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OLG Dresden, Beschluss vom 16.06.2016

Az.: 10 U 1781/14; 1 O 265/14 EV (3)

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Beschluss

Die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 12.11.2014 - 1 O 265/14 EV (3) - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Angabe in der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Görlitz vom 22.09.2014

- „Bahn-km 15,63“ durch die Angabe „Bahn-km 15,36“ und

- „Bahn-km 43,98“ durch die Angabe „Bahn-km 42,98“

ersetzt wird.

Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf XX.XXX,XX EUR festgesetzt.

 

Gründe:

I.

Der Verfügungsklägerin wurde am 19.09.2008 vom Ministerium für Landwirtschaft und Verkehr des Landes Sachsen-Anhalt (fortan: MLV) gemäß § 6 Abs. 3 Nr. 3 AEG eine Genehmigung zum Betreiben der öffentlichen Eisenbahninfrastruktur zwischen Halle (Saale)- Nietleben Bahn-km 3,6 und Hettstedt Bahn-km 44,6 einschließlich der im räumlichen Umfang befindlichen Eisenbahninfrastruktur erteilt (Anlage AST 1, Bl. 8/10 dA). Sie will, gestützt auf diese Genehmigung, im Wege der einstweiligen Verfügung erreichen, dass der Verfügungsbeklagten, die Eigentümerin eines Großteils der Streckengrundstücke ist, untersagt wird, auf der Eisenbahnstrecke 6800 zwischen Halle (Saale) - Nietleben ab Bahn-km 4,85 bis Hettstedt Bahn-km 44,6 mit Ausnahme von vier Abschnitten Abrissarbeiten, Rückbaumaßnahmen und Abbrucharbeiten an der dort befindlichen Eisenbahninfrastruktur durchzuführen und der Eisenbahninfrastruktur dienende Gegenstände zu entfernen.

Die Verfügungsklägerin und die frühere - am 07.04.2011 mit der Verfügungsbeklagten verschmolzene - Tochter-GmBH der Verfügungsbeklagten, die E. … mbH, haben bereits im Jahre 2010 in gleicher Sache im Wege der einstweiligen Verfügung einen Rechtsstreit geführt. Das seinerzeit unter dem Az.: 10 U 649/10 vor dem Senat geführte Berufungsverfahren wurde von den damaligen Prozessparteien in der Hauptsache für erledigt erklärt, nachdem der Grundstückskaufvertrag über die streitgegenständlichen Flächen zwischen der E. … mbH und der D. AG vom 12.01.2010 (Anlage AST 2, Bl. 11 ff. dA) - nach Ausübung eines vom Landesamt für Denkmalschutz und Archäologie des Landes Sachsen-Anhalt geltend gemachten Vorkaufsrechts - „ruhend gestellt“ und der Besitz an den Grundstücken - vorübergehend - wieder an die D. AG zurückgegeben worden war. Mit Beschluss des Senats vom 13.12.2010 wurde daher nur noch über die Verteilung der Verfahrenskosten entschieden. In diesem Beschluss wurden bereits zahlreiche Rechtsfragen angesprochen, die sich nunmehr im vorliegenden Berufungsverfahren erneut stellen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des Beschlusses Bezug genommen.

Nachdem der verwaltungsgerichtlichen Klage der D. AG gegen das Land Sachsen-Anhalt wegen des Vorkaufsrechts - rechtskräftig - stattgegeben worden war (Urteil des VG Halle vom 23.08.2011 - 2 A 188/10 HAL; die Berufung wurde vom OVG Sachsen-Anhalt nicht zugelassen - 2 L 209/11), wurde der Kaufvertrag vom 12.01.2010 wieder in Vollzug gesetzt und die Verfügungsbeklagte hinsichtlich der von ihr erworbenen Grundstücke - bis auf das Flurstück Nr. xxx der Gemarkung G., dessen Vermessung noch aussteht - im Grundbuch als neue Eigentümerin eingetragen.

Mit Anwaltsschreiben vom 25.11.2013 (Anlage AST 5, Bl. 48/51 dA) erteilte die Verfügungsbeklagte der Verfügungsklägerin ein Betretungsverbot.

Am 17.09.2014 begann die Verfügungsbeklagte damit, ca. zwischen Bahn-km 39 und Bahnkm 41 (Bahnübergang Ortslage W. bis Beginn des Bahnhofs in H.) Gleise herauszureißen. Das Geschäftsmodell der Verfügungsbeklagten besteht darin, für Bahnzwecke nicht mehr benötigte Streckenbänder zu beräumen, den anfallenden Stahlschrott zu veräußern und die Strecken einer Nachnutzung z.b. als öffentliche Rad- und Skaterwege zuzuführen.

Auf Antrag der Verfügungsklägerin erließ das Landgericht Görlitz - wegen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung - mit Beschluss vom 22.09.2014 (Bl. 55/55R dA) eine einstweilige Verfügung, mit der der Verfügungsbeklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln verboten wurde, an der Eisenbahninfrastruktur, Eisenbahnstrecke 6800, zwischen Halle (Saale)- Nietleben ab Bahn-km 4,85 bis Hettstedt Bahn-km 44,6 mit Ausnahme der vier Abschnitte zwischen Bahn-km 15,63 und 17,03, Bahn-km 19,87 - 23,86, Bahn-km 32,84 - 32,945, Bahnkm 43,98 - 44,6, einschließlich der im räumlichen Umfang befindlichen Eisenbahninfrastruktur Abrissarbeiten, Rückbaumaßnahmen, Abbrucharbeiten durchzuführen und die vorgenannte Eisenbahninfrastruktur durch Maßnahmen jedweder Art in ihrem Bestand zu beeinträchtigen. Ferner wurde der Verfügungsbeklagten aufgegeben, es zu unterlassen, Gegenstände, die der Eisenbahninfrastruktur dienen und die sich auf oder an der Strecke befinden, zu entfernen oder Teile davon zu entfernen.

Nach Widerspruch der Verfügungsbeklagten hat das Landgericht mit Urteil vom 12.11.2014 - auf das wegen des Sachverhalts, des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien und der gestellten Anträge im Einzelnen verwiesen wird - die einstweilige Verfügung bestätigt. Das Landgericht ist unter Bezugnahme auf die im Beschluss des Senats vom 13.12.2010 gemachten Rechtsausführungen zu dem Ergebnis gelangt, dass die fortbestehende öffentlich rechtliche Widmung der Eisenbahninfrastruktur auf der Strecke zwischen Halle-Nietleben und Hettstedt der Verfügungsklägerin ein Nutzungsrecht vermittelt, das durch die von der Verfügungsbeklagten begonnenen Abriss- und Rückbaumaßnahmen beeinträchtigt werde. Die Verfügungsklägerin könne entsprechend § 1004 Abs. 1 BGB diese Beeinträchtigung abwehren.

Gegen das ihr am 12.11.2014 zugestellte Urteil hat die Verfügungsbeklagte am 12.12.2014 Berufung eingelegt und diese mit am 12.01.2015 eingegangenem Schriftsatz begründet. Die Verfügungsbeklagte rügt:

Die von der Verfügungsklägerin vom MLV erteilte Genehmigung nach § 6 Abs. 3 Nr. 3 AEG zum Betreiben der öffentlichen Eisenbahninfrastruktur zwischen Halle - Nietleben Bahn-km 3,6 und Hettstadt Bahn-km 44,6 sei letztlich nutzlos, weil ein Unterlassungsanspruch der Verfügungsklägerin an Umständen scheitere, die nicht Gegenstand des Genehmigungsverfahrens gewesen seien. So fehle es an

- einer zivilrechtlichen Befugnis der Verfügungsklägerin,

- überhaupt an einer den Anforderungen der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) genügenden Eisenbahninfrastruktur,

- an der Öffentlichkeit der Eisenbahninfrastruktur, weil die Öffentlichkeit und somit das „Recht zum Gemeinbrauch“ mittels dauerhafter Stilllegungs-Verwaltungsakte durch das Eisenbahnbundesamt aufgehoben worden und eine neue, erst noch zu errichtende Eisenbahninfrastruktur nicht vorhanden sei,

- an einer inhaltlich ausreichend bestimmten Genehmigung.

Hintergrund des ganzen Rechtsstreits seien willkürliche Entscheidungen des - insoweit gar nicht zuständigen - MLV, insbesondere des Verkehrsministers …, mit denen einer gewissen Clique um den xxx und seiner „Freunde der yyy e.V.“ freimütig und mit allen politischen Mitteln zu deren privaten Liebhaberei (Anschaffung und Reparatur eines Triebwagens und dessen gelegentlichen Betrieb auf einem Streckentorso) auch materielle Unterstützung geleistet werden soll. Gegen die vom MLV erteilte Betreibergenehmigung vom 19.09.2008 gehe sie deshalb auch verwaltungsgerichtlich vor (VG Halle - 6 A 8/14 HAL).

Mit der Betreibergenehmigung nach § 6 Abs. 3 Nr. 3 AEG werde nur die Geeignetheit des Antragstellers festgestellt, allgemein Betreiber der benannten öffentlichen Eisenbahninfrastruktur sein zu können. Hingegen genehmige ein solcher Verwaltungsakt nicht den Betrieb einer Eisenbahninfrastruktur und auch nicht das Betreiben ohne zivilrechtliche Befugnis. Die Verfügungsklägerin sei aber unstreitig weder Eigentümerin noch berechtigte Besitzerin und auch nicht aus sonstigen rechtlichen Gründen zu irgendeiner Nutzung der in ihrem - der Verfügungsbeklagten - Alleineigentum stehenden Grundstücke und Anlagen berechtigt.

Da § 6 Abs. 3 Nr. 3 AEG nur auf die subjektiven Voraussetzungen des Antragstellers als möglichen Betreiber (personelle Zuverlässigkeit, Fachkunde des Antragstellers und der von ihm bestellten Personen sowie finanzielle Leistungsfähigkeit des Antragstellers als Unternehmer) abstelle, sage die Genehmigung auch nichts über das Vorhandensein einer Eisenbahninfrastruktur oder das Vorhandensein von deren Öffentlichkeit aus.

Die Strecke Halle-Nietleben bis Hettstedt sei zur Hälfte - für jedermann offenkundig und erkennbar - real und körperlich nicht mehr existent, da sie mit Landwirtschaft, Bundesautobahnen, Wohnhäusern und Windparks etc. überbaut worden sei. Auf wenigen Restteilen der ehemaligen Strecke seien noch „Kadaver“ einer ehemaligen Eisenbahninfrastruktur vorhanden: kaputte Schwellen, bis zum Rand abgefahren und verrostete Schienen, Brückenruinen, ausgebaute Eisenbahnübergänge etc. Kleinere Teile der Strecke seien bereits formal nach § 23 AEG gänzlich von Eisenbahnbetriebszwecken freigestellt worden. Die gesamte Eisenbahnstrecke sei jedoch seit 1968 funktionslos und formell nach § 11 AEG in den Restabschnitten komplett seit 2005 dauerhaft stillgelegt. Mithin sei die öffentliche Nutzung der Strecke entfallen. Die Entwidmung und die dauerhaften Stilllegungen ließen sich nicht mehr rückgängig machen. Es müsste eine völlig neue Eisenbahnstrecke geplant, gebaut, errichtet und betrieben werden.

Einschlägige Rechtsprechung zu einem solchen Fall gebe es bislang nicht. Alle bisherige verwaltungs- und zivilrechtliche Rechtsprechung habe Sachverhalte zum Gegenstand gehabt, in denen - anders als hier - eine öffentliche Eisenbahn (Verkehr und Infrastruktur) noch vorhanden gewesen sei und die Parteien nur über die Möglichkeit der Fortführung des Bestehenden gestritten hätten.

 

Die Verfügungsbeklagte beantragt:

das am 12.11.2014 verkündete und am 12.11.2014 zugestellte Urteil des Landgerichts Görlitz, Az.: 1 O 265/14 EV (3), aufzuheben und den Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abzuweisen.

 

Die Verfügungsklägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie bestreitet die Behauptung der Verfügungsklägerin, dass die streitgegenständliche Eisenbahninfrastruktur, insbesondere bereits zu „DDR-Zeiten“, entwidmet worden sei. Die wenigen tatsächlich entwidmeten Grundstücke im Bereich der Gemarkung S. seien vom Tenor der einstweiligen Verfügung nicht umfasst. Soweit Streckenstilllegungen nach § 11 AEG erfolgt seien, belege dies gerade, dass es sich um öffentliche Eisenbahninfrastruktur immer gehandelt habe. Solche Streckenstilllegungen führten aber nicht zum Wegfall der Widmung. Auch sei die Strecke nicht bereits zu „DDR-Zeiten“ dadurch entwidmet worden, dass die Betriebsanlagen durch eine eindeutige Erklärung der Deutschen Reichsbahn ihre eisenbahnrechtliche Zweckbestimmung verloren hat. Ebenso wenig sei diese Zweckbestimmung infolge der tatsächlichen Entwicklung funktionslos geworden.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Auf den Antrag der Verfügungsbeklagten hat das Landgericht Görlitz - Rechtspfleger - mit Beschluss vom 21.10.2014 (Bl. 120/121 dA) angeordnet, dass die Verfügungsklägerin binnen einer Frist von 14 Tagen Klage zu erheben hat. Nach Klageerhebung wurde das unter dem Az.: 1 O 316/14 geführte Verfahren bis zum Abschluss des vorliegenden Berufungsrechtsstreits ruhend gestellt.

 

II.

Die zulässige Berufung der Verfügungsbeklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht im Wege der einstweiligen Verfügung nach §§ 935, 940 ZPO der Verfügungsbeklagten die Vornahme von Abrissarbeiten, Rückbaumaßnahmen und Abbrucharbeiten an der Eisenbahninfrastruktur auf Teilabschnitten der Eisenbahnstrecke 6800 zwischen Halle (Saale)-Nietleben ab Bahn-km 4,85 und Hettstedt Bahn-km 44,6 sowie der Entfernung von der Eisenbahninfrastruktur dienenden Gegenständen untersagt.

1.

Allerdings kann die Verfügungsklägerin einen Anspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB auf Unterlassung künftiger Beeinträchtigungen nicht auf ein Eigentumsrecht stützen, da sie unstreitig nicht Eigentümerin der Eisenbahninfrastruktur (§ 2 Abs. 3 AEG; siehe zu den Gegenständen der Eisenbahninfrastruktur im Einzelnen: Fehling in Hermes/Sellner, Beck'scher AEG-Kommentar, 2. Aufl., § 2 Rn. 55) ist.

2.

Auch ein Unterlassungsanspruch nach §§ 862 Abs. 1 S. 2, 858 Abs. 1 BGB scheidet von vorneherein aus, da nicht dargetan und glaubhaft gemacht ist, dass die Verfügungsklägerin auf den (gesamten) streitgegenständlichen Teilabschnitten der Eisenbahnstrecke 6800 die tatsächliche Sachherrschaft über die dortige Eisenbahninfrastruktur inne hat, d.h. unmittelbare Besitzerin ist. Allein die Erteilung einer Betreibergenehmigung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AEG verschafft dem Betreiber jedenfalls nicht den unmittelbaren Besitz an der Eisenbahninfrastruktur. Der possessorische Besitzschutzanspruch nach § 862 Abs. 1 BGB steht aber nur dem unmittelbaren Besitzer zu (Palandt/Bassenge, BGB, 75. Aufl., § 862 Rn. 2 und 7).

Ob durch die Betreibergenehmigung ein „ähnliches Verhältnis“ im Sinne von § 868 BGB begründet wird und dem Inhaber damit mittelbaren Besitz einräumt, kann in diesem Zusammenhang dahinstehen. Denn auch der Besitzschutzanspruch des mittelbaren Besitzers nach § 869 S. 1, 862 BGB setzt eine gegen den unmittelbaren Besitzer - hier also gegen die Verfügungsbeklagte - verübte verbotene Eigenmacht voraus und gibt dem mittelbaren Besitzer keinen Besitzschutz gegen den Besitzmittler (siehe Palandt/Bassenge, a.a.O., § 869 Rn. 1 m.w.N.).

3.

Ein Abwehrrecht der Verfügungsklägerin kann sich aber aus einem dem Eigentum gleichzusetzenden (absoluten) Recht zum Gemeingebrauch an der Eisenbahninfrastruktur entsprechend § 1004 Abs. 1 BGB ergeben.

3.1. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass derjenige, dem der Zugang zu einem (rechtlich) öffentlichen Weg versperrt wird, vom Eigentümer des im Privateigentum stehenden Wegegrundstückes die Unterlassung dieser Störung des Gemeingebrauchs nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB verlangen kann (BGH, Urteil vom 13.03.1998 - V ZR 190/97 - NJW 1998, 2058).

3.1.1. Die Bahnstrecke Halle-Nietleben - Hettstedt wurde, wie sich aus der Genehmigungsurkunde der „Hettstedter Eisenbahn“ vom 23.04.1895 (Anlage AST 11, Bl. 79/93 der beigezogenen Akte 10 U 649/10) und der Eröffnung des Bahnbetriebs auf der Strecke am 31.12.1896, jedenfalls aber aus dem Rechtsinstitut der unvordenklichen Verjährung ergibt, für Zwecke des öffentlichen Bahnverkehrs gewidmet (siehe hierzu Sächsisches OVG, Urteil vom 05.03.2014 - 1 C 28/11 - juris Rn. 68; BVerwG, Urteil vom 12.04.2000 - 11 A 23.98 - juris Rn. 44; siehe zum Rechtszustand vor Inkrafttreten des durch die 3. AEG-Novelle vom 27.04.2005 eingefügten § 23 AEG: Hermes in Hermes/Sellner, a.a.O., § 23 Rn. 7 ff.). Eine solche Widmung wirkt in der Weise fort, dass nach dem jeweiligen Überleitungsrecht der Fachplanungsvorbehalt, d.h. hier die Wirkung der eisenbahnrechtlichen Planfeststellung, auch für sogenannte Altstrecken gilt (Hermes in Hermes/Sellner, a.a.O., § 23 Rn. 16 m.w.N.).

3.1.2. Die Verfügungsbeklagte hat nicht ausreichend glaubhaft gemacht, dass die Eisenbahnstrecke Halle-Nietleben - Hettstedt bereits zu DDR-Zeiten (oder danach) vollständig entwidmet wurde und es deshalb von vorneherein der Verfügungsklägerin an jeglicher Sachbefugnis für die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs mangelt.

3.1.2.1. Zum einen kann eine Bahnanlage ihre rechtliche Zweckbestimmung durch einen eindeutigen Hoheitsakt verlieren, der für jedermann klare Verhältnisse darüber schafft, ob und welche Flächen künftig wieder für andere Nutzungen offenstehen. Dieses Erfordernis für eine 'Entwidmung' gilt auch für die Aufgabe von Bahnanlagen und deren Zuführung zu anderen Nutzungszwecken in der ehemaligen DDR. Dort wurden Betriebseinstellungen und Streckenstilllegungen üblicherweise in Form von Einzelverfügungen durch das Ministerium für Verkehr angeordnet. Auf dieser Grundlage konnten der Abbau von Bahnanlagen und der einer Umnutzung regelmäßig vorausgehende Rechtsträgerwechsel vorgenommen werden. Gab es aber in der DDR bestimmte Verfahren für den Bau oder die Beseitigung von Schienenwegen, ist unter den dortigen Verhältnissen die rechtliche Zweckbestimmung einer Fläche als Verkehrsanlage vorrangig danach zu beurteilen, ob ein solches Verfahren durchgeführt worden ist (BVerwG, Urteil vom 31.08.1995 - 7 A 19/94 - BVerwGE 99, 166, juris Rn. 21 ff.; BVerwG, Urteil vom 16.12.1988 - 4 C 48/86 - BVerwGE 81, 111, juris Rn. 25 ff.; BVerwG, Beschluss vom 26.02.1996 - 11 VR 33/95 - juris Rn.28 ff.). Dass ein solches Verfahren hier zu DDR-Zeiten durchgeführt wurde, behauptet die Verfügungsbeklagte nicht.

Gegen eine solche Entwidmung zu DDR-Zeiten spricht im Übrigen auch, wie die Verfügungsklägerin zu Recht einwendet, dass die Streckengrundstücke samt Anlagen gemäß Art. 26 des Einigungsvertrages als Teil des Sondervermögens Deutsche Reichsbahn in das Vermögen der Bundesrepublik Deutschland übergingen, was zur Voraussetzung hatte, dass sie nicht zu DDR-Zeiten bereits für einen anderen Zweck als Bahnbetriebszwecken gewidmet worden waren. Außerdem gingen die Grundstücke als Teil des Bundeseisenbahnvermögens (§ 1 BEZNG) mit Gründung der D. AG in deren Vermögen über, was voraussetzte, dass sie unmittelbar und ausschließlich bahnnotwendig sind (§ 21 BEZNG). Schließlich spricht gegen eine Entwidmung, dass es die D. S. GmBH für notwendig erachtet hat, für zwei Streckenabschnitte (Bahnkilometer 15,36 - 17,03 und Bahnkilometer 32,84 - 32,945) - vor Inkrafttreten des § 23 AEG am 30.04.2005 - die förmliche Entwidmung zu beantragen.

3.1.2.2. Zum anderen kommt - vor Inkrafttreten des § 23 AEG - die Entwidmung einer Bahnanlage auch dann in Betracht, wenn sie faktisch funktionslos und in Hauptteilen zurückgebaut und in vielfältiger Weise anderweitig genutzt worden war. Eine solche Funktionslosigkeit kann aber nur angenommen werden, wenn die Verhältnisse wegen der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht hatten, der die Verwirklichung der bestehenden Planung auf unabsehbare Zeit ausschloss (siehe hierzu BVerwG, Urteil vom 31.08.1995, a.a.O., juris Rn. 23.; BVerwG, Beschluss vom 26.02.1996, a.a.O., juris Rn.28 ff.; BVerwG, Urteil vom 29.04.1977 - 4 C 39/75 - BVerwGE 54, 5; BVerwG, Beschluss vom 22.07.2010 - 4 B 22/10 - DVBl. 2010, 1374, juris Rn.11; VG Berlin, Urteil vom 14.05.2002 - 30 A 1135.97 - ZOV 2002, 311, juris Rn. 29; ferner: BVerwG, Urteil vom 16.12.1988 - 4 C 48/86 - BVerwGE 81, 111, juris Rn. 25 ff.; BVerwG, Urteil vom 27.11.1996 - 11 A 2/96 - DÖV 1997, 508, juris Rn. 17; BVerwG, Beschluss vom 26.02.1996 - 11 VR 33/95 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 12, juris Rn. 28; Sächisches OVG, Urteil vom 05.03.2014, a.a.O.; OVG Berlin, Beschluss vom 08.02.1991 - 2S 18.90 - DÖV 1991, 700; siehe auch OLG Köln, Urteil vom 19.12.2008 - 6 U 125/08).

Dass ein solcher Zustand hier bereits zu DDR-Zeiten erreicht war oder nunmehr erreicht ist, hat die Verfügungsbeklagte - u.a. durch Vorlage von Lichtbildern (die von der Verfügungsbeklagten außerdem beantragte gerichtliche Inaugenscheinnahme vor Ort ist kein im einstweiligen Verfügungsverfahren taugliches Mittel der Glaubhaftmachung, §§ 936, 920 Abs. 2, 294 Abs. 2 ZPO) - nicht glaubhaft gemacht.

Allein die in weiten Teilen erfolgte - teilweise unstrittige - Demontage von Gleisanlagen, Weichen, Bahnübergängen, Signalanlagen etc. reicht hierfür ebenso wenig aus wie der zum Teil nicht unerhebliche Zeitablauf seit der Entfernung von Anlagenteilen und die dadurch bedingte, ohne weiteres jedoch behebbare Änderung der Erdoberfläche (Überwucherung durch Unkraut und Gebüsch, Verwitterung des Gleisbetts etc.). Denn dies allein kann nicht die Annahme rechtfertigen, die Wiederaufnahme der ursprünglichen Nutzung sei durch die vorgegebene tatsächliche Situation ausgeschlossen und daher planungsrechtlich nicht mehr gedeckt (BVerwG, Urteil vom 31.08.1995, a.a.O., juris Rn. 24).

Ferner hat die Verfügungsbeklagte nicht glaubhaft gemacht, dass die Streckengrundstücke dauerhaft und unumkehrbar einer anderen Nutzung zugeführt wurden. Unstreitig ist lediglich, dass im Bereich S. nach dem 01.01.1994 unter Inanspruchnahme von Trassengrundstücken ein Mehrfamilienhaus und ein Einfamilienhaus errichtet wurden. Allein diese im Verhältnis zur gesamten Streckenlänge geringfügige - möglicherweise unter Verstoß gegen den Fachplanungsvorbehalt (§ 38 BauGB) erfolgte - anderweitige Nutzung reicht für die Annahme einer Entwidmung nicht aus, zumal an der Wohnbebauung ein leichtes Verschwenken der Trasse möglich erscheint und es für die Frage der Funktionslosigkeit nicht auf eine isolierte Betrachtung (einzelner Grundstücke) sondern auf eine Gesamtbetrachtung der Strecke ankommt (siehe hierzu BVerwG, Urteil vom 29.04.1977 - IV C 39/75 - BVerwGE 54, 5, juris Rn. 35).

Weitere von der Verfügungsbeklagten behauptete Inanspruchnahmen von Trassengrundstücken hat die Verfügungsklägerin substantiiert bestritten. Sie wurden von der Verfügungsbeklagten indes nicht glaubhaft gemacht.

3.1.3. Entwidmet wurden (bislang) nach Aktenlage lediglich die - nicht verfahrensgegenständlichen - Teilabschnitte der Eisenbahnstrecke 6800 von Bahnkilometer 32,84 bis 32,945 (Entwidmungsbescheid des EisenbahnBundesamtes vom 19.04.2004, Anlage AG 5, Bl. 162/165 der beigezogenen Akte 10 U 649/10) und von Bahnkilometer 15,36 bis 17,03 (Entwidmungsbescheid des Eisenbahnbundesamtes vom 10.02.2005, Anlagenkonvolut BK 2).

Dies bedeutet jedoch nicht, dass damit die gesamte „Strecke“ 6800 per se funktionslos geworden wäre. Denn unter einer Strecke im Sinne des AEG (dort § 11 Abs. 1 S. 1) ist der räumlich und funktional von der übrigen Eisenbahninfrastruktur abtrennbare Teil der selben zu verstehen, der zwei Punkte miteinander verbindet, hingegen nicht die von der D. AG unternehmensintern vergebene Streckennummer (formeller Streckenbegriff; siehe hierzu Hermes in Hermes/Sellner, a.a.O., § 11 Rn. 28).

Dass durch die Entwidmung der beiden kurzen Teilabschnitte jegliche sinnvolle Nutzung der verbliebenen Abschnitte für Eisenbahnzwecke ausgeschlossen wäre, hat die Verfügungsbeklagte nicht dargetan.

3.1.4. Soweit die Verfügungsbeklagte in diesem Zusammenhang auch auf die Betriebseinstellungen auf den Streckenabschnitten Heiligenthal - Gerbstedt (km 32,85 bis km 36,1), Halle/Nietleben - Dölau (km 3,6 bis km 7,1) und Gerbstedt - Hettstedt (km 36,1 bis km 44,617) verweist, ist dies unbehelflich, da die Stilllegungsgenehmigung lediglich dazu geführt hat, dass der öffentliche Status einer Eisenbahninfrastruktureinrichtung aufgehoben wird und damit die Betriebspflicht des Eisenbahninfrastrukturunternehmens entfällt, der planungsrechtliche Status der Bahnanlage, mithin deren „Widmung“ aber unberührt bleibt (BVerwG, Beschluss vom 21.03.2014 - 6 B 55/13 - N&R 2014, 245, juris Rn. 12 ff.; Hermes in Hermes/Sellner, a.a.O., § 11 Rn. 94 ff., § 23 Rn. 10 ff.).

3.2. Durch die Widmung zu Eisenbahnbetriebszwecken bzw. seit Inkrafttreten der 3. AEGNovelle durch den gesetzlichen Netzzugangsanspruch nach § 14 AEG wird die Eisenbahninfrastruktur indes nicht zu einer öffentlichen Sache im traditionellen Sinne, wie etwa ein öffentlicher Weg gemäß dem Straßenrecht (Hermes in Hermes/Sellner, a.a.O., § 23 Rn. 8, § 3 Rn. 10). Zwar erlangt sie hierdurch einen öffentlich-rechtlichen Sonderstatus, der fortdauert bis er durch einen actus contrarius, die Entwidmung - seit Inkrafttreten des § 23 AEG in Form der Freistellung von Bahnbetriebszwecken -, außer Kraft gesetzt wird. Diese öffentlich-rechtliche Zweckbindung der betroffenen Grundstücke bzw. Grundstücksteile zur ausschließlichen Nutzung für Eisenbahnbetriebszwecke äußert sich zum einen in der durch § 38 Satz 1 BauGB angeordneten Geltung des Fachplanungsvorbehalts, zum anderen überlagert sie als eine öffentlich-rechtliche Last auf dem Grundstück die zivilrechtlichen Rechte des Grundstückseigentümers (Vallendar in Hermes/Sellner, a.a.O., § 18 Rn. 38). Diese Widmung berechtigt daher nicht, wie etwa eine straßenrechtliche Widmung, zum Allgemeingebrauch, sondern nur zur Erbringung öffentlicher Eisenbahnverkehrsleistungen und zum Betrieb von Eisenbahninfrastrukturen nach Maßgabe des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (siehe § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1, § 3 AEG). Dies verkennt das Landgericht Köln, auf dessen Urteil vom 25.07.2007 (14 O 257/07) die Verfügungsklägerin und das Landgericht verweisen, wenn es unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13.03.1998 (V ZR 190/97 - NJW 1998, 2058) diesen Fall schlichtweg mit dem der Widmung eines öffentlichen Weges zum (All- )Gemeingebrauch gleichsetzt. Denn der Kreis derjenigen, die Rechte aus der Widmung herleiten können, ist von vorneherein auf Eisenbahninfrastrukturunternehmen und nach § 14 Abs. 2 und 3 AEG Zugangsberechtigte beschränkt.

3.2.1. Die Verfügungsklägerin ist im Besitz einer - vom MLV befristet bis zum 18.09.2058 erteilten - Genehmigung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2, Abs. 3 Nr. 3 AEG, die sie zum Betreiben der öffentlichen Eisenbahninfrastruktur zwischen Halle (Saale)- Nietleben Bahn-km 3,6 und Hettstedt Bahn-km 44,6 einschließlich der im räumlichen Umfang befindlichen Eisenbahninfrastruktur berechtigt.

Es hat im vorliegenden Zivilverfahren dahinzustehen, ob die Erteilung zu Recht geschah oder ob, wie die Verfügungsbeklagte einwendet, die Genehmigung hätte versagt werden müssen, weil die Verfügungsklägerin mangels zivilrechtlicher Berechtigung zur Inanspruchnahme der fremden Eisenbahninfrastruktur kein Sachbescheidungsinteresse hatte (siehe hierzu OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18.12.2013 - 8 A 10050/13 - DVBl. 2014, 392, juris Rn. 26 f., das in einem vergleichbaren Fall ein Sachbescheidungsinteresse des Eisenbahninfrastrukturunternehmens ausdrücklich bejaht hat; ferner OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.07.2008 - 20 A 802/07 - zitiert nach juris). Ebenso hat offen zu bleiben, ob

- das MLV für die Erteilung der Genehmigung überhaupt zuständig war,

- die Genehmigungsvoraussetzungen nach § 6 Abs. 2 S. 1 AEG vorlagen, insbesondere ob die Verfügungsklägerin finanziell leistungsfähig ist, d.h. über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, um die Aufnahme des Betriebs und die sichere Betriebsführung auf den gesamten nicht entwidmeten bzw. von Bahnbetriebszwecken freigestellten und nicht nach § 11 AEG stillgelegten Abschnitten der Eisenbahnstrecke 6800 für die Dauer der Genehmigung zu gewährleisten (siehe hierzu OVG Rheinland-Pfalz, a.a.O., juris Rn. 33),

- die Genehmigung inhaltlich ausreichend bestimmt ist (siehe zu den Anforderungen an die Bestimmtheit und die Konkretisierung der von der Genehmigung umfassten Infrastruktureinrichtungen: Wachinger in Hermes/Sellner, a.a.O., § 6 Rn. 48), insbesondere auch, wie es sich mit den vom Genehmigungsumfang nicht ausgenommenen entwidmeten und den nach § 11 AEG stillgelegten Streckenabschnitten verhält,

- die von der Verfügungsbeklagten vorgetragenen - und im vorliegenden Verfahren unbestritten gebliebenen - dubiosen Umstände, unter denen es zu der Erteilung der Genehmigung gekommen sein soll, deren Richtigkeit unterstellt, den Genehmigungsbescheid des MLV vom 19.09.2008 rechtswidrig machen.

Denn der Bescheid des MLV vom 19.09.2008 ist - nach Aktenlage - bis dato nicht aufgehoben oder widerrufen worden. Er entfaltete daher Tatbestandswirkung, selbst wenn er angefochten ist. Diese besagt, dass außer der Behörde sowie den Verfahrensbeteiligten im Sinne von § 13 VwVfG auch alle anderen Behörden sowie grundsätzlich alle Gerichte die Tatsache, dass der Verwaltungsakt erlassen wurde, als maßgebend akzeptieren müssen. Sie haben die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung oder Feststellung unbesehen, das heißt ohne dass sie die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts nachprüfen müssten oder dürften, zugrunde zu legen (BGH, Urteil vom 04.02.2004 - XII ZR 301/01 - BGHZ 158, 19, juris Rn. 13; BGH, Urteil vom 02.12.2015 - I ZR 239/14 - juris Rn. 27 ff.; BGH, Urteil vom 24.09.2013 - I ZR 73/12 - WRP 2014, 429, juris Rn. 15; Zöller-Lückemann, ZPO, 31. Aufl., § 13 GVG Rn. 34 f.). Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 19.09.2008 muss vielmehr dem verwaltungsgerichtlichen Rechtsweg vorbehalten bleiben. Im Hauptsachverfahren wird das Landgericht daher auch zu prüfen haben, ob eine Aussetzung der Verhandlung gemäß § 148 ZPO bis zur Erledigung des - nach Aktenlage - derzeit noch beim Verwaltungsgericht Halle anhängigen Verwaltungsrechtsstreits (6 A 8/14 HAL) in Betracht kommt.

Einen Ausnahmefall, dass der Bescheid offensichtlich nichtig ist, vermag der Senat nicht zu erkennen. Absolute Nichtigkeitsgründe im Sinne von § 44 Abs. 2 VwVfG sind nicht ersichtlich. Dass die von der Verfügungsbeklagten geltend gemachten Mängel des Bescheids, so sie denn tatsächlich vorliegen, im Sinne von § 44 Abs. 1 VwVfG als besonders schwerwiegend einzustufen, d.h. für die Rechtsordnung schlechthin unerträglich sind, und in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht offensichtlich sind (siehe hierzu Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. § 44 Rn. 103 ff. m.w.N.), drängt sich für den Senat nicht auf und lässt sich mit den im vorliegenden Zivilverfahren ohnehin eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten nicht ohne Weiteres feststellen.

3.2.2. Wie der Senat bereits im Beschluss vom 13.12.2010 unter Bezugnahme auf die Entscheidung des OVG Nordrhein-Westfalen vom 07.07.2008 ausgeführt hat, verschafft allerdings die Genehmigung nach § 6 AEG als solche demjenigen, der eine nicht in seinem Eigentum stehende Eisenbahninfrastruktur betreiben will, noch nicht die Befugnis, auf diese - zivilrechtlich - zuzugreifen. Die Betreibergenehmigung wird daher grundsätzlich ohne Rücksicht auf die zivilrechtliche Berechtigung des potentiellen Betreibers zur Nutzung der Eisenbahninfrastruktur erteilt (OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O., juris Rn. 9 aE; Häfner, Genehmigungserfordernisse beim Wechsel des Betreibers einer Eisenbahnstrecke, N & R 2015, 96, 97; siehe auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18.12.2013, a.a.O., juris Rn. 50).

Für die hier zu treffende Entscheidung kommt es indes nicht darauf an, ob die Verfügungsklägerin berechtigt ist, etwa vermittels eines Kontrahierungszwangs der Verfügungsbeklagten, eine zivilrechtlich gesicherte Besitzposition zur Nutzung der im Eigentum der Verfügungsbeklagten stehenden Eisenbahninfrastruktur zu erlangen, sondern darauf, ob ihr bereits die erteilte Betreibergenehmigung nach § 6 AEG eine so weit erstarkte - quasi-dingliche - Rechtsposition verschafft, die auch Abwehrrechte nach § 1004 BGB beinhaltet.

Diese Frage ist bislang höchstrichterlich nicht geklärt.

Im einstweiligen Verfügungsverfahren ist zwar grundsätzlich der Umfang der rechtlichen Prüfung gegenüber dem Hauptsachverfahren nicht eingeschränkt. Im Einzelfall kann es jedoch bei schwierigen Rechtsfragen angezeigt sein, die Wahrscheinlichkeit des behaupteten Anspruchs und die Dringlichkeit der beantragten Maßnahme gegeneinander abzuwägen (KG Berlin, Urteil vom 25.03.1994 - 5 U 215/94 - KGR 1994, 154; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 935 Rn. 7, § 922 Rn. 6 m.w.N.). Hiervon ausgehend bejaht der Senat aus folgenden Erwägungen die vorgenannte Rechtsfrage:

Aufgrund der fortbestehenden Widmung der Eisenbahninfrastruktur ist die Verfügungsbeklagte verpflichtet, die damit einhergehende Beschränkung ihrer Eigentümerbefugnisse zu dulden und auch zivilrechtlich zu respektieren. Auf der anderen Seite vermittelt die Genehmigung nach § 6 AEG dem Eisenbahninfrastrukturunternehmen eine Art Exklusivberechtigung zur Nutzung der Infrastruktur. Dessen Betriebs- und Unterhaltungspflicht (siehe hierzu BVerwG, Urteil vom 25.10.2007 - 3 C 51/06 - BVerwGE 129, 381) würde konterkariert, wäre es gehindert, zum Zwecke der Erfüllung dieser Verpflichtung ggf. auch zivilrechtlich gegen den Eigentümer der Eisenbahninfrastruktur in geeigneter Weise vorzugehen, wenn dieser Anstalten macht, dem Nutzungszweck zuwiderlaufende Eingriffe in die Eisenbahninfrastruktur vorzunehmen, und zwar unabhängig davon, ob es sich hierbei auf eine vertragliche oder (nur) eine gesetzliche Anspruchsgrundlage stützen kann. So lange die Ausschlusswirkung der Widmung - bzw. nunmehr der Planfeststellung (§ 18 Satz 3 AEG, § 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG) - und damit die Duldungspflicht des Eigentümers der Eisenbahninfrastruktur besteht, ist ihm auch die Befugnis entzogen, zu entscheiden, ob Bahnanlagen erhaltenswert oder völlig marode sind, ob Schienen, Schwellen und dgl. nur noch Schrottwert haben und zu entsorgen sind etc.

Der Eigentümer ist hierdurch auch nicht rechtlos gestellt. Ihm verbleibt jedenfalls die Möglichkeit, dann, wenn für den öffentlichen Eisenbahnbetrieb auf seinem Grundstück kein Verkehrsbedürfnis mehr besteht und eine Nutzung der Eisenbahninfrastruktur im Rahmen der Zweckbestimmung langfristig nicht mehr zu erwarten ist - mithin der 'Widmungszweck' entfallen ist -, die Freistellung seiner Grundstücke von Bahnbetriebszwecken nach § 23 AEG zu beantragen und auf diesem Wege die Einschränkung seines Eigentumsrechts wieder zu beseitigen. Von dieser Möglichkeit hat die Verfügungsbeklagte bislang keinen Gebrauch gemacht. Aber selbst wenn sie an ihrer Auffassung festhalten wollte, dass es keiner Freistellung nach § 23 AEG mehr bedarf, weil ihre Grundstücke bereits in der Vergangenheit aufgrund faktischer Funktionslosigkeit der Bahnanlagen entwidmet worden sind, wäre sie nicht gehindert, dies im Wege einer negativen - verwaltungsgerichtlichen - Feststellungsklage geltend zu machen und damit Klarheit und Rechtssicherheit herbeizuführen.

4.

Zu Recht hat das Landgericht einen Verfügungsgrund angenommen. Hiergegen erinnert die Verfügungsbeklagte nichts.

5.

Mit der ausgesprochenen Untersagung erreicht die Verfügungsklägerin zwar eine Befriedigung ihres Anspruchs nach § 1004 Abs. 1 BGB analog. Allerdings gelten für Unterlassungsverfügungen die strengen Voraussetzungen für Leistungsverfügungen nicht, da sie regelmäßig nur abwehrenden Charakter haben und nicht zu einer endgültigen Vorwegnahme der Hauptsache führen (Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 940 Rn. 1)

6.

Die vom Landgericht durch Beschluss vom 22.09.2014 erlassene einstweilige Verfügung ist jedoch in zwei Punkten zu berichtigen.

Die Angabe des Teilabschnitts zwischen Bahn-km 43,98 - 44,6, der von der Untersagung ausgenommen sein soll, beruht offensichtlich auf einer versehentlich unrichtigen Übertragung aus dem Grundstückskaufvertrag vom 12.01.2010 (Anlage AST 2, Bl. 11 ff. dA). Nach diesem (siehe Satz 1 der „Vorbemerkung“ und die als Anlage 1 dem Vertrag beigefügte „Flurstücksaufstellung“) befindet sich der an die E. … mbH veräußerte „Teilabschnitt Rottelsdorf bis Hettstedt“ zwischen „Bahn-km 23,870 und 42,97“, sodass von der Reichweite der einstweiligen Verfügung bereits der Streckenabschnitt ab Bahn-km 42,98 auszunehmen ist.

Die Untersagung soll sich ferner nicht auf die entwidmeten Streckenabschnitte beziehen. Mit dem Bescheid des Eisenbahnbundesamtes vom 10.02.2005 (Anlagenkonvolut BK 2) wurden 8 Flurstücke der Gemarkung S. zwischen „km 15,36 - 17,03“ entwidmet. Die Angabe „Bahn-km 15,63“ im Antrag der Verfügungsklägerin und im Beschluss des Landgerichts vom 22.09.2014 beruht daher offensichtlich auf einem Zahlendreher.

 

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Dieses Urteil ist nicht anfechtbar (§ 542 Abs. 2 S. 1 ZPO).

Gericht OLG Dresden
Typ Beschluss
Datum 16.06.2016
Normen § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2, Abs. 3 Nr. 3 AEG; § 11 AEG; § 23 AEG § 1004 Abs. 1 BGB analog; § 862 Abs. 1 S. 2 BGB § 44 VwVfG
Stichworte Einstweilige Verfügung; Abriss- und Rückbaumaßnahmen; Betreibergenehmigung; Entwidmung; Dauerhafte Stilllegung; Fortwirkung der Widmung; DDR; Faktische Funktionslosigkeit; Überlagerung; öffentlich-rechtliche Zweckbindung

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