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LG Coburg, Urteil (Endurteil) vom 27.01.2015

Az.: 23 O 274/14

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Urteil (Endurteil)

[...]

Endurteil

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.444,40 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 08.05.2013 zu bezahlen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Die Nebenintervenientin trägt die Kosten der Nebenintervention.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Höhe der Haftungsquote der Beklagten aus einem Schienenverkehrsunfall vom _ _ _ _ .

Am _ _ _ _ gegen _ _ _ _ Uhr fuhr der im Eigentum der Klägerin stehende Triebwagen _ _ _ _- Zug _ _ _ _ aus dem Bahnhof _ _ _ _ auf der Strecke _ _ _ _ aus und kollidierte kurz darauf mit einem im Bereich der Schienen liegenden Metallteil. Hinsichtlich Aussehen und Größe des Metallteils wird auf das zweite Lichtbild der klägerischen Anlagen I/3 Bezug genommen. Kurz vor dem Unfall befuhr der Güterzug der Streithelferin gegen _ _ _ _ Uhr die streitgegenständliche Strecke, der – zuletzt unstreitig – das Metallteil verloren hatte. Der Unterboden des Triebwagens wurde erheblich beschädigt und musste repariert werden. Das Schienenfahrzeug konnte für 16 Tage nicht genutzt werden. Die Reparaturkosten sowie die Entschädigung für die Nutzungsausfallzeiten beliefen sich unstreitig auf insgesamt 32.666,87 €.

Bei der Klägerin handelt es sich um ein Personenbeförderungsunternehmen im Eisenbahnverkehr, welches regelmäßig die streitgegenständliche Strecke mit ihren Schienenfahrzeugen befährt. Die Beklagte ist das für die betreffende Strecke zuständige Eisenbahninfrastrukturunternehmen und zuständiger Gleisnetzwerkbetreiber, der die betreffende Schienentrasse unterhält.

Die Beklagte zahlte vorgerichtlich die Hälfte des Schadensbetrages in Höhe von 16.333,44 € und lehnte mit Schreiben vom 08.05.2013 eine weitere Zahlung ab.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagte aufgrund der ihr zuzurechnenden erhöhten Betriebsgefahr 2/3 ihres Schadens bezahlen müsse. Die Klägerin müsse sich nur ihre allgemeine Betriebsgefahr anrechnen lassen, welche sie mit 1/3 ansetzt. Eine solche Haftungsverteilung habe der Bundesgerichtshof gebilligt. Eine erhöhte Haftungsquote der Beklagten sei unabhängig davon, von wem die Störung verursacht wurde, gerechtfertigt. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung hafte auch der Gleisnetzbetreiber gegenüber dem Bahnbetreiber. Die Beklagte und die Streithelferin würden der Klägerin als Gesamtschuldner für den Schaden haften.

Die Klägerin beantragt:

Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 5.444,40 € nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 08.05.2013 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Streithelferin schließt sich dem Antrag der Beklagten an.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass sie mit der Regulierung der Hälfte des Schadensbetrages ausreichende Zahlung geleistet habe. Sie hafte insbesondere nicht aus erhöhter Betriebsgefahr in Höhe von 2/3. Auch habe der BGH nicht über die Haftungsquote entschieden. Vielmehr sei es in den vom BGH entschiedenen Fällen so gewesen, dass sich die dortige Beklagte nicht gegen den Ansatz der Mithaftung der dortigen Klägerin in Höhe von 1/3 gewendet habe, so dass dies im Revisionsverfahren unbeanstandet geblieben sei. Sie ist der Ansicht, dass das erhebliche Gefahrenpotential, das vom geschädigten Zug der Klägerin ausgehe, namentlich von in Fahrt befindlichen Zügen, die keine Ausweichmöglichkeit haben, da sie schienengebunden seien und aufgrund des hohen Gewichts einen langen Bremsweg haben, zu einer entsprechenden Erhöhung der klägerischen Betriebsgefahr führe. Das Metallteil sei mutmaßlich vom klägerischen Zug beim Überfahren aufgewirbelt worden; die Betriebsgefahr der Klägerin, deren Zug für die Aufwirbelung gesorgt habe, überwiege. Sie behauptet, das Metallteil habe auch gefahrlos vom klägerischen Zug überfahren werden können, ohne dass es zwangsläufig zu Beschädigungen hätte kommen müssen. Darüber hinaus ist sie der Ansicht, dass selbst bei Vorliegen einer Mithaftung der Streithelferin keine gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten und der Streithelferin bestehe. § 13 Abs. 2, Abs. 1 Haftpflichtgesetz schließe die gesamtschuldnerische Haftung gerade aus. Vielmehr wären gegenüber der Klägerin die Mitwirkungsanteile der Beklagten und der Streithelferin gesondert abzuwägen; es liege lediglich eine Haftungseinheit vor. Bei tatsächlicher Verursachung durch die Streithelferin müsse die Gesamthaftung von 100 % auf die insgesamt drei Beteiligten aufgeteilt werden, was zu einer Reduzierung des Haftungsanteils der Beklagten führe. Darüber hinaus ist sie der Ansicht, dass es sich bei dem Metallteil nicht um ein Hindernis im Sinne der BGH-Rechtsprechung handele, weil das Metallteil zu klein sei, um ein Hindernis darzustellen, das einem Zug den Weg versperre.

Mit Schriftsatz vom 12.06.2014 ist die Streithelferin dem Rechtsstreit zur Unterstützung der Beklagten beigetreten. Sie bestreitet entgegen dem Vorbringen der Hauptparteien, dass ihr Güterzug das Metallteil verloren hat.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Schriftsätze der Parteien sowie die von ihnen übergebenen Anlagen sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 25.11.2014 Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.

I

Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Landgericht Coburg sachlich und auch örtlich zuständig, § 14 Haftpflichtgesetz. Das schädigende Ereignis hat im Landgerichtsbezirk Coburg stattgefunden.

II

Die Klage ist auch begründet.

Der Klägerin steht gemäß §§ 1 Abs. 1, 13 Abs. 1, Abs. 2 HaftPflG ein weiterer Schadensersatzanspruch in Höhe von 5.444,40 € zu.

Wird bei dem Betrieb einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Betriebsunternehmer dem Geschädigten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet, § 1 Abs. 1 HaftPflG. Sind nach den §§ 1, 2 HaftPflG mehrere einem Dritten zum Schadensersatz verpflichtet, so hängt im Verhältnis der Ersatzpflichtigen untereinander Pflicht und Umfang zum Ersatz von den Umständen, insbesondere davon ab, wie weit der Schaden überwiegend von dem einen oder dem anderen verursacht worden ist, § 13 Abs. 1 Haftpflichtgesetz. Wenn der Schaden einem der nach §§ 1, 2 Ersatzpflichtigen entstanden ist, gilt Abs. 1 auch für die Haftung der Ersatzpflichtigen untereinander, § 13 Abs. 2 HaftPflG.

1.

Unstreitig ist vorliegend bei dem Betrieb einer Schienenbahn eine Sache beschädigt worden. Ein Betriebsunfall im Sinne des § 1 Abs. 1 HaftPflG liegt vor, wenn ein unmittelbarer äußerer, örtlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung der Bahn besteht oder wenn der Unfall durch eine dem Bahnbetrieb eigentümliche Gefahr verursacht worden ist (vgl. Urteil des BGH vom 17.02.2004, Az: VI ZR 69/03, Rdz. 9; Urteil des BGH vom 16.10.2007, Az: VI ZR 173/06, Rdz. 12). Beide Umstände liegen hier vor. Der Unfall ereignete sich während der regulären Fahrt des Bahntriebwagens der Klägerin auf der Schienenstrecke der Beklagten. Zudem verwirklichte sich die typische Gefahr des Eisenbahnbetriebs. Die Kollision beruhte zumindest auch auf dem langen Anhalteweg und der fehlenden Ausweichmöglichkeit des schienengebundenen Fahrzeugs.

2.

Bei der Beklagten handelt es sich auch um ein Bahnbetriebsunternehmen nach § 1 Abs. 1 HaftPflG. Betriebsunternehmer nach § 1 Abs. 1 HaftPflG ist nach ständiger Rechtsprechung derjenige, der eine Bahn für eigene Rechnung betreibt und dem die Verfügung über den Betrieb zusteht. Damit ist zwar grundsätzlich die Verfügung über den Bahnbetrieb als Ganzes gemeint, also über Beförderungsmittel und Infrastruktur. Betriebsunternehmer kann aber auch sein, wer lediglich die Herrschaft über einen Teil des Betriebes inne hat, wenn das Merkmal des Betreibens auf eigene Rechnung erfüllt ist. Entscheidend ist, dass er gerade durch die Einwirkungsmöglichkeiten und -verpflichtungen hinsichtlich dieses Teils des Betriebs imstande ist, die hiervon ausgehenden Gefahren abzuwenden oder zu verringern. Mit der rechtlichen Trennung von Fahrbetrieb und Infrastruktur durch das AEG vom 27.12.2993 wurden diese beiden Teilbereiche dauerhaft verselbständigt. Sowohl Eisenbahninfrastrukturunternehmen als auch Eisenbahnverkehrsunternehmen sind nun regelmäßig als Betriebsunternehmer im Sinne des § 1 Abs. 1 HaftPflG anzusehen; eine Enthaftung des Eisenbahninfrastrukturunternehmens war mit der Trennung nicht beabsichtigt; etwaige Nachteile für Geschädigte wollte man keinesfalls in Kauf nehmen (vgl. Urteil des BGH vom 17.02.2004, Az: VI ZR 69/03, Rdz. 10 ff. mit ausführlicher Begründung). Die Beklagte unterhält einen selbständigen Teil des Systems Bahn. Sie ist zuständig für den gesamten Gleisbetrieb der von ihr angebotenen Bahntrassen. Sie vermarktet als Wirtschaftsunternehmen auf eigene Rechnung ihr Netz an Eisenbahnverkehrsbetreiber, indem sie nicht nur den Fahrweg als solchen zur Verfügung stellt, sondern auch weitere für den Bahnbetrieb unabdingbare Voraussetzungen, wie etwa die Energieversorgung schafft. Ferner beeinflusst sie durch die Bedienung von Signalen, Weichen, Schranken und betrieblichen Melde- und Sicherheitssystemen mit eigenem Personal aktiv den Bahnbetrieb und damit die davon ausgehenden Gefahren. Die Beklagte ist somit Betriebsunternehmerin und taugliche Anspruchsgegnerin.

3.

Die Klägerin als Eisenbahnverkehrsunternehmen kann auch Geschädigte im Sinne des § 1 Abs. 1 HaftPflG sein. Jedenfalls dann, wenn die den Unfall auslösenden Ursachen im Bahnbetrieb liegen und dem Risikobereich eines Betriebsunternehmers zuzuordnen sind, ist es gerechtfertigt, dem jeweils anderen Bahnbetriebsunternehmer einen Anspruch aus Gefährdungshaftung zuzuerkennen (vgl. BGH a.a.O., Rdz. 22). Dass ein Eisenbahnbetriebsunternehmen selbst Geschädigter im Sinne des § 1 HaftPflG sein kann, ergibt sich auch bereits aus § 13 Abs. 2 HaftPflG, der gerade die Haftungsverteilung regelt, wenn der Schaden einem der nach §§ 1, 2 Ersatzpflichtigen entstanden ist.

4.

Die Ersatzpflicht ist auch nicht wegen höherer Gewalt ausgeschlossen, § 1 Abs. 2 HaftPflG. Höhere Gewalt ist ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit vom Betriebsunternehmen in Kauf zu nehmen ist. Da der Haftungsausschluss durch höhere Gewalt eine Ausnahme von der Regel ist, dass der Betriebsunternehmer für Unfälle beim Betrieb der Bahn zu haften hat, obliegt es ihm, darzulegen und nachzuweisen, dass die Voraussetzungen der höheren Gewalt im Einzelfall gegeben sind (vgl. Werner Filthaut, Haftpflichtgesetz, 8. Aufl., Rdnr. 185 zu § 1). Diesbezüglich fehlt es an jeglichem Sachvortrag der Beklagten. Auf höhere Gewalt beruft sie sich nicht.

Auch auf Unabwendbarkeit kann sich die Beklagte nicht berufen, da es sich nicht um eine Schienenbahn innerhalb des Verkehrsraums einer öffentlichen Straße handelt, § 13 Abs. 3 HaftPflG.

5.

Gemäß § 13 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 HaftPflG hat die Beklagte den klägerischen Schaden in Höhe von 2/3 zu erstatten, da eine Abwägung der Haftungsanteile der Klägerin und der Beklagten unter Berücksichtigung der Umstände ergibt, dass sich die Klägerin lediglich ihre eigene allgemeine Betriebsgefahr anrechnen lassen muss, die Beklagte jedoch aufgrund hier anzusetzenden erhöhten Betriebsgefahr überwiegend haftet. Hierbei ist es aus Sicht des Gerichts für die Haftung der Beklagten ohne Belang, wie und von wem verursacht das Metallteil auf die Gleise geraten ist. Eine derartige Berücksichtigung wäre lediglich dann angezeigt gewesen, wenn sich die Beklagte auf höhere Gewalt beruft, was sie jedoch nicht tut. Soweit die Beklagte meint, dass aus einer möglichen Verursachung durch die Streithelferin eine geringere Haftungsquote der Beklagten selbst folge, da die Gesamthaftung von 100 % auf insgesamt alle drei Beteiligten aufgeteilt werden müsse, weil eine gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten und der Streithelferin nicht in Betracht komme, kann ihr darin nicht gefolgt werden. Selbst wenn auch die Streithelferin eine Haftung am vorliegenden Unfall trifft, was naheliegt, wenn ein Zug der Streithelferin das Metallteil verloren hat, hätte dies keinerlei Einfluss auf die Haftungsquote der Beklagten gegenüber der Klägerin. Die Beklagte und die Streithelferin würden nämlich dann gesamtschuldnerisch haften. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 HaftPflG, da diese Vorschrift von einem Ausgleich im Innenverhältnis der Ersatzpflichtigen untereinander spricht. Haften mehrere nach §§ 1, 2 HaftPflG, kann dies im Verhältnis der Gesamtschuldner untereinander eine Verpflichtung begründen, den Schaden auszugleichen (vgl. Filthaut, Haftpflichtgesetz, 8. Aufl., Rdnr. 3 zu § 13). Haftet auch die Streithelferin deswegen, weil ihr Güterzug das Metallteil verloren hat, ergäbe sich hieraus ein eigenständiger Schadenersatzanspruch der Klägerin gegen die Streithelferin, der neben dem Anspruch gegen die Beklagte treten würde, jedoch an der grundsätzlichen Haftungsquote im Verhältnis Klägerin / Beklagte nichts ändert. Sind dem Geschädigten nämlich in einem solchen Fall mehrere ersatzpflichtig, ist seine Mitwirkung gegenüber jedem Ersatzpflichtigen gesondert abzuwägen, vgl. Filthaut, Haftpflichtgesetz, 8. Aufl., Rdnr. 17 zu § 13. Kann der Geschädigte mehrere Schädiger in Anspruch nehmen, ist gegenüber jedem Schädiger gesondert abzuwägen, weil der Geschädigte gegen jeden einen selbständigen Schadenersatzanspruch hat; diese Einzelabwägung kann zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, wobei die Schädiger jedoch zusammen nicht mehr als den Betrag aufzubringen haben, der bei einer Gesamtschau dem Anteil der Verantwortung entspricht, die sie im Verhältnis zur Mitverantwortung des Geschädigten insgesamt tragen, sogenannte Gesamtabwägung, vgl. Filthaut, Haftpflichtgesetz, 8. Aufl., Rdnr. 114 zu § 4. Auf eine mögliche Mithaftung der Streithelferin kommt es also im Verhältnis der Hauptparteien nicht an.

Soweit die Beklagte einwendet, dass es sich bei dem Metallteil nicht um ein Hindernis im Sinne der BGH-Rechtsprechung (dort Stein, Baum oder Kühe) handele, kann auch dem nicht gefolgt werden. Zum einen ist fraglich, welche Rechtsfolge die Beklagte hieraus herleiten will. Wenn es sich bereits nicht um ein erhebliches Hindernis gehandelt hat, hätte auch die Beklagte mangels Haftung keinen Schadenersatz leisten müssen. Dies hat sie aber offensichtlich vorgerichtlich nicht so gesehen, da sie bereits 50 % des Schadens reguliert hat. Selbst wenn das Metallteil zu klein wäre, um ein echtes Hindernis, also eine Blockade des Schienenwegs darzustellen, hat es doch ein gefahrloses Passieren des Schienenwegs durch die Klägerin unmöglich gemacht. Allein darauf kommt es für eine Mithaftung der Beklagten an. Die BGH-Rechtsprechung (Urteile vom 22.06.2004, Az: VI ZR 8/04, vom 16.10.2007, Az: VI ZR 173/06 und vom 17.02.2004, Az: VI ZR 69/03) ist nach Auffassung des Gerichts nicht so zu verstehen, dass nur ein Hindernis im Sinne einer Versperrung der Gleise zu einer Haftung des Gleisnetzbetreibers führt. Der BGH macht zum Maßstab der Haftung des Gleisnetzbetreibers, dass eine uneingeschränkte Nutzbarkeit der Trasse für den Schienenverkehr nicht gewährleistet ist, vgl. Urteil vom 16.10.2007, Az: VI ZR 173/06, Rdnr. 13, dort Satz 3. Er führt aus: „In allen diesen Fällen (Anmerkung durch das Gericht: Stein, Baum oder Weidevieh) ist die jederzeitige uneingeschränkte Nutzbarkeit der Trasse für den Schienenverkehr nicht gewährleistet. Auch in der Versperrung des Fahrwegs verwirklicht sich eine der Gefahren, die die Beklagte erlaubtermaßen schafft, wenn sie einen Verkehrsweg zum Zwecke des Befahrens durch Schienenfahrzeuge eröffnet und unterhält“. Hieraus wird deutlich, dass eine Versperrung des Fahrwegs lediglich ein Unterfall der eingeschränkten Nutzbarkeit der Trasse für den Schienenverkehr darstellt.

Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten Umstände des Einzelfalles vorzunehmen; in erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem Anspruchsteller und Anspruchsgegner zur Schadensentstehung beigetragen haben. Auf Seiten der Klägerin ist lediglich die allgemeine Betriebsgefahr zu berücksichtigen, nämlich das Gefahrenpotential, das von ihrem Fahrzeug ausgeht, namentlich für in Fahrt befindliche Züge die fehlende Ausweichmöglichkeit als Folge der Schienengebundenheit und der lange Bremsweg infolge des hohen Gewichts des Zuges. Soweit die Beklagte meint, dass die Klägerin gerade deswegen (Schienengebundenheit und Gewicht) eine erhöhte Betriebsgefahr treffe, dringt sie damit nicht durch. Die hohe kinetische Energie eines fahrenden Zuges und der entsprechend lange Bremsweg begründet bereits die Gefährdungshaftung der Klägerin im Sinne einer allgemeinen Betriebsgefahr, weswegen sie sich nicht zusätzlich anteilserhöhend auf die Abwägung auswirken kann, so ausdrücklich BGH, Urteil vom 16.10.2007, Az. VI ZR 173/06, Rdz. 21. Eine erhöhte Betriebsgefahr auf Seiten der Klägerin ergibt sich weiterhin nicht daraus, dass sie beim Überfahren des Metallteils dieses möglicherweise aufgewirbelt hat. Auch ein solches Aufwirbeln von Hindernissen auf der Trasse, die dort nicht hingehören, ist eine zugverkehrsimmanente Gefahr, die ebenso wie der lange Bremsweg Folge des hohen Gewichts des Zuges ist, der sich mit Reisegeschwindigkeit fortbewegt. Dieser Umstand darf sich nicht haftungserhöhend auswirken. Auch die Tatsache, dass das Metallteil unter Umständen gefahrlos hätte überfahren werden können und nicht zwangsläufig zu Beschädigungen geführt hätte, ist unbeachtlich. Ob unter anderen Umständen (welche?) ein gefahrloses Überfahren möglich gewesen wäre, kann dahinstehen. An dem konkreten Schadensfall hat sich doch eindrucksvoll gezeigt, dass eben eine uneingeschränkte Nutzbarkeit der Trasse gerade nicht gewährleistet war.

Auf Seiten der Beklagten ist ebenfalls die allgemeine Betriebsgefahr zu berücksichtigen, die sich aus dem Bereithalten und dem Eröffnen eines Verkehrs auf der von der Beklagten unterhaltenen Trasse ergibt, insbesondere das Risiko, dass die Trasse nicht hindernisfrei ist. Im Rahmen der von ihr wahrgenommenen Teilaufgabe des Bahnbetriebs hat die Beklagte gemäß §§ 2 Abs. 3; 4 Abs. 1 AEG insbesondere die Sicherheit der Schienentrasse zu gewährleisten und die Eisenbahninfrastruktur in betriebssicheren Zustand zu halten. Dazu gehört auch die Gewährleistung der Hindernisfreiheit der Trasse. Darüber hinaus ist auf Seiten der Beklagten eine erhöhte Betriebsgefahr zu berücksichtigen. Besondere Umstände, die nicht schlechthin und regelmäßig mit dem Betrieb verbunden sind und deshalb die mit ihm ohnehin schon verbundenen Gefahren vergrößern, begründen eine bei der Abwägung verstärkt ins Gewicht fallende erhöhte Betriebsgefahr (vgl. BGH, Urteil vom 16.10.2007, Az: VI ZR 173/06, Rdz. 20). In Anbetracht der Trennung der Verantwortungs- und Risikobereiche ist im Verhältnis der Betriebsunternehmer untereinander die Versperrung des Fahrweges (auch die nur eingeschränkte Nutzbarkeit der Trasse für den Schienenverkehr) aber allein dem Risikobereich der Beklagten zuzurechnen. Das auf den Schienen befindliche Metallteil, welches den erheblichen Schaden am Triebwagen der Klägerin verursacht hat, ist dem Risikobereich der Beklagten zuzuordnen, weshalb ihr eine erhöhte Betriebsgefahr anzurechnen ist.

In Anbetracht dieser Umstände ist eine Haftungsverteilung zwischen Klägerin und Beklagter von 1/3 zu Lasten der Klägerin und 2/3 zu Lasten der Beklagten angezeigt. Eine solche Quote ergibt sich bereits aus den Umständen, die für eine Abwägung im vorliegenden Fall, heranzuziehen sind. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat auch der Bundesgerichtshof in ähnlichen Fallkonstellationen (Felsbrocken und umgestürzter Baum) eine solche Quote ausdrücklich gebilligt. Es mag zwar sein, dass die Höhe der Mithaftungsquote der Geschädigten in den vom BGH zu entscheidenden Verfahren in der Revision nicht angegriffen waren. Dennoch hat der BGH jeweils ausgeführt, dass die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Berücksichtigung der von der Klägerin selbst angenommenen Mithaftungsquote von 1/3 aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden sei. Angesichts der unterschiedlichen Berücksichtigung der Betriebsgefahren erscheint eine solche Verteilung auch angemessen.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB. Mit der endgültigen und ernsthaften weiteren Leistungsverweigerung aus dem Schreiben der Beklagten vom 08.05.2013 ergibt sich ein Verzug, ohne dass es einer gesonderten Mahnung bedarf.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs. 1, 101 Abs. 1, 2. Halbsatz ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.

Gericht LG Coburg
Typ Urteil (Endurteil)
Datum 27.01.2015
Normen § 1 Abs. 1, Abs. 2 HaftPflG; § 2 HaftPflG; § 13 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 HaftPflG; § 14 HaftPflG; § 280 Abs. 2 BGB; § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB; § 288 Abs. 1 BGB; § 2 Abs. 3 AEG; § 4 Abs. 1 AEG;
Stichworte Schadensersatz; Anspruch; Pflicht und Umfang zum Ersatz; Betriebsunfall; Betriebsunternehmer; Merkmal des Betreibens; rechtliche Trennung von Fahrbetrieb und Infrastruktur; Gefährdungshaftung; Mithaftung; Mithaftungsquote; Haftungsverteilung; Abwägu

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