundstücke nicht mehr zu erwarten ist“.

Unter Berücksichtigung dieser Grundlagen und angesichts des Wortlaut von § 23 AEG kann der Vorschrift keine drittschützende Wirkung für Personen beigemessen werden, die weder materielle Adressaten des Freistellungsbescheides noch antragsberechtigt im Freistellungsverfahren sind. Ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen, dessen Eisenbahninfrastruktur an die von einem Antrag auf Freistellung vom Bahnbetriebswerk betroffene stillgelegte Eisenbahninfrastruktur anschließt, hat allein deswegen noch keine Klagebefugnis für die Anfechtung der Freistellungsverfügung (OVG Lüneburg, Urteil vom 28.5.2000 14,7 LC 16/13; Hermes, AEG, 2. Aufl., § 23 Rn. 53). Jedenfalls fehlt es in solchen Fällen an einer entsprechenden Rechtsverletzung solcher Dritter (vgl. OVG Schleswig, Urteil vom 18. August 2009,4 KS 6/08; BVerwG, Beschluss vom 21.4.2010, 7 B 39/09; Bayerischer VGH, Urteil vom 9. Juli 2013,22 B 13.475).

Eine mögliche Verletzung von Rechten der Klägerin käme daher nur dann in Betracht, wenn es hier um Grundstücke ginge, auf denen sich noch nicht stillgelegte Betriebsanlagen einer Eisenbahn, oder ohne eine nach § 11 AEG erforderliche Genehmigung stillgelegte Betriebsanlagen einer Eisenbahn befinden. Da der Gesichtspunkt der Stilllegung von Betriebsanlagen auch im Rahmen von § 23 AEG von Bedeutung ist (vgl. hierzu die vorstehend zitierten Rechtsprechung), und nach Sinn und Zweck des § 11 AEG einiges dafür spricht, dass diese Vorschrift für übernahmewillige Eisenbahninfrastrukturunternehmen eine drittschützende Wirkung bezüglich der geregelten Verhandlungspflicht hat (so z.B. Hermes, AEG, 2. Auflage, § 11 RN 84 ff), wäre in einem solchen Fall eine Verletzung eines Anspruchs auf Gewährung der Chance auf Übernahme der Eisenbahninfrastruktur als möglich anzusehen.

Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor.

Die streitige Freistellung von Bahnbetriebszwecken betrifft Grundstücke mit Gleisanlagen, die als vor der Freistellung bereits rechtmäßig stillgelegte Serviceeinrichtung anzusehen sind. In einem solchen Fall ist die Verletzung von Rechten eines übernahmewilligen Eisenbahninfrastrukturunternehmens nicht möglich. Auch die Verletzung von Zugangsrechten durch eine Entscheidung nach § 23 AEG kommt in einem solchen Fall unter keinem Gesichtspunkt in Betracht, da es keine gesetzlich begründeten Zugangsrechte zu stillgelegten Eisenbahnbetriebsanlagen gibt.

Die Gleisanlagen der Hafenbahn Flensburg entlang des Ufers der Flensburger Förde sind als eine Eisenbahnanlage in einem Seehafen anzusehen, so dass gemäß § 2 Abs. 9 AEG iVm Anlage 2 Ziffer 2 ERegG die Regelungen für Serviceeinrichtungen anzuwenden sind. Dies entspricht den unionsrechtlichen Vorgaben hierzu in Art 3 Nr. 11 iVm Anlage II Nr. 2 g der Richtlinie 2012/34/EU.

Auch die Klägerin hatte im Rahmen der Klagebegründung zunächst zutreffend den Standpunkt vertreten, dass es hier um eine Serviceeinrichtung gehe. Soweit sie nunmehr den Standpunkt vertritt, es handele sich ausschließlich um eine „Strecke“ (zur Definition dieses Begriffs vgl. Hermes, AEG, 2. Auflage, § 11 RN 28), teilt das erkennende Gericht nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung diese Auffassung nicht.

Die Klägerin argumentiert unter Hinweis auf eine Schrift von Boljahn, Harbeck, Klein und Wagner (Die Eisenbahn in Flensburg) damit, die „Strecken 1002 und 1003“ seien mindestens bis zu einem „Hafenbahnhof“ auf der Hafenwestseite bis zum 27.8.1970 als Hauptstrecke -im Sinne der EBO eingestuft gewesen seien, und danach seien diese Strecken als Nebenbahn weiterbetrieben worden, ab Oktober 1972 nach den Regularien des sogenannten Zugleitbetriebes; eine Stilllegung zu einem sogenannten Bahnhofsnebengleis des Bahnhofes Flensburg-Weiche habe es nicht gegeben.

Der tatsächliche Hintergrund dieser Argumentation, die erst kurz vor der mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingeführt wurde, ließ sich in der mündlichen Verhandlung nicht abschließend klären. Die Vertreter der Beigeladenen sahen sich nicht in der Lage, konkrete Angaben hierzu, insbesondere zu einem Hafenbahnhof an der Westseite der Förde zu machen. Die vorbezeichnete, von der Klägerin ausgewertete Schrift „Die Eisenbahn in Flensburg“ bietet bezüglich eines Hafenbahnhofs auf der Westseite der Förde keinen hinreichenden Aufschluss.

Es besteht aus Sicht des erkennenden Gerichts kein Anlass, den Sachverhalt zu diesem neuen Vorbringen weiter aufzuklären, da das tatsächliche Vorbringen der Klägerin nicht der rechtlichen Bewertung entgegensteht, dass die schon vor Jahrzehnten so bezeichnete „Hafenbahn“ eine Serviceeinrichtung – eventuell aufspaltbar in einen West- und Ostteil - unter dem Gesichtspunkt einer Eisenbahnanlage in einem Seehafen ist. Ein eventuell auf der Westseite der Förde früher vorhandener „Hafenbahnhof“ wäre, wie die Bezeichnung nahelegt, Teil der Hafenbahn gewesen, und wäre somit als Teil dieser Serviceeinrichtung anzusehen gewesen. Diese Betrachtungsweise entspricht der weiten Definition des Begriffes der Serviceeinrichtungen im Rahmen von § 2 Abs. 9 AEG. Danach sind Serviceeinrichtungen Anlagen, unter Einschluss von Grundstück, Gebäude und Ausrüstung, um eine oder mehrere der in Anlage 2 Nummer 2 bis 4 des Eisenbahnregulierungsgesetzes genannten Serviceleistungen erbringen zu können; gemäß der damit in Bezug genommenen Regelung in der Anlage 2 Nummer 2 Satz 3 des Eisenbahnregulierungsgesetzes ist klargestellt, dass für „Eisenbahnanlagen in See- oder Binnenhäfen“ die Regelungen für Serviceeinrichtungen anzuwenden sind. Darum geht es hier.

Diese Serviceeinrichtung ist schon vor der Einführung einer Genehmigungspflicht für die Stilllegung von Serviceeinrichtungen (Erweiterung von § 11 Abs. 1 AEG) mit dem am 2.9.2016 in Kraft getretenen Art. 2 Nr. 8 des Gesetzes von 29.8.2016 (BGBl. I. S. 2122) konkludent stillgelegt worden. Vor dem 2.9.2016 bedurfte es für die Stilllegung von Serviceeinrichtungen keiner Genehmigung nach § 11 AEG.

Die Stilllegung der Hafenbahn schon deutlich vor der Gesetzesänderung erfolgte wegen des schon vor Jahrzehnten weggefallenen Bedarfs für den Betrieb dieser Serviceeinrichtung (Gütertransport), und manifestierte sich schon vor dem Jahre 2016 deutlich nach außen (Westseite: teilweise Verfüllung der Schienen im November 2014; Ostseite: Rückbau der Weiche 3 sowie Überbau von Gleisen nördlich der Einmündung der Nordstraße). Die Stilllegung dieser Serviceeinrichtungen bedurfte deshalb damals keiner Genehmigung und war ohne weiteres rechtmäßig. Daher kann sich hier auch aus § 11 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 1 a AEG nicht die Möglichkeit einer Verletzung von Rechten der Klägerin ergeben.

Zum Zeitpunkt der streitigen Freistellung von Bahnbetriebszwecken war auch keine Verletzung von Zugangsrechten zu der Serviceeinrichtung nach § 13 Abs. 1 AEG oder nach Art. 10 Eisenbahnregulierungsgesetz (ERegG) mehr möglich, denn Zugangsrechte für Betreiber anderer, insbesondere angrenzender Eisenbahnen kommen nach diesen Vorschriften nur bezüglich vorhandener Bahnanlagen in Betracht. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 10 der Richtlinie 2012/34/EU (Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums), vielmehr sieht auch diese Richtlinie den Zugang zu Serviceeinrichtungen („See- und Binnenhafenanlagen mit Schienenverkehr“) nur vor, „soweit vorhanden“ (vgl. Anhang II, Nr. 2 g der Richtlinie).

Wenn die Klage entgegen der vorstehend vertretenen Auffassung zulässig wäre, wäre sie aus den vorstehend angesprochenen Gründen jedenfalls mangels Verletzung von Rechten der Klägerin unbegründet. Eine Verletzung eigener Rechte wäre im Rahmen der Begründetheit der Klage nur bezüglich eines Verstoßes gegen die Verhandlungspflicht mit übernahmewilligen Eisenbahninfrastrukturunternehmen nach § 11 AEG in den Blick zu nehmen. Ein solcher Gesetzesverstoß liegt nicht vor, da –wie ausgeführt – eine solche Verhandlungspflicht hier nicht bestand. Was die Berücksichtigung verkehrlicher und wirtschaftlicher Belange im Rahmen von § 11 angeht, ist die Vorschrift nicht drittschützend, so dass ein eventueller Fehler dabei keine Rechte der Klägerin verletzen würde (vgl. hierzu Hermes, aaO, S 11 RN 89).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO.

Es bestand hier kein Anlass, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aus Billigkeitsgründen der Klägerin aufzuerlegen (162 Abs. 3 VwGO), denn die Beigeladene hat in diesem Verwaltungsrechtsstreit keine schriftsätzliche Stellungnahme abgegeben, und hat auch sonst nicht in einem erheblichen Umfang an der Klärung der Sach- und Rechtslage mitgewirkt.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Gericht VG Schleswig
Typ Urteil
Datum 23.10.2019
Normen § 2 Abs. 9 AEG, § 11 AEG, § 23 Abs. 1 AEG, § 23 Abs. 2 AEG, Anlage 2 Nummer 2 ERegG, § 42 Abs. 2 VwGO
Stichworte Klagebefugnis, Drittschutz, Freistellung, Stilllegung, Eisenbahnanlagen in Seehäfen

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