BVerwG, vom 18.09.1995
Az.: 11 VR 7.95
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(BVerwG, 11. Senat)
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 50 000 DM festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen den Planfeststellungsbeschluß des EisenbahnBundesamtes - Außenstelle Erfurt - für Abschnitt 2.1 der Neubaustrecke Er. – Le./Ha.. Sie begehrt in erster Linie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage BVerwG 11 A 10.95, hilfsweise den Erlaß einer einstweiligen Anordnung, mit der die Antragsgegnerin verpflichtet werden soll, im Planungsabschnitt 2.1 Bauausführungen einstweilen zu unterlassen.
Die Deutsche Reichsbahn als Rechtsvorgängerin der Beigeladenen leitete das Planfeststellungsverfahren im Dezember 1993 ein. Von Mitte Februar bis Mitte März 1994 lagen die Planunterlagen in den betroffenen Gemeinden der Bundesländer Sachsen-Anhalt und Thüringen aus. Das Landesverwaltungsamt für Thüringen und das Regierungspräsidium Halle für Sachsen-Anhalt führten die Anhörungsverfahren durch. Dabei wurde die Antragstellerin, die ihren Geschäftssitz in Apolda/Thüringen, daneben aber auch ein Wasserwerk in Wi./SachsenAnhalt unterhält, in Thüringen neben Behörden, anderen Trägern öffentlicher Belange sowie den anerkannten Naturschutzverbänden zur Stellungnahme aufgefordert.
Im Thüringer Anhörungstermin, der am 13. Juni 1994 stattfand, wies ein Vertreter der Antragstellerin, die zuvor keine Stellungnahme eingereicht hatte, mündlich darauf hin, daß die geplante Trasse eine Trinkwasserfernleitung für die Bewohner von Eß. Und Te. kreuze. Der Planfeststellungsbeschluß (S. 147/148) führt dazu aus, der Vorhabensträger habe sicherzustellen, daß der Betrieb der Wasserleitung nicht beeinträchtigt werde. Er habe die Ausführungsplanung insoweit im Benehmen mit der Antragstellerin durchzuführen.
Der Anhörungstermin für das Land Sachsen-Anhalt fand am 14. und 15. Juni 1994 in B.Bi. statt. Dabei überreichte ein Vertreter der Antragstellerin eine schriftliche Stellungnahme des Geschäftsführers des Wasserwerks Wi. der Antragstellerin, die sich mit der Situation des Wasserwerks befaßt. Die Stellungnahme wurde im Termin erörtert; ein Vertreter der Planungsgesellschaft Bahnbau Deutsche Einheit mbH sagte die Berücksichtigung aller in der Stellungnahme angesprochenen Probleme zu. Das Protokoll enthält anschließend den Hinweis, der Verhandlungsleiter habe die Stellungnahme für erledigt erklärt.
Der Planfeststellungsbeschluß wurde mit Datum des 6. Dezember 1994 erlassen und der Antragstellerin nach ihren Angaben am 28. Dezember 1994 zugestellt. Am 26. Januar 1995 hat die Antragstellerin Klage erhoben (BVerwG 11 A 10.95). Sie begehrt die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses, hilfsweise die Ergänzung des Plans um eine Reihe von Maßnahmen, die aus ihrer Sicht erforderlich sind, um den Betrieb des Wasserwerks Wi. zu sichern. Gleichzeitig hat die Antragstellerin um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.
Sie beruft sich unter Darlegung der aus ihrer Sicht bestehenden Gefährdung auf die Situation ihres Wasserwerks Wi.. Sie meint, daß ihr eine materielle Präklusion nicht entgegengehalten werden könne. Die im Erörterungstermin vom 13. Juni 1994 vorgetragenen Einwendungen seien im Termin diskutiert und ungeachtet einer möglichen Präklusion beschieden worden. Der Einwendungsausschluß nach § 20 Abs. 2 AEG sei damit nicht eingetreten. In Sachsen-Anhalt sei sie rechtswidrig nicht zu einer Stellungnahme aufgefordert worden. Die gleichwohl im Erörterungstermin am 14. Juni 1994 in B.Bi. vorgetragenen Gesichtspunkte seien ungeachtet der in das Protokoll aufgenommenen Erledigungserklärung tatsächlich nicht erledigt. Im Planfeststellungsbeschluß sei nämlich keine ausreichende Umsetzung der vorgetragenen Bedenken erfolgt.
Antragsgegnerin und Beigeladene sind der Auffassung, daß für die Antragstellerin ein Ausschluß ihrer Einwendungen nach § 20 Abs. 2 AEG eingetreten sei. Innerhalb der Einwendungsfrist habe die Antragstellerin keine Einwendungen gegen den Plan erhoben. Die in B.Bi. vorgetragenen Gesichtspunkte, die die Antragstellerin jetzt zum Gegenstand ihrer Verfahren mache, seien im übrigen im Erörterungstermin erledigt worden. Auch deswegen könne die Antragstellerin sie jetzt nicht gegen die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses anführen.
II.
Der Antrag kann keinen Erfolg haben.
1. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Anfechtungsklage gemäß § 80 a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses, das Grundlage des in § 5 Abs. 2 Satz 1 des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes vom 16. Dezember 1991 (BGBl I S. 2174 – VerkPBG -) geregelten Ausschlusses des Suspensiveffektes ist, überwiegt gegenüber dem Interesse der Antragstellerin an der Beibehaltung des bisherigen Zustandes schon deswegen, weil die Hauptsacheklage nach dem derzeitigen Erkenntnisstand keine Aussicht auf Erfolg bietet.
a) Die Antragstellerin ist mit den Einwendungen, die sie gegen die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses anführt, ausgeschlossen. § 73 Abs. 4 VwVfG bestimmt, daß jeder, dessen Belange durch das Vorhaben berührt werden, bis zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist schriftlich oder zur Niederschrift bei der Anhörungsbehörde oder bei der Gemeinde Einwendungen gegen den Plan erheben kann. Nach dem bisher bekannten Sachverhalt hat die Antragstellerin dem nicht entsprochen. Sie hat nämlich eine schriftliche Äußerung zu dem Plan erstmals im Erörterungstermin für das Land Sachsen-Anhalt am 14. Juni 1994 vorgelegt und darüber hinaus ihre Bedenken in beiden Erörterungsterminen mündlich dargelegt. Die Frist des §.73 Abs. 4 Satz 1 VwVfG war zu diesem Zeitpunkt verstrichen. Soweit die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 11. April 1995 hat vortragen lassen, sie habe seit 1991 wiederholt auf ihre Situation hingewiesen und werde "weiter recherchieren", ob innerhalb der Einwendungsfrist Einwendungen erhoben worden seien, ist sie darauf nicht mehr zurückgekommen.
Die Versäumung der Frist hat zur Folge, daß die Einwendungen, auf die die Antragstellerin sich jetzt zur Begründung ihrer Anträge bezieht, ausgeschlossen sind. Dies regelt § 20 Abs. 2 Satz 1 AEG. Mit der dort vorgesehenen materiellen Präklusion sind die Einwendungen in der Sache verwirkt, so daß sie der Antragstellerin im verwaltungsgerichtlichen Verfahren keine klagefähige Rechtsposition mehr zu verleihen vermögen. Dies unterscheidet § 20 Abs. 2 Satz 1 AEG von Regelungen, die lediglich eine formelle Präklusion vorsehen, und schließt aus, daß die Anhörungsbehörde - etwa wie die Widerspruchsbehörde bei einem verspäteten Widerspruch - durch inhaltliche Befassung mit den verspäteten Einwendungen eine einmal eingetretene materielle Präklusion nachträglich wieder beseitigt und Rechtsschutzmöglichkeiten neu eröffnet (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juli 1980 - BVerwG 7 C 101.78 - BVerwGE 60, 297 ; insofern bestätigt durch BVerfG, Beschluß vom 8. Juli 1982 - 2 BvR 1187/80 - BVerfGE 61, 82 zum Atomrecht).
b) Daß die Anhörungsbehörde des Landes Thüringen mit Schreiben vom 31. Januar 1994 die Antragstellerin als Trägerin öffentlicher Belange gemäß § 73 Abs. 2 VwVfG an dem Anhörungsverfahren beteiligt und zu einer Stellungnahme aufgefordert hat, steht dem Eintritt der materiellen Präklusion hinsichtlich der Einwendungen, auf die die Antragstellerin ihre Anträge in den gerichtlichen Verfahren stützt und die sie erstmals im Erörterungstermin in B.Bi. am 14. Juni 1994 vorgebracht hat, nicht entgegen. Die Betroffenenanhörung nach § 73 Abs. 4 VwVfG und die Behördenanhörung nach § 73 Abs. 2 VwVfG sind gesonderte Verfahrensabschnitte. Soweit ein Träger öffentlicher Belange sich die Möglichkeit offenhalten will, der Planung zuwiderlaufende Belange notfalls im Klageweg geltend zu machen, muß er sich im Rahmen der Betroffenenanhörung fristgerecht mit Einwendungen beteiligen. Eine Beteiligung im Rahmen der Behördenanhörung reicht dafür nicht aus. Dementsprechend hat der Senat bereits in seinem Beschluß vom 13. März 1995 - BVerwG 11 VR 2.95 - (UPR 1995, S. 268) entschieden, daß die Beteiligung gemäß § 73 Abs. 2 VwVfG eine Gemeinde nicht berechtige, die Substantiierung ihrer Einwendungen einer nach Ablauf der Einwendungsfrist eingereichten Stellungnahme vorzubehalten; vielmehr müsse - auch - sie ihre Einwendungen innerhalb der dafür vorgesehenen Frist des § 73 Abs. 3 Satz 1 VwVfG vorbringen und substantiieren. Für die Antragstellerin als privatrechtlich organisierte Trägerin öffentlicher Belange folgt daraus, daß es - unabhängig davon, ob sie als Behörde im Sinne von § 73 Abs. 2 VwVfG anzusehen ist oder nicht - im Rahmen der ihr obliegenden Mitwirkungslast lag, etwaige Einwendungen fristgerecht und nicht erst mit einer späteren Stellungnahme nach § 73 Abs. 2 VwVfG geltend zu machen.
c) Dem Eintritt der materiellen Präklusion kann die Antragstellerin nicht mit Erfolg entgegenhalten, sie hätte auch im Land Sachsen-Anhalt von der Anhörungsbehörde gemäß § 73 Abs. 2 VwVfG zu einer Stellungnahme aufgefordert werden müssen. Sollte eine solche behördliche Pflicht bestanden haben, so würde dies angesichts des ordnungsmäßigen Bekanntmachungs- und Auslegungsverfahrens - auch in der Gemeinde Wi. - nichts daran ändern, daß die Antragstellerin nur durch die rechtzeitige Erhebung von BetroffenenEinwendungen den Eintritt der Präklusion nach § 20 Abs. 2 Satz 1 AEG hätte vermeiden können. Verfahrensfehler, die sich auf die Behördenanhörung beschränken, hindern den Eintritt der Präklusion nicht.
d) Gründe, die nach § 32 Abs. 1 VwVfG eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einwendungsfrist ermöglichen würden, sind nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht. Insbesondere enthält das Schreiben des Thüringer Landesverwaltungsamtes vom 31. Januar 1994, mit dem die Antragsgegnerin zur Stellungnahme nach § 73 Abs. 2 VwVfG aufgefordert worden ist, keine Ausführungen, aus denen die Antragstellerin hätte schließen dürfen, sie könne auch etwaige klagefähige Einwendungen noch außerhalb der bekanntgemachten Einwendungsfrist innerhalb der bis zum 1. Mai 1994 erbetenen Stellungnahme nach § 73 Abs. 2 VwVfG erheben.
e) Sind die Einwendungen folglich materiell ausgeschlossen und war die Anhörungsbehörde rechtlich nicht in der Lage, auf diese Folge in der Weise zu verzichten, daß die Antragsgegnerin sich im Gerichtsverfahren erneut auf die genannten Bedenken stützen kann, so kommt es nicht - mehr - darauf an, ob der Klage im übrigen auch deshalb von vornherein ein Erfolg versagt bleiben muß, weil die Einwendungen im Termin am 14. Juni 1994 in B.Bi. erörtert worden sind und dann offenbar im Einverständnis der Beteiligten zu Protokoll gegeben worden ist, der Verhandlungsleiter erkläre die Stellungnahme für erledigt.
2. Die hilfsweise begehrte einstweilige Anordnung kann nicht erlassen werden. Die Antragstellerin hat nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, daß die für ihren Erlaß nach § 123 Abs. 1 VwGO bestehenden Voraussetzungen erfüllt sind. Abgesehen davon, daß der erforderliche Anordnungsanspruch und der ihm zugrundeliegende Anspruch auf Planergänzung nicht mit solchen Einwendungen gegen den Plan belegt werden können, mit denen die Antragsgegnerin gemäß § 20 Abs. 2 AEG materiell ausgeschlossen ist, fehlt es an einem Anordnungsgrund. Nachdem nämlich der Vertreter der Planungsgesellschaft Bahnbau Deutsche Einheit im Erörterungstermin am 14. Juni 1994 die Berücksichtigung sämtlicher Bedenken der Antragsgegnerin im Zuge der Planausführung zugesagt und die Beigeladene diese Zusage im vorliegenden Verfahren (Schriftsätze vom 15. März 1995 am Ende und 12. Mai 1995 S. 4) bestätigt hat, ist zumindest derzeit nicht ersichtlich, daß eine einstweilige Anordnung erlassen werden müßte, um etwaige Rechte der Antragstellerin vorläufig zu sichern.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kostender Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, entspricht der Billigkeit, weil die Beigeladene sich mit eigenen Anträgen am Verfahren beteiligt hat. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 20 Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Gericht | BVerwG |
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Datum | 18.09.1995 |
Normen | § 73 VwVfG, § 20 AEG |
Stichworte | Materielle Präklusion; Befassung der Anhörungsbehörde mit verspäteten Einwendungen; Betroffenenanhörung; Behördenanhörung; Verwaltungsverfahrensrecht; Planfeststellungsrecht |