BVerwG, vom 31.03.1995
Az.: 7 VR 15.94 (20.95)
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( BVerwG, 7. Senat)
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 50 000 DM festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses für den Streckenbereich Ha./Land-Ho. des Ausbaus der Bahnstrecke Lü.-Ha./Land-Ro.-Str..
Das Planvorhaben ist Bestandteil eines der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit. Es umfaßt den Aufbau eines zweiten Gleises zwischen Ha./Land und Ho. wie die Elektrifizierung dieser Teilstrecke. Die Ortschaft Ho. besteht aus der eigentlichen Ortslage und dem nördlich davon gelegenen bebauten Bereich des Bahnhofs Ho.. Beide Ortsteile werden von der in Süd-Nord-Richtung verlaufenden umstrittenen Bahnlinie, die im Jahre 1847 erbaut wurde, durchquert. Zwischen den Ortsteilen mündet in diese Bahnstrecke von Südosten herkommend die zweigleisige und bereits elektrifizierte Strecke Lu.-Sch. ein.
Bereits im Vorfeld des Planfeststellungsverfahrens hatte die Antragstellerin Einwände gegen die Ausbauplanung erhoben und eine ostwärtige Umfahrung ihrer südlichen Ortslage, also des Ortskerns, verlangt. Auf ihre Anregung hin wurde daher im Auftrage der Planungsgesellschaft der Beigeladenen eine Gleisstudie "Umfahrung Ho." erstellt. Darin kamen die Gutachter unter dem 30. September 1993 zu der zusammenfassenden Beurteilung, daß eine solche Umfahrung zwar technisch möglich, aus ökologischer und landschaftspflegerischer Sicht jedoch abzulehnen sei; ein erheblicher Entscheidungsfaktor seien auch die mindestens anfallenden Mehrkosten von 25,5 Mio. DM.
Der Plan der Beigeladenen wurde daher mit unveränderter Streckenführung am 22. Dezember 1993 dem Landesamt für Straßenbau und Verkehr zur Durchführung des Anhörungsverfahrens eingereicht. Vom 18. Januar bis 18. Februar 1994 lag er im Amt Str. öffentlich aus. Die Antragstellerin äußerte sich über das Amt mit einer am 7. März 1994 bei der Anhörungsbehörde eingegangenen Stellungnahme. Sie machte unter anderem geltend, durch eine Vielzahl im einzelnen aufgezählter überörtlicher Planungen belastet zu werden; zu diesen zähle auch der zweigleisige Bahnstreckenausbau mitten im Ortskern. Eine geordnete städtebauliche Entwicklung des Ortes werde dadurch gefährdet. Die ländlichen Siedlungsstrukturen würden zerstört. Darüber hinaus blieben die geeignetesten Bauflächen von jeder Entwicklung ausgegrenzt. Der ländlich geprägte Ortskern dürfe auch nicht durch die Errichtung einer Lärmschutzwand zerstört werden. Die Antragstellerin bat um Überprüfung der eingeholten Gleisstudie. Sie erklärte sich bereit, im Rahmen der Flurneuordnung die für eine Umfahrung benötigten Flächen kostenlos zur Verfügung zu stellen.
Im Erörterungstermin am 3. Mai 1994 hielt die Antragstellerin an ihrer Forderung auf Umfahrung der Ortslage fest. Das Landesamt für Straßenbau und Verkehr schlug in seiner Stellungnahme zum Ergebnis des Anhörungsverfahrens vor, aufgrund der vorgelegten Gleisstudie zu entscheiden.
Der Planfeststellungsbeschluß erging am 1. September 1994. Die Planfeststellungsbehörde stellte die für die Streckenalternativen jeweils sprechenden Vor- und Nachteile zusammen, entschied sich nach Abwägung dieser Belange für den Ausbau der vorhandenen eingleisigen Strecke und lehnte die Umfahrung als kostenungünstig und mit hohem ökologischen Risiko durch einen nicht ausgleichbaren Eingriff in den Naturhaushalt belastet ab.
Gegen diesen, ihr am 21. September 1994 zugestellten Beschluß hat die Antragstellerin am 20. Oktober 1994 Klage erhoben und gleichzeitig um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Sie macht geltend: Der Planfeststellungsbeschluß verletze sie in ihrem Recht aus Art. 28 Abs. 2 GG. Er greife rechtswidrig in ihre Planungs- und Finanzhoheit ein. Die Antragsgegnerin habe die rechtlichen Schranken ihrer Gestaltungsfreiheit verkannt. Sie habe das Schutzgut Mensch nur im Hinblick auf die zu erwartenden Lärmimmissionen gewürdigt, nicht aber im Hinblick auf die Verwobenheit der Bürger in die dörfliche Gemeinschaft, die Beeinträchtigung der Lebensqualität durch die Zerschneidung des Dorfes und die sonstigen von der Bahn ausgehenden Gefahren. Die Bahnstrecke sei für sie - die Antragstellerin - bereits in ihrem jetzigen Zustand unzumutbar, so daß ihre Erweiterung nicht hingenommen werden könne. Dies gelte auch wegen der anderen überörtlichen Planungen, durch die das Gemeindegebiet belastet werde. Das Vorhaben der Antragsgegnerin beeinträchtige sie in ihrer städtebaulichen Entwicklung. Sie habe im Jahre 1992 versucht, eine Satzung nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nummer 3 BauGB zu erlassen. Der Innenminister habe die Genehmigung der Satzung jedoch wegen der vorhandenen Hauptstrecken der Bahn versagt. Eine flächenmäßige Ausdehnung des Ortsteils Ho. nach Westen scheide wegen der angrenzenden landwirtschaftlichen Nutzflächen aus. Für die Bebauung geeignete Flächen gebe es nur ostwärts der Bahntrasse. Das Vorhaben der Beigeladenen nehme ihr daher sämtliche Entwicklungsmöglichkeiten. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin trete auch eine Zerstörung der ländlichen Siedlungsstruktur ein, insbesondere durch die Elektrifizierung und durch die vorgesehene Schallschutzwand. Insoweit werde sie in ihrem Selbstgestaltungsrecht verletzt. Die eingeholte Gleisstudie könne die Ungeeignetheit der von ihr vorgeschlagenen Umgehungsstraße nicht begründen. Bemerkenswert sei, daß darin aktive Lärmschutzmaßnahmen von 800 m Länge westlich der Trasse für die Anwohner am Bu.Weg empfohlen würden, obwohl bei der planfestgestellten Trassenführung diese Anwohner gerade von aktivem Lärmschutz ausgenommen werden sollten. Die Gutachter hätten auch zu Unrecht angenommen, daß wertvolle Biotope zerstört würden, und vernachlässigt, daß für die Umfahrung weniger Flächen in Anspruch genommen werden müßten als bei einer Weiterverfolgung der alten Trassierung. Auch die Kosten der Umfahrungsstrecke seien geringer als von den Gutachtern angenommen zu veranschlagen, weil die Neubaustrecke kürzer sei, Schallschutz weitgehend nichterforderlich erscheine, ein weiterer Bahnübergang entfalle, die Kosten des Landerwerbs von ihr - der Antragstellerin - getragen würden und die Bauarbeiten ohne zeitliche Einschränkungen durchgeführt werden könnten.
Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sei geboten, weil die dargelegten ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses bestünden und das Ergebnis des Rechtsstreits durch die bereits angelaufenen Bauarbeiten präjudiziert werden könnte.
Unter dem 22. Februar 1995 hat die Antragstellerin ihren Vortrag im Hinblick auf die gerügte Beeinträchtigung ihrer Planungshoheit wie folgt ergänzt: Der Landesinnenminister habe von dem Gebiet ihres Bebauungsplans Nr. 2 den unmittelbar an der Bahntrasse gelegenen Planungsbereich im Jahr 1992 von einer Genehmigung ausgenommen, weil wegen der bevorstehenden Ausbauplanungen der Beigeladenen Bedenken aus immissionsschutzrechtlicher Sicht bestünden. Sie - die Antragstellerin - habe daraufhin in Erfüllung von Auflagen einen Schallschutzwall errichten müssen, der nunmehr im Rahmen der Ausbaumaßnahmen auf ihre Kosten wieder abgebaut werde.
Sie beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Planfeststellungsbeschluß der Antragsgegnerin für den Streckenbereich Ha./Land-Ho. der Ausbaustrecke Lü.-Ha./Land-Ro.-St. anzuordnen,
hilfsweise,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage insoweit beschränkt auf den Bereich ab Bahnkilometer 13,2 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.
Sie trägt vor: Der Antrag könne keinen Erfolg haben, weil die Klage aussichtslos sei. Der Vortrag der Antragstellerin genüge nicht den Anforderungen des § 42 Abs. 2 VwGO. Die Klägerin nenne kein konkretes Vorhaben, das sie im Rahmen ihrer ordnungsgemäß ausgeübten Planungshoheit deshalb nicht habe verwirklichen können, weil die Bahntrasse elektrifiziert und ausgebaut werden solle. Abgesehen davon seien die Einwände der Antragstellerin nicht berechtigt. Der Ort werde durch die Bahnlinie nicht geteilt; der überwiegende Teil der Bebauung befinde sich westlich der Bahn. Daß die Wohnbebauung bis unmittelbar an die vorhandene Bahntrasse heranreiche, habe die Antragstellerin selbst zu verantworten. Das Schutzgut Mensch gebe es als solches nicht. Wohl gebe es ein Recht auf körperliche Unversehrtheit. Dies werde durch die angeordneten Lärmschutzmaßnahmen, aber auch durch die Elektrifizierung gewahrt. Die durch den Ausbau der Strecke zu erwartenden Mehrbelastungen würden durch die Vorteile, welche die verbesserte Technik und der verbesserte Schallschutz böten, mindestens kompensiert. Die Befürchtungen der Antragstellerin hinsichtlich ihrer künftigen Planung seien ebenfalls nicht berechtigt. Ihre Planungen seien nicht durchsetzbar gewesen, weil sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung nicht vereinbar gewesen seien. Es trete auch keine wesentliche Veränderung der ländlichen Siedlungsstruktur ein, weil eine vorhandene Strecke lediglich ausgebaut werde. Das gelte auch mit Blick auf die Elektrifizierung; denn die Strecke Lu.-Sch. habe bereits eine Oberleitung. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin seien die Feststellungen der Gleisstudie logisch und nachvollziehbar. Aus Stellungnahmen der betroffenen Behörden zu der Gleisstudie ergebe sich, daß die Umfahrung aus landschaftspflegerischer und ökologischer Sicht nicht befürwortet werden könne. Ob wertvolle Biotope zerstört würden, könne nur der Sachverständige beurteilen. Deshalb werde insoweit auf die Stellungnahme der Träger dieser Belange verwiesen. Der Flächenverbrauch für die Neuerrichtung einer zweigleisigen Bahnanlage sei höher als der für den Ausbau der bestehenden eingleisigen Bahntrasse. Das gelte insbesondere deshalb, weil die Bahnanlage bereits für den zweigleisigen Ausbau vorgesehen gewesen sei. Bei dem Angebot zur kostenlosen Bereitstellung von Ersatzgrundstücken bleibe unklar, ob darunter nur die Grundstücke für den Bau der Ortsumfahrung zu verstehen oder ob damit auch die aus naturschutzrechtlicher Sicht notwendig werdenden Ausgleichsflächen gemeint seien. Das entscheidende Argument für den Planfeststellungsbeschluß sei allerdings nicht gewesen, daß der Ausbau der vorhandenen Anlage finanziell günstiger sei. Vielmehr habe sich nach Abwägung aller erheblichen Belange der Ausbau der vorhandenen Bahnanlage als die mildeste Beeinträchtigung aller Belange herausgestellt. Abgesehen davon sei die Kostenberechnung der Gutachter keineswegs unrealistisch. Die Kosten würden jedoch weit über 20 Mio. DM liegen, denn zu den errechneten reinen Baukosten kämen Aufwendungen für den zeitverzögerten Baubeginn, teure Abbruch- und Rekultivierungsarbeiten, naturschutzrechtlich gebotene Ausgleichsmaßnahmen sowie den notwendigen Bodenaustausch in Gebieten mit Torfablagerungen.
Die Beigeladene beantragt ebenfalls, den Antrag abzulehnen.
Sie macht geltend: Die Planungshoheit der Antragstellerin werde nicht verletzt. Dieses Recht werde nicht schon deswegen beeinträchtigt, weil das Vorhaben das Gemeindegebiet berühre und damit notwendigerweise die Ausgangslage für zukünftige Planungen der Gemeinde beeinflusse. Voraussetzung sei vielmehr, daß für das betroffene Gebiet bereits eine hinreichend bestimmte gemeindliche Planung bestehe und eine nachhaltige Störung dieser Planung durch das überörtliche Vorhaben zu erwarten sei. Dafür habe die Antragstellerin Konkretes nicht vorgetragen. Die Ausweisung von Baugebieten entlang der Bahntrasse sei ohne weiteres möglich. Soweit sie bereits in der Nähe der Gleise Baugebiete ausgewiesen und dabei unter Verstoß gegen planungsrechtliche Grundsätze Lärmschutzmaßnahmen nicht vorgesehen habe, könne sie sich nunmehr nicht auf unzumutbare Lärmbeeinträchtigungen durch die Schienentrasse berufen. Im übrigen sei nicht ersichtlich, weshalb durch den zweigleisigen Ausbau der Strecke eine relevante Verschlechterung der planungsrechtlichen Situation eintrete. Geradezu abwegig sei die Behauptung, das planfestgesetellte Vorhaben bedrohe die Existenz der Antragstellerin. Immerhin bestehe die Bahnlinie seit 1847, und die Gemeinde sei im Laufe der Zeit an sie herangewachsen. Soweit die Antragstellerin sich auf die teilweise versagte Genehmigung, für ihren Bebauungsplan Nr. 2 berufe, verkenne sie, daß sie keinerlei Lärmschutzmaßnahmen planerisch festgesetzt habe, obwohl sie dazu wegen der schon vorhandenen Bahntrasse verpflichtet gewesen wäre.
Für das weitere Vorbringen wird auf den schriftlichen Vortrag der Beteiligten verwiesen. Die Verwaltungsvorgänge und die Planunterlagen haben dem Senat vorgelegen und waren Gegenstand seiner Beratung. Der Berichterstatter hat die Örtlichkeiten am 20. März 1995 besichtigt und den Rechtsstreit mit den Beteiligten erörtert. Auf die Terminsniederschrift wird insoweit Bezug genommen.
II.
Der Antrag kann keinen Erfolg haben.
Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage nach § 80 a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO; denn das öffentliche Interesse an der sofortigem Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses, das Grundlage des in § 5 Abs. 2 Satz 1 des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes - VerkPBG - geregelten Ausschlusses des Suspensiveffekts der Anfechtungsklage ist, überwiegt ihr Interesse an der Beibehaltung des bisherigen Zustandes schon deswegen, weil ihre Klage keine Aussicht auf Erfolg hat.
Die Antragstellerin hat es bereits versäumt, einen Teil der von ihr mit der Klage geltend gemachten Einwände im Planfeststellungsverfahren hinreichend deutlich zu benennen (1). Auch im gerichtlichen Verfahren ist es ihr innerhalb der Frist des § 5 Abs. 3 Satz 1 VerkPBG weitgehend nicht gelungen, konkret herauszuarbeiten, worin die Verletzung ihres Selbstverwaltungsrechts liegt (2). Soweit der Prozeßstoff danach einer sachlichen Prüfung zugänglich bleibt, ist kein rechtswidriger Eingriff in ihre Rechte feststellbar (3). Aber auch unabhängig davon sind Planungsfehler der Antragsgegnerin nicht erkennbar (4).
1. Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes - AEG - sind Einwendungen gegen den Plan, die nach Ablauf der Einwendungsfrist erhoben werden, ausgeschlossen. Dieser Einwendungsausschluß erstreckt sich, wie der Senat für die gleichlautende Vorschrift des durch das Eisenbahnneuordnungsrecht außer Kraft gesetzten Bundesbahngesetzes entschieden hat, auch auf das gerichtliche Verfahren (Beschluß vom 12. November 1992 - BVerwG 7 ER 300.92 - Buchholz 442.08 § 36 BBahnG Nr. 22). Innerhalb der Einwendungsfrist hat die Antragstellerin im Hinblick auf die von ihr mit der Klage gerügte Verletzung ihres Selbstverwaltungsrechts aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG wenig Greifbares vorgetragen. Sie hat sich darauf berufen, daß die städtebauliche Entwicklung des Ortes gefährdet werde und die für eine Bebauung am besten geeigneten Flächen von jeder Entwicklung ausgegrenzt würden. Durch dieses pauschale Vorbringen hat sich die Antragstellerin ihre auf die Beeinträchtigung der Planungshoheit zielenden Einwände im anschließenden Gerichtsverfahren nur beschränkt erhalten können; denn dazu ist ein Mindestmaß an Substantiierung das als verletzt betrachteten Rechtsguts im Verwaltungsverfahren erforderlich (Urteil des Senats vom 17. Juli 1980 - BVerwG 7 C 101.78 - BVerwGE 60, 297 ; Steinberg, Fachplanungsrecht, § 3 Rn. 84 m.w.N.). Notwendig ist daher die Bezeichnung des gefährdeten Selbstverwaltungsvorhabens, hier der konkret gestörten Planung; denn nur ein in dieser Weise substantiierter Vortrag vermag eine entsprechende Anstoßfunktion im Planfeststellungsverfahren zu erfüllen. In diesem Sinne ausreichend ist das Vorbringen der Antragstellerin allenfalls insoweit, als es bei wohlwollender Auslegung dahin zu verstehen ist, daß durch den Bahnausbau wesentliche Teile des Gemeindegebiets einer durchsetzbaren gemeindlichen Planung entzogen würden; denn auch darin läge eine Verletzung der Planungshoheit (stRspr; zuletzt Urteil des Senats vom 27. März 1992 - BVerwG 7 C 18.91 - BVerwGE 90, 96 m.w.N.). Ähnliches Wohlwollen ist notwendig, um den Hinweis der Antragstellerin auf die Zerstörung der ländlichen Siedlungsstrukturen durch das Planvorhaben sowie des ländlich geprägten Ortskerns durch die angeordnete Lärmschutzwand als einen auf das sog. Selbstgestaltungsrecht der Gemeinde zielenden Einwand aufzufassen.
2. Eine über diese Einwände hinausgehende Verletzung subjektiver Rechte hat die Antragstellerin innerhalb der Frist des § 5 Abs. 3 Satz 1 VerkPBG auch mit ihrer Klage und ihrem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht mit der erforderlichen Substanz geltend gemacht.
§ 5 Abs. 3 Satz 1 VerkPBG verpflichtet den Kläger gegen einen unter dieses Gesetz fallenden Planfeststellungsbeschluß, innerhalb einer Frist von sechs Wochen die Tatsachen anzugeben, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühlt. Nach der Rechtsprechung des Senats beginnt diese Frist mit Klageerhebung und verpflichtet den Rechtsbehelfsführer, die ihn beschwerenden Umstände so konkret vorzutragen, daß der Lebenssachverhalt, aus dem er den mit seiner Klage verfolgten Anspruch ableitet, unverwechselbar feststeht (Urteil des Senats vom 30. August 1993 - BVerwG 7 A 14.93 - Buchholz 442.08 § 36 BBahnG Nr. 23). Die Antragstellerin hat jedoch bis zu diesem Zeitpunkt konkrete Planungsvorhaben, die sie durch den Bahnausbau gefährdet sieht, nicht benannt mit Ausnahme einer Abrundungssatzung nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nummer 3 BauGB, für die ihr im Jahre 1992 die Genehmigung unter Hinweis auf die vorhandenen Hauptstrecken der Bahn versagt worden sei. Welchen Teil der Gemeinde diese Satzung betraf, ergab sich aus ihrem Vortrag allerdings nicht. Lediglich anhand des beigefügten Bescheides des Innenministers ließ sich vermuten, daß es sich um den Bereich am Bu.Weg handeln mußte, weil darin von der Bebauung zwischen zwei Hauptstrecken der Bahn die Rede ist. Da die Antragstellerin jedoch selbst geltend gemacht hat, daß die Ablehnung mit dem vorhandenen Streckenbestand begründet worden sei, ließ auch dieser Vortrag einen rechtlichen Bezug zu dem von ihr bekämpften Streckenausbau nicht erkennen.
Hinreichend konkret geltend gemacht hat die Antragstellerin innerhalb der Sechswochenfrist, daß eine flächenmäßige Ausdehnung des Ortsteils nach Westen ausscheide und geeignete Bauflächen lediglich im Bereich östlich der Bahntrasse zu finden seien. Damit hat sie auch mit der Klage sinngemäß gerügt, daß weite Teile ihres Gemeindegebiets einer durchsetzbaren Planung entzogen würden. Dasselbe gilt für das von ihr in Anspruch genommene Selbstgestaltungsrecht. Dies hat sie zwar erstmals mit Schriftsatz vom 10. Januar 1995 namentlich benannt; den Sachverhalt, auf den sie sich dafür bezieht - Ortsprägung der Maßnahme -, hatte sie aber bereits mit Klageerhebung umschrieben.
3. Soweit der Prozeßstoff demnach einer sachlichen Prüfung zugänglich ist, ist eine Verletzung von Rechten der Antragstellerin nicht feststellbar.
a) Es trifft aus verschiedenen Gründen nicht zu, daß durch die Planung der Beigeladenen wesentliche Teile des Gemeindegebiets einer durchsetzbaren Planung gänzlich entzogen würden. Die Antragstellerin beschränkt ihren darauf zielenden Vortrag auf die eigentliche Ortslage von Ho.. Es ist daher fraglich, ob bereits die Ausblendung der anderen Ortsteile (Bahnhof Ho., Bu., Le.) ihre Rüge unschlüssig macht. Aber selbst wenn man lediglich das Gebiet der eigentlichen Ortschaft Ho. in die Betrachtung einbezieht, liegt kein Eingriff in der von der Antragstellerin gerügten Großflächigkeit und Intensität und damit auch keine nachhaltige Beeinträchtigung der Planungshoheit vor. Die Ortsbesichtigung hat zwar ergeben, daß der Bereich westlich der Ortslage in der Tat für eine Bebauung nicht in Betracht kommt. Flächen für eine wohnliche Nutzung stehen jedoch - wenn auch beschränkt auf ca. 20 Einheiten - nach Süden zur Verfügung. Hinzu kommt das bereits weitgehend ausgenutzte Plangebiet des Bebauungsplans Nr. 2 und das Gelände am Ortsausgang Richtung Le., bei dessen Beplanung derzeit die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange läuft. Schließlich werden - wie die Augenscheinseinnahme ergeben hat - auch am Bu.Weg ungeachtet der Tatsache, daß die Abrundungssatzung nicht erlassen werden konnte, weiterhin Wohnhäuser genehmigt und errichtet, wobei ein Neubauvorhaben in unmittelbarer Nachbarschaft zum Bahnübergang entsteht. Von einer weitreichenden Beschneidung der städtebaulichen Entwicklung kann schon deshalb keine Rede sein. Hinzu kommt - und das vernachlässigt die Antragstellerin vollständig -, daß die Bahn seit nahezu 150 Jahren auf dieser Strecke verkehrt und schon deswegen entsprechende Beschränkungen der Bauleitplanung vorgegeben sind. Zwar werden die nachteiligen Wirkungen des Eisenbahnverkehrs auf die angrenzenden Flächen durch den Streckenausbau vermehrt. Die Beschränkungen, denen die Antragstellerin im Hinblick auf die Bebaubarkeit ihres Gemeindegebiets unterliegt, werden dadurch jedoch aus rechtlicher Sicht nicht wesentlich erhöht. Daß die Antragstellerin bisher bei ihren Planungen den bereits vorhandenen Bahnanlagen möglicherweise nicht die gebotene Aufmerksamkeit geschenkt hat, muß bei dieser Betrachtung unberücksichtigt bleiben.
Es fehlt insoweit aber nicht nur an dem für einen Erfolg der Klage erforderlichen Eingriff in die Planungshoheit. Daneben ist auch nicht erkennbar, daß die allgemeinen Anforderungen, die an die Antragstellerin bei der Beplanung ihres Gemeindegebiets im Hinblick auf das Vorhaben der Beigeladenen gestellt werden, rechtswidrig wären. Dies könnte nur angenommen werden, wenn die von der Antragsgegnerin bestätigte Trassenwahl der Beigeladenen fehlerhaft wäre. Auch dafür ist nichts erkennbar. Angesichts der einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle entzogenen planerischen Gestaltungsfreiheit der Antragsgegnerin liegt ein Rechtsfehler nicht schon darin, daß sie sich abweichend von den Vorstellungen der Antragstellerin für die von der Beigeladenen vorgesehene Trassenalternative entschieden hat. Rechtswidrig wäre diese Entscheidung nur, lägen ihr das Planungsermessen sprengende Abwägungsfehler zugrunde. Auf solche Mängel deuten weder der Vortrag der Antragstellerin noch die Begründung der angegriffenen Entscheidung hin. Die Antragsgegnerin hat im Planfeststellungsbeschluß nachvollziehbar dargelegt, warum sie sich so und nicht anders entschieden hat. Eine Nichtberücksichtigung oder Fehlgewichtung von Belangen kann diesen Ausführungen nicht entnommen werden. Auch hier blendet die Antragstellerin bei ihrer Kritik die Vorprägung aus, die das Gemeindegebiet durch die bereits vorhandene Anlage erfährt. Soweit sie die für die Umfahrung ermittelten Kosten anzweifelt und damit die Ordnungsmäßigkeit des der Abwägung zugrundeliegenden Tatsachenmaterials in Frage stellt, hat ihr Vortrag keine hinreichende Substanz, um die sachverständig untermauerten Feststellungen der sog. Gleisstudie zu erschüttern. Insbesondere ist ihr in diesem Zusammenhang erhobener Einwand gegen die veranschlagten Lärmschutzkosten nicht berechtigt. Es ist angesichts der Ausführungen der Gutachter ohne weiteres nachvollziehbar, daß westlich der Umfahrungsstrecke aktiver Lärmschutz angeordnet werden müßte, weil dargelegt wird, daß auch bei der gewünschten Verlegung der Strecke im gesamten Bereich der Ortslage ein nächtlicher Beurteilungspegel von 49 dB(A) oder höher zu erwarten wäre. Notwendig wäre also nicht nur der Schutz der Anwohner am Bu.Weg, für die die festgestellte Planung keinen aktiven Lärmschutz vorsieht.
b) Der auf ihr sog. Selbstgestaltungsrecht zielende Einwand der Antragstellerin ist ebensowenig begründet. Dabei mag hier dahingestellt bleiben, unter welchen Voraussetzungen im einzelnen eine Gemeinde berechtigt ist, eine Beeinträchtigung solcher örtlichen Belange als einer Verletzung ihres Rechts aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG zu rügen (vgl. dazu Steinberg, a.a.O., § 7 Rn. 79 m.w.N.). Das vom Senat grundsätzlich anerkannte Selbstgestaltungsrecht (Urteil vom 18. März 1987 - BVerwG 7 C 31.85 - BVerwGE 77, 134 ) kann jedenfalls nur durch Maßnahmen betroffen sein, die das Ortsbild entscheidend prägen und damit nachhaltig auf das Gemeindegebiet und die Entwicklung der Gemeinde einwirken. Solche Wirkungen des Vorhabens der Beigeladenen sind angesichts der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten ausgeschlossen. Entgegen den Behauptungen der Antragstellerin verläuft die Bahnlinie nicht durch den Ortskern, sondern am ostwärtigen Ortsrand. Östlich von ihr liegen lediglich die Bebauung am Bu.Weg und zwei weitere Anwesen. Da die Eisenbahn hier überdies seit alters verkehrt, ist der Ort ungeachtet seiner ländlichen Struktur insoweit auch von seinem Erscheinungsbild vorgeprägt. Diese Prägung verstärkt sich zwar durch die aktiven Lärmschutzmaßnahmen und die Elektrifizierung. Der Charakter des Ortes ändert sich dadurch jedoch nicht, zumal es möglich ist, eine 2 m hohe Lärmschutzwand durch gestaltende Maßnahmen in die Umgebung einzubinden. Daß die mit dem heutigen Bahnverkehr üblicherweise verbundenen Oberleitungen maßgeblichen Einfluß auf die Gemeindeentwicklung haben können, kann ernstlich nicht angenommen werden.
4. Schließlich würde auch die - aus rechtlichen Gründen nicht mögliche - Berücksichtigung des verspäteten Vortrages der Antragstellerin zu keinem anderen Ergebnis führen. Aus ihrem Schriftsatz vom 20. Februar 1995 und ihrem Vorbringen im Orts- und Erörterungstermin läßt sich entnehmen, daß sie neben den Beschränkungen, denen die Bebaubarkeit ihres gesamten Gemeindegebiets künftig unterliegt, auch einen Eingriff in konkrete Planungen im Bereich des Bebauungsplans Nr. 2 und des Entwurfs des Bebauungsplans Nr. 3 beanstandet. Da diese Baugebiete in unmittelbarer Nachbarschaft zur Bahntrasse liegen und daher in ihrer Nutzbarkeit bereits durch die vorhandenen Bahnanlagen deutlich beeinträchtigt sind, war und ist es zunächst Aufgabe der Antragstellerin, ihre Planung auf diese vorgegebene Situation abzustimmen. Für die Antragsgegnerin ergaben sich im Planfeststellungsverfahren im Hinblick auf diese Baugebiete solange keine neuen Fragestellungen, wie die Antragstellerin nicht konkret geltend machte, daß und warum gerade der Ausbau des Verkehrsweges, also die Änderung der vorgegebenen Situation, ihre Planungen obsolet zu machen drohte (vgl. Urteil des Senats vom 30. August 1993, a.a.O.). Schon deshalb scheidet ein zur Fehlerhaftigkeit des Planfeststellungsbeschlusses führender Abwägungsmangel und damit ein rechtswidriger Eingriff in die Planungshoheit der Antragstellerin aus.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 20 Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Gericht | BVerwG |
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Datum | 31.03.1995 |
Normen | Art. 28 GG, § 80a VwGO, § 80 VwGO, § 5 VerkPBG, § 5 VerkPBG, § 20 AEG |
Stichworte | Planfeststellungsrecht, Selbstgestaltungsrecht der Gemeinden; Ausschluß des Suspensiveffektes 6-Wochen-Frist des § 5 Abs. 3 VerkPBG |