OVG Münster, vom 09.09.1994
Az.: 11 B 1447/94
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(OVG Münster, 11. Senat)
-Bauordnungsverfügung, vorläufiger Rechtsschutz
Der angefochtene Beschluß wird geändert.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 19. Mai 1994 wird wiederhergestellt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 6.000,-- DM festgesetzt
Gründe:
I.
Die Antragstellerin betreibt seit etwa 1990 an Samstagen und gelegentlich an Sonntagen aufgrund entsprechender Pachtverträge auf einer Teilfläche des Güterbahnhofs der Deutschen Bahn in Ha. einen sogenannten Flohmarkt. Soweit die Veranstaltungen auf Sonn- oder Feiertage fielen, hat sie der Antragsgegner in der Vergangenheit mehrfach als Jahrmarkt im Sinne der Gewerbeordnung festgesetzt. Bei der benutzten Fläche handelt es sich um Ladestraßen zwischen Bahngleisen, die an den Wochenenden nicht genutzt werden, weil der Güterverkehr dann weitgehend ruht.
Mit Ordnungsverfügung vom 19. Mai 1994 untersagte der Antragsgegner der Antragstellerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit ab sofort, das in Anspruch genommene Grundstück Gemarkung Ha., Flur _ _ , Flurstück _ _ als Verkaufs- und Ausstellungsfläche zu nutzen, weil es sich dabei um eine Nutzungsänderung handele und die dafür erforderliche bauaufsichtliche Genehmigung nicht vorliege.
Dagegen hat die Antragstellerin Widerspruch eingelegt. Ihren Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen, hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Beschluß, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, abgelehnt. Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 19. Mai 1994 wiederherzustellen. Im Rahmen der gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das Interesse der Antragstellerin an der vorläufigen Fortführung der von ihr veranstalteten Flohmärkte im bisherigen Umfang gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Ordnungsfunktion des formellen Baurechts. Denn die angegriffene Ordnungsverfügung ist offensichtlich rechtswidrig. Die Durchführung des Flohmarktes verstößt nicht gegen formelles Baurecht.
Gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 BauO NW gilt die Bauordnung, in der die formellen Anforderungen an bauliche Anlagen und deren Nutzung abschließend sind, nämlich nicht für Anlägen des öffentlichen Verkehrs und ihre Nebenanlagen, soweit es sich nicht um Gebäude, Überbrückungen und Stützmauern handelt. Zu den zuletzt genannten baulichen Anlagen gehören die Ladestraßen zwischen den Gleisen auf dem Güterbahnhof in Ha. nicht. Ladestraßen im Bereich von Güterbahnhöfen gehören allerdings zu den Bahnanlagen, die der Abwicklung und Sicherung des äußeren Eisenbahndienstes dienen, und damit im Bereich der Deutschen Bahn regelmäßig zu den dem öffentlichen Verkehr dienenden Betriebsanlagen.
Vgl. dazu BVerwG, Urteile vom 7. Juni 1977 - I C 21.75 DÖV 78, 49, und vom 16.Dezember 1988 - 4 C 48.86 -, BVerwGE 81, 111 (114) = DVB1. 89, 458 = DÖV 89, 637 = ZfBR 89, 123 = UPR 89, 264 = NVwZ 89, 655 = NuR 90, 366; OVG NW, Urteil vom 15. März 1974 - X B 32/74 -, OVGE 29, 245 (248) = BRS 28 Nr. 100; Küchler, Geltung von Landesbaurecht für Bundesbahnanlagen?, DÖV 77, 187.
Davon geht ersichtlich auch die Beigeladene aus, die im Beschwerdeverfahren mitgeteilt hat, daß die von der Antragstellerin genutzten Flächen als Ladestraße für den Eisenbahngüterverkehr fachplanerisch zweckgebunden sind. Daran hat sich durch die Neuordnung des Eisenbahnwesens nichts geändert. Der Senat hat keine. Anhaltspunkte dafür, daß die vorgenannten Betriebsanlagen ausnahmsweise nicht dem öffentlichen Eisenbahnverkehr dienen, vgl. dazu § 3 AEG. Der Antragsgegner, und das beigeladene Eisenbahn-Bundesamt haben dazu auch nichts vorgetragen.
Das Verwaltungsgericht geht im übrigen zutreffend davon aus, daß die Ladestraße durch die Nutzung der Antragstellerin nicht ihre fachplanerische Zweckbindung verliert, weil eine Entwidmung nur durch bestimmten Formerfordernissen entsprechende Erklärungen der Eisenbahn-Bundesamtes, vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 1 EVerkVerwG, § 1.8 AEG, erfolgen kann.
Vgl. zur früheren Rechtslage BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 1988, a.a.O.
Bei dieser Rechtslage hat die Annahme des Verwaltungsgerichts, daß die Ladestraße ihren Charakter als Betriebsanlage zeitweise, nämlich jeweils dann verliert, wenn die Antragstellerin das Gelände nutzt, keine Grundlage. Die Frage, ob für Flächen oder Anlagen der Deutschen Bahn, die nicht Gebäude, Stützmauern oder Überbrückungen sind, die Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen anwendbar ist, beurteilt sich allein danach, ob sie aufgrund Planfeststellung oder anderweitiger Widmung zu den dem öffentlichen Verkehr dienenden Betriebsanlagen gehören. Eine zeitweise widmungsfremde Nutzung ändert daran nichts. Der Gedanke des Verwaltungsgerichts würde andernfalls dazu führen, daß für ein und dieselbe Bahnanlage die Vorschriften der Bauordnung an den Wochenenden gälten, an den anderen Wochentagen aber nicht.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts läßt sich aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Dezember 1988 - 4 C 48.86 -, BVerwGE 81, 111 (119), nichts anderes entnehmen. Das folgt schon daraus, daß das Bundesverwaltungsgericht über die Errichtung eines Gebäudes zu entscheiden hatte und dafür auch nach nordrheinwestfälischem Landesrecht die Vorschriften der Bauordnung Geltung beanspruchen. Inwieweit dies im Einzelfall hinter entgegenstehendem Bundesrecht, vgl. § 4 Abs. 2 AEG, zurückzutreten hat, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn die Frage nach der formellen Legalität des von der Antragstellerin betriebenen Flohmarkts wird nicht wegen der einzelnen Verkaufsstände aufgeworfen. Bei diesen handelt es sich nämlich typischerweise nicht um bauliche Anlagen im Sinne des § 2 Abs. 1 BauO NW. Aus der Ordnungsverfügung ergibt sich denn auch, daß Anknüpfungspunkt für die Anwendung allgemeinen Baurechts die "bloße" Nutzung der Bahnanlagen für bahnfremde Zwecke ist.
Die angegriffene Ordnungsverfügung ist allein auf die Frage der formellen baurechtlichen Illegalität gestützt. Der Senat hat deshalb keine Grundlage für die Prüfung der Frage, ob die Nutzungsuntersagung aus anderen, nämlich materiell-rechtlichen Gründen rechtmäßig sein könnte. Insoweit wird vorsorglich auf folgendes hingewiesen:
Die mangelnde Anwendbarkeit der Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen auf die umstrittene Nutzung des Bahngeländes schließt auch das materielle Recht ein, soweit es sich aus der Bauordnung und aus aufgrund der Bauordnung erlassenen Vorschriften ergibt. Angesichts der Anknüpfung von § 29 BauGB an die landesrechtlichen Vorschriften über das formelle Baurecht dürfte auch die Anwendung des Bauplanungsrechtes ausscheiden. Deshalb dürfte sich in bezug auf den Flohmarktbetrieb der Antragstellerin letztlich auch nicht die Frage stellen, ob die Norminterpretationen des Bundesministeriums für Verkehr in dem vom beigeladenen Eisenbahn-Bundesamt vorgelegten Erlaß vom 14. Juli 1994 zutreffen, daß nämlich das Eisenbahn-Bundesamt - im Gegensatz zur früheren vollständigen Eigenüberwachung der Betriebsanlagen durch die Deutsche Bundesbahn - nur im Einzelfall bei ausdrücklicher Aufgabenzuweisung durch andere Gesetze für deren Durchführung zuständig sei. Immerhin spricht, zumindest weder der Wortlaut des § 4 Abs. 2 AEG noch des § 3 Abs. 2 .Nr. 6 EVerkVerwG für die Richtigkeit dieser Auffassung und es ist auch nicht ohne weiteres erkennbar, daß der Vorschriftenwortlaut insoweit auslegungsbedürftig wäre. Deshalb drängt sich die Auffassung des Bundesministeriums für Verkehr, diese Vorschriften seien entbehrlich, jedenfalls nicht auf. Bei der Nutzung von Bahnbetriebsanlagen für bahnfremde und damit regelmäßig von der planfestgestellten Zweckbestimmung nicht gedeckte Nutzungen dürften allerdings zumindest die Vorschriften des allgemeinen Ordnungsrechts, des Gewerberechts, des Immissionsschutzrechts und sonstigen Sonderordnungsrechts und die dafür bestehenden Zuständigkeiten weiterhin gelten.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 13 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 GKG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
Gericht | OVG Münster |
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Datum | 09.09.1994 |
Normen | § 80 VwGO, § 3 EVVG, § 4 AEG, § 18 AEG, § 1 BauONW |
Stichworte | Abschiebende Wirkung; Interessenabwägung; Ladestraßen als Betriebsanlagen und allgemeines Baurecht; Entwidmung; Planfeststellungsrecht; Bauordnungsrecht |