BVerwG, vom 30.08.1995
Az.: 4 B 185.95
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Gründe:
I.
Die Klägerinnen wenden sich gegen einen Planfeststellungsbeschluß aus dem Jahre 1991, der die Grundlage dafür bildet, die Staatsstraße St 2240 Erlangen-Eschenau, die durch Neunkirchen am Brand verläuft, auf einer Länge von knapp 4 km aus der Ortslage zu verlegen. Die Klägerinnen sind Eigentümerinnen landwirtschaftlich genutzter Grundstücke, von denen Teilflächen für das Vorhaben in Anspruch genommen werden sollen. Sie halten den Planfeststellungsbeschluß u.a. deshalb für fehlerhaft, weil die Planungsbehörde keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt hat.
Klage und Berufung blieben erfolglos. Das Berufungsgericht hat weitgehend auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug genommen und zur Frage der Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung angefügt: Es handele sich um ein Vorhaben, das einer Umweltverträglichkeitsprüfung nur dann unterliege, wenn dies nach Auffassung des betreffenden Mitgliedstaates erforderlich sei. Der Bayerische Gesetzgeber, der für eine solche Regelung im Bereich des Landesstraßenrechts zuständig sei, habe die Bestimmungen, ohne die die UVP-Richtlinie der Gemeinschaft unanwendbar sei, nicht getroffen.
Gegen diese Entscheidung wenden die Klägerinnen sich mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.
Die Klägerinnen halten für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob es mit der EG-Richtlinie 85/337 unvereinbar ist, daß der Freistaat Bayern sämtliche Projekte, die im Anhang II dieser EG-Richtlinie genannt sind und die in seine alleinige Gesetzgebungskompetenz fallen, nicht in nationales Recht umgesetzt hat, und ob sich wegen dieser Verletzung der EG-Richtlinie Drittbetroffene, die bei der Verwirklichung des Projekts in ihren Eigentumsrechten verletzt sind, auf die unmittelbare Drittwirkung der Richtlinie mit der Folge berufen können, daß die ohne Umweltverträglichkeitsprüfung getroffene Planungsentscheidung aufgehoben werden muß.
Diese Fragestellung rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision auf der Grundlage des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, auch wenn der Beschwerde einzuräumen ist, daß Probleme angesprochen werden, deren höchstrichterliche Klärung geboten erscheinen mag.
Das Bundesverwaltungsgericht hat bisher noch nicht Stellung zu den Bedenken genommen, die daran geäußert worden sind, daß der Freistaat Bayern ebenso wie die Mehrzahl der übrigen Bundesländer bisher keine Anstalten getroffen hat, um die Richtlinie des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung in nationales Recht umzusetzen. Dahinstehen kann, ob eine entsprechende Verpflichtung aus dem Gemeinschaftsrecht oder dem innerstaatlichen Recht, etwa dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Bundestreue, folgt (vgl. hierzu Steinberg/ Müller, NuR 1989, 277, 279). Auf Länderebene besteht ein Umsetzungsbedarf gegebenenfalls in den Umweltrechtsbereichen, in denen die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz bei den Bundesländern liegt (vgl. hierzu Stich, UPR 1990, 121, 125; Schink, NVwZ 1991, 935, 938). Hierzu gehört u.a. das Landesstraßenrecht. Wie aus Art. 4 Abs. 1 UVP-RL in Verbindung mit der Nr. 7 des Anhangs I zu ersehen ist, sind Landesstraßen, die die Merkmale einer Schnellstraße im Sinne der Begriffsbestimmungen des Europäischen Übereinkommens über die Hauptstraßen des internationalen Verkehrs vom 15. November 1975 (BGBl II 1983, 245) erfüllen, einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen. Aber auch sonstige Straßen können nach der Systematik der EG-Richtlinie nicht ohne weiteres pauschal von der Umweltverträglichkeitsprüfung freigestellt werden. Sie zählen zu den in Nr. 10 lit. d des Anhangs II aufgeführten Infrastrukturprojekten, die nach Art. 4 Abs. 2 UVP-RL einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen sind, wenn ihre Merkmale nach Auffassung der Mitgliedstaaten dies erfordern. Das bedeutet nicht, daß der nationale Gesetzgeber nach freiem Belieben von einer Umweltverträglichkeitsprüfung absehen darf. Nach Art. 2 Abs. 1 Satz 1 UVP-RL haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, daß eine Umweltverträglichkeitsprüfung bei allen Vorhaben stattfindet, bei denen mit erheblichen Umweltauswirkungen zu rechnen ist. Art. 2 Abs. 1 Satz 2 UVP-RL knüpft in bezug auf die Definition der Projekte, auf die dies grundsätzlich zutrifft, an Art. 4 UVP-RL an. Diese Vorschrift enthält eine differenzierende Regelung. Der Richtliniengeber geht davon aus, daß die von Art. 4 Abs. 1 in Verbindung mit dem Anhang I erfaßten Vorhaben generell erhebliche Umweltauswirkungen erwarten lassen. Dagegen betrifft Art. 4 Abs. 2 in Verbindung mit dem Anhang II Projekte, von denen erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt ausgehen können, aber nicht zwangsläufig ausgehen müssen. Die Mitgliedstaaten brauchen nicht sämtliche Projekte der in diesem Anhang aufgeführten Klassen der gleichen vollständigen Prüfung nach den Art. 5 bis 10 UVP-RL zu unterwerfen wie die Projekte des Anhangs I. Ausweislich des Art. 4 Abs. 2 UVP-RL besteht eine Umsetzungsverpflichtung nur dann, wenn die Projekt-"Merkmale nach Auffassung der Mitgliedstaaten dies erfordern". Der Begriff der "Merkmale" wird in dieser Bestimmung nicht näher definiert. Insoweit ist auf Art. 2 Abs. 1 UVP-RL zurückzugreifen, der "insbesondere" auf die Art, Größe und den Standort des jeweiligen Projekts abstellt (vgl. BVerwG, Beschluß vom 18. Mai 1994 - BVerwG 4 NB 15.94 - Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 73). Allerdings räumt das Gemeinschaftsrecht einen Spielraum bei der Beurteilung ein, welche der im Anhang II aufgeführten Projekte, deren Umweltrelevanz maßgeblich durch ihre Größe und ihren Standort beeinflußt zu werden pflegt, eine Umweltverträglichkeitsprüfung erfordern. Art. 4 Abs. 2 Satz 2 UVP-RL eröffnet den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, die Prüfung auf einzelne Arten von Projekten zu beschränken oder an bestimmte Kriterien oder Schwellenwerte zu knüpfen.
Mit dieser Konzeption dürfte es schwerlich vereinbar sein, wenn der zur Umsetzung berufene nationale Gesetzgeber gänzlich untätig bleibt. Von einer Umweltverträglichkeitsprüfung abzusehen, stellt auch im Anwendungsbereich des Art. 4 Abs. 2 UVP-RL in Verbindung mit dem Anhang II eher die rechtfertigungsbedürftige Ausnahme als die Regel DAR. Von einer Umweltverträglichkeitsprüfung dürfen jedenfalls Projekte nicht ausgenommen werden, deren Umweltrelevanz auch unter Berücksichtigung der in Art. 2 Abs. 1 UVP-RL genannten Merkmale keinen Beurteilungszweifeln unterliegen kann (vgl. hierzu Erbguth/Schink, Kommentar zum UVPG, 1992, Einleitung Rn. 12; Winter, NuR 1989, 197, 198; Soell/Dirnberger, NVwZ 1990, 705, 706; Weber, NJW 1990, 1625, 1629; Beckmann, DVBl 1991, 358, 364). Dem haben einige Bundesländer Rechnung getragen (vgl. § 3 des baden-württembergischen Landesgesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung in Verbindung mit den Nrn. 4 und 5 der Anlage, § 38 Abs. 2 a Satz· 1 des nordrhein-westfälischen Straßen- und Wegegesetzes, § 38 Abs. 3 des brandenburgischen Straßengesetzes sowie § 39 Abs. 1 des sächsischen Straßengesetzes).
Das anhängige Verfahren würde dem Senat indes keine Gelegenheit bieten, eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zur Klärung der Frage zu erwägen, ob sich aus Art. 4 Abs. 2 UVP-RL in Verbindung mit der Nr. 10 lit. d des Anhangs II die Verpflichtung des Freistaats Bayern ableiten läßt, Landesstraßen unter bestimmten Voraussetzungen einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterwerfen. Denn die Entscheidung des Rechtsstreits hängt letztlich nicht davon ab, ob die von der Beschwerde aufgeworfene Frage in dem einen oder anderen Sinne beantwortet wird. Das Berufungsgericht hat sich im Wege der Bezugnahme nach § 130 b VwGO ergänzend auch die Entscheidungsgründe zu eigen gemacht, auf die sich die erste Instanz gestützt hat. Das Verwaltungsgericht hat sich mit der EG-rechtlichen Problematik auseinandergesetzt, dem Fehlen einer förmlichen Umweltverträglichkeitsprüfung aber im übrigen auch deshalb keine Bedeutung beigemessen, weil die Planfeststellungsbehörde, ohne sich des Verfahrensinstruments der Umweltverträglichkeitsprüfung zu bedienen, den "Anforderungen der Umweltverträglichkeitsprüfung" der Sache nach voll gerecht geworden sei. Dies läuft auf die Feststellung hinaus, daß die Planungsentscheidung auch dann nicht anders ausgefallen wäre, wenn die Planfeststellungsbehörde das Vorhaben im Sinne des Art. 4 Abs. 2 UVP-RL "einer Prüfung gemäß den Art. 5 bis 10 unterzogen" hätte.
Der Senat hat wiederholt bekräftigt, daß die Nichteinhaltung von Verfahrensbestimmungen für sich genommen nicht zur Aufhebung eines Planfeststellungsbeschlusses führt. Hinzukommen muß vielmehr, daß sich der formelle Mangel auf die Entscheidung in der Sache ausgewirkt haben kann. Der danach erforderliche Kausalzusammenhang ist nur dann gegeben, wenn nach den Umständen des jeweiligen Falles die konkrete Möglichkeit besteht, daß die Planungsbehörde ohne den Verfahrensfehler anders entschieden hätte (vgl. BVerwG, Urteile vom 30. Mai 1984 - BVerwG 4 C 58.81 - BVerwGE 69, 256 und vom 5. Dezember 1986 - BVerwG 4 C 13.85 - BVerwGE 75, 214). Der Senat hat diesen Grundsatz auch auf die Umweltverträglichkeitsprüfung angewandt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22. Juni 1993 - BVerwG 4 B 45.93 -, vom 12. Januar 1994 - BVerwG 4 B 163.93 - und vom 23. Februar 1994 - BVerwG 4 B 35.94- Buchholz 407.4 § 17.FStrG Nr. 97). Im Urteil vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 4.94 - (zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehen) hat er überdies ausgeführt, daß die UVP-Richtlinie keine Bestimmung enthält, die den Schluß nahelegt, daß der nationale Gesetzgeber verpflichtet gewesen wäre, privaten Dritten eine weitergehende Klagemöglichkeit einzuräumen, als sie das innerstaatliche Recht allgemein bei der Verletzung von Verfahrensvorschriften eröffnet. Die Beschwerde zeigt nicht auf, inwiefern die Rechtsprechung zu diesem speziellen Problemkreis der Korrektur oder der Fortentwicklung bedürftig sein sollte.
Ist das angefochtene Urteil in je selbständig tragender Weise mehrfach begründet, so kann die Revision nur dann zugelassen werden, wenn im Hinblick auf jeden der Begründungsteile ein Zulassungsgrund erfolgreich geltend gemacht wird (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 9. März 1982 - BVerwG 7 B 40.82 - und vom 20. August 1993 - BVerwG 9 B 512.93- Buchholz 310 § 132 VwGO Nrn. 209 und 320). Daran fehlt es hier. Das von der Beschwerde mit der Grundsatzrüge angegriffene Begründungselement des Berufungsgerichts kann hinweggedacht werden, ohne daß dem Berufungsurteil die Entscheidungsgrundlage entzogen wird.
Die geltend gemachte Abweichung von den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Mai 1990 - 2 BvL 12, 13/88, 2 BvR 1436/87 - (BVerfGE 82, 159) und des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Juli 1986 - BVerwG 3 B 104.85 - (Buchholz 451.90 EG-Recht Nr. 64) liegt nicht vor. Das Berufungsgericht hat nicht den in der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Rechtssatz in Zweifel gezogen, daß Fragen des Gemeinschaftsrechts grundsätzliche Bedeutung haben und den Revisionsrechtszug eröffnen, wenn sich die Notwendigkeit abzeichnet, in einem künftigen Revisionsverfahren eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs einzuholen. Überlegungen dazu, ob Veranlassung bestand, klären zu lassen, unter welchen Voraussetzungen die Mitgliedstaaten auch im Hinblick auf Vorhaben, die im Anhang II der UVP-Richtlinie aufgezählt sind, die rechtlichen Grundlagen für die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung schaffen müssen, erübrigten sich, da diese von den Klägerinnen problematisierte Frage für die Entscheidung der Vorinstanz keine ausschlaggebende Rolle spielte.
Gericht | BVerwG |
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Datum | 30.08.1995 |
Normen | Art. II UVP-RL, Art. IV UVP-RL |
Stichworte | Straßenbau, Umweltverträglichkeit, Umsetzungsverpflichtung, Umweltrelevanz, Projektmerkmale, Umwelt |