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OLG Naumburg, Urteil vom 22.07.2015

Az.: 5 U 211/14

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Tenor:

In dem Rechtsstreit

Klägerin und Berufungsklägerin,

gegen Beklagte und Berufungsbeklagte,

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 22. Juli 2015 […] für Recht erkannt:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 13. Oktober 2014 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Halle abgeändert. Der Klageanspruch wird dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Hinsichtlich des Betrags des Anspruchs wird die Sache an das Landgericht Halle zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert für den Berufungsrechtszug beträgt _ _ _ €.

 

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Nichtzurverfügungstellung einer Bahnstrecke auf Zahlung von _ _ _ € Schadensersatz in Anspruch. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass die sich aus § 14 Abs. 1 S. 1 AEG ergebende Verpflichtung von Eisenbahninfrastrukturunternehmen, die diskriminierungsfreie Benutzung der von ihnen betriebenen Eisenbahninfrastruktur und die diskriminierungsfreie Erbringung der von ihnen angebotenen Leistungen zu gewähren, nicht die Verpflichtung umfasse, hierzu eine in nicht betriebsbereiten Zustand übernommene Strecke in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens in vollem Umfang weiter.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung die Beklagte zu verurteilen, _ _ _ € netto nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05. August 2013 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von _ _ _ € netto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05. August 2013 zu zahlen,

hilfsweise, den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären und die Sache hinsichtlich des Betrags des Anspruchs an das Landgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache (dem Grund des Anspruchs nach) Erfolg. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 14 Abs. 6 AEG sowie § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 14 Abs. 1 AEG wegen der Nichtzurverfügungstellung der Bahnstrecke

Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, kommt dem Bescheid der Bundesnetzagentur vom 30. April 2012, wonach die Beklagte verpflichtet ist, die Strecke zur Verfügung zu stellen und sie zu diesem Zweck herzustellen, zwar keine Bindungswirkung für die Zivilgerichte zu (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., § 43, Rn. 128, 130). Der vorgenannte Bescheid ist aber inhaltlich in jeder Hinsicht richtig, weil die sich aus § 14 Abs. 1 AEG ergebende Verpflichtung von Eisenbahninfrastrukturunternehmen zur Gewährung eines diskriminierungsfreien Zugangs nach der insoweit eindeutigen und auch überzeugenden Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt, auch die Verpflichtung beinhaltet, diese Strecke ggf. wieder in einen betriebssicheren Zustand zu versetzen. Die Entscheidung, welcher Verkehr auf welchen Strecken stattfinden soll, liegt nämlich zunächst bei den Eisenbahnverkehrsunternehmen, deren Entscheidungsfreiheit nicht dadurch geschmälert werden soll, dass das vorhandene Netz unter Umgehung der für die Stilllegung von Strecken vorgesehenen Regeln in einem teilweise nicht betriebssicheren Zustand vorgehalten wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 25. Oktober 2007, 3 C 51/06, Leitsatz Nr. 1 sowie Rn. 14, 23, 26, 29, zitiert nach juris). Die Beklagte kann sich deshalb auch nicht darauf berufen, dass sie für einen Teilabschnitt der Strecke ursprünglich über keine Genehmigung nach § 7f AEG verfügte, denn diese Genehmigung knüpfte allein an das Vorhandensein der Betriebssicherheit an, deren Wiederherstellung aber gerade Aufgabe der Beklagten war (siehe oben), sodass die Beklagte sofort nach Übernahme der Strecke deren Betriebssicherheit hätte wiederherstellen und die (später ja auch erhaltene) Genehmigung hätte einholen müssen.

Dass die Beklagte ohne Verschulden, welches gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet wird, an der sofortigen Wiederherstellung der Strecke verhindert war, ist weder vorgetragen noch ersichtlich; vielmehr hat die Beklagte ihre gesamte Rechtsverteidigung allein auf die unzutreffende Annahme gestützt, zur Wiederherstellung der Strecke nicht verpflichtet gewesen zu sein.

Daran, dass der Klägerin durch die Nichtzurverfügungstellung der Strecke mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden entstanden ist (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 304, Rn. 6), hat der Senat keine Zweifel. Hinsichtlich der bestrittenen (Bl. 38, 124 f I d.A.) Schadenshöhe (Bl. 2, 15 ff, 52 f I, 24, 72 f II d.A.) ist die Sache allerdings noch nicht entscheidungsreif, sodass der Senat auf den entsprechenden Hilfsantrag der Klägerin gem. § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO verfahren ist.

III.

Eine Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits ist im Hinblick auf die erfolgte Zurückverweisung zur Anspruchshöhe nicht veranlasst (vgl. Zöller-Heßler, ZPO, 29. Aufl., § 538, Rn. 58).

Auch ein die erstinstanzliche Entscheidung aufhebendes und zurückverweisendes Urteil ist gem. § 708 Nr. 10 ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären, weil aus ihm die Vollstreckung insoweit betrieben werden kann, als erst seine Vorlage das Vollstreckungsorgan gem. §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO nötigt, eine eingeleitete Vollstreckung aus dem aufgehobenen Urteil einzustellen und getroffene Maßnahmen aufzuheben (vgl. OLG München, RPfleger 1982, 11; OLG Karlsruhe, JZ 1984, 635).

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO).

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde gem. §§ 43 Abs. 1, 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO festgesetzt.

Gericht OLG Naumburg
Typ Urteil
Datum 22.07.2015
Normen § 280 Abs. 1 BGB, § 14 Abs. 6 AEG, § 14 Abs. 1 AEG, § 823 Abs. 2 BGB
Stichworte Schadenersatz, Netzzugang, Nichtzurverfügungstellung der Bahnstrecke, Haftung, Bindungswirkung

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