BVerwG, vom 31.03.1995
Az.: 7 VR 15.94
Download des PDF-DokumentesAus den Gründen:
Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage nach § 80 a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO; denn das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses, das Grundlage des in § 5 Abs. 2 Satz 1 des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes - VerkPBG - geregelten Ausschlusses des Suspensiveffekts der Anfechtungsklage ist, überwiegt ihr Interesse an der Beibehaltung des bisherigen Zustandes schon deswegen, weil ihre Klage keine Aussicht auf Erfolg hat.
Die Antragstellerin hat es bereits versäumt, einen Teil der von ihr mit der Klage geltend gemachten Einwände im Planfeststellungsverfahren hinreichend deutlich zu benennen (1). Auch im gerichtlichen Verfahren ist es ihr innerhalb der Frist des § 5 Abs. 3 Satz 1 VerkPBG weitgehend nicht gelungen, konkret herauszuarbeiten, worin die Verletzung ihres Selbstverwaltungsrechts liegt (2). Soweit der Prozeßstoff danach einer sachlichen Prüfung zugänglich bleibt, ist kein rechtswidriger Eingriff in ihre Rechte feststellbar (3). Aber auch unabhängig davon sind Planungsfehler der Antragsgegnerin nicht erkennbar (4).
1. Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes - AEG - sind Einwendungen gegen den Plan, die nach Ablauf der Einwendungsfrist erhoben werden, ausgeschlossen. Dieser Einwendungsausschluß erstreckt sich, wie der Senat für die gleichlautende Vorschrift des durch das Eisenbahnneuordnungsrecht außer Kraft gesetzten Bundesbahngesetzes entschieden hat, auch auf das gerichtliche Verfahren (Beschluß vom 12. November 1992 - BVerwG 7 ER 300.92 - Buchholz 442.08 § 36 BBahnG Nr. 22). Innerhalb der Einwendungsfrist hat die Antragstellerin im Hinblick auf die von ihr mit der Klage gerügte Verletzung ihres Selbstverwaltungsrechts aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG wenig Greifbares vorgetragen. Sie hat sich darauf berufen, daß die städtebauliche Entwicklung des Ortes gefährdet werde und die für eine Bebauung am besten geeigneten Flächen von jeder Entwicklung ausgegrenzt würden. Durch dieses pauschale Vorbringen hat sich die Antragstellerin ihre auf die Beeinträchtigung der Planungshoheit zielenden Einwände im anschließenden Gerichtsverfahren nur beschränkt erhalten können; denn dazu ist ein Mindestmaß an Substantiierung des als verletzt betrachteten Rechtsguts im Verwaltungsverfahren erforderlich (Urteil des Senats vom 17. Juli 1980 - BVerwG 7 C 101.78 - BVerwGE 60, 297 ; Steinberg, Fachplanungsrecht, § 3 Rn. 84 rn.w.N.). Notwendig ist daher die Bezeichnung des gefährdeten Selbstverwaltungsvorhabens, hier der konkret gestörten Planung; denn nur ein in dieser Weise substantiierter Vortrag vermag eine entsprechende Anstoßfunktion im Planfeststellungsverfahren zu erfüllen. In diesem Sinne ausreichend ist das Vorbringen der Antragstellerin allenfalls insoweit, als es bei wohlwollender Auslegung dahin zu verstehen ist, daß durch den Bahnausbau wesentliche Teile des Gemeindegebiets einer durchsetzbaren gemeindlichen Planung entzogen würden; denn auch darin läge eine Verletzung der Planungshoheit (stRspr; zuletzt Urteil des Senats vom 27. März 1992 - BVerwG 7 C 18.91 - BVerwGE 90, 96 m.w.N.). Ähnliches Wohlwollen ist notwendig, um den Hinweis der Antragstellerin auf die Zerstörung der ländlichen Siedlungsstrukturen durch das Planvorhaben sowie des ländlich geprägten Ortskerns durch die angeordnete Lärmschutzwand als einen auf das sog. Selbstgestaltungsrecht der Gemeinde zielenden Einwand aufzufassen.
2. Eine über diese Einwände hinausgehende Verletzung subjektiver Rechte hat die Antragstellerin innerhalb der Frist des § 5 Abs. 3 Satz 1 VerkPBG auch mit ihrer Klage und ihrem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht mit der erforderlichen Substanz geltend gemacht.
§ 5 Abs. 3 Satz 1 VerkPBG verpflichtet den Kläger gegen einen unter dieses Gesetz fallenden Planfeststellungsbeschluß, innerhalb einer Frist von sechs Wochen die Tatsachen anzugeben, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühlt. Nach der Rechtsprechung des Senats beginnt diese Frist mit Klageerhebung und verpflichtet den Rechtsbehelfsführer, die ihn beschwerenden Umstände so konkret vorzutragen, daß der Lebenssachverhalt, aus dem er den mit seiner Klage verfolgten Anspruch ableitet, unverwechselbar feststeht (Urteil des Senats vom 30. August 1993 - BVerwG 7 A 14.93 - Buchholz 442.08 § 36 BBahnG Nr. 23). Die Antragstellerin hat jedoch bis zu diesem Zeitpunkt konkrete Planungsvorhaben, die sie durch den Bahnausbau gefährdet sieht, nicht benannt mit Ausnahme einer Abrundungssatzung nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nummer 3 BauGB, für die ihr im Jahre 1992 die Genehmigung unter Hinweis auf die vorhandenen Hauptstrecken der Bahn versagt worden sei. Welchen Teil der Gemeinde diese Satzung betraf, ergab sich aus ihrem Vortrag allerdings nicht. Lediglich anhand des beigefügten Bescheides des Innenministers ließ sich vermuten, daß es sich um den Bereich am B.- Weg handeln mußte, weil darin von der Bebauung z w i s c h e n zwei Hauptstrecken der Bahn die Rede ist. Da die Antragstellerin jedoch selbst geltend gemacht hat, daß die Ablehnung mit dem vorhandenen Streckenbestand begründet worden sei, ließ auch dieser Vortrag einen rechtlichen Bezug zu dem von ihr bekämpften Streckenausbau nicht erkennen.
Hinreichend konkret geltend gemacht hat die Antragstellerin innerhalb der Sechswochenfrist, daß eine flächenmäßige Ausdehnung des Ortsteils nach Westen ausscheide und geeignete Bauflächen lediglich im Bereich östlich der Bahntrasse zu finden seien. Damit hat sie auch mit der Klage sinngemäß gerügt, daß weite Teile ihres Gemeindegebiets einer durchsetzbaren Planung entzogen würden. Dasselbe gilt für das von ihr in Anspruch genommene Selbstgestaltungsrecht. Dies hat sie zwar erstmals mit Schriftsatz vom 10. Januar 1995 namentlich benannt; den Sachverhalt, auf den sie sich dafür bezieht - Ortsprägung der Maßnahme -, hatte sie aber bereits mit Klageerhebung umschrieben.
3. Soweit der Prozeßstoff demnach einer sachlichen Prüfung zugänglich ist, ist eine Verletzung von Rechten der Antragstellerin nicht feststellbar.
a) Es trifft aus verschiedenen Gründen nicht zu, daß durch die Planung der Beigeladenen wesentliche Teile des Gemeindegebiets einer durchsetzbaren Planung gänzlich entzogen würden. Die Antragstellerin beschränkt ihren darauf zielenden Vortrag auf die eigentliche Ortslage von H. . Es ist daher fraglich, ob bereits die Ausblendung der anderen Ortsteile (Bahnhof H. , B. , L. ) ihre Rüge unschlüssig macht. Aber selbst wenn man lediglich das Gebiet der eigentlichen Ortschaft H. in die Betrachtung einbezieht, liegt kein Eingriff in der von der Antragstellerin gerügten Großflächigkeit und Intensität und damit auch keine nachhaltige Beeinträchtigung der Planungshoheit vor. Die Ortsbesichtigung hat zwar ergeben, daß der Bereich westlich der Ortslage in der Tat für eine Bebauung nicht in Betracht kommt. Flächen für eine wohnliche Nutzung stehen jedoch - wenn auch beschränkt auf ca. 20 Einheiten - nach Süden zur Verfügung. Hinzu kommt das bereits weitgehend ausgenutzte Plangebiet des Bebauungsplans Nr. 2 und das Gelände am Ortsausgang Richtung L. , bei dessen Beplanung derzeit die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange läuft. Schließlich werden - wie die Augenscheinseinnahme ergeben hat - auch am B.- Weg ungeachtet der Tatsache, daß die Abrundungssatzung nicht erlassen werden konnte, weiterhin Wohnhäuser genehmigt und errichtet, wobei ein Neubauvorhaben in unmittelbarer Nachbarschaft zum Bahnübergang entsteht. Von einer weitreichenden Beschneidung der städtebaulichen Entwicklung kann schon deshalb keine Rede sein. Hinzu kommt - und das vernachlässigt die Antagstellerin vollständig -, daß die Bahn seit nahezu 150 Jahren auf dieser Strecke verkehrt und schon deswegen entsprechende Beschränkungen der Bauleitplanung vorgegeben sind. Zwar werden die nachteiligen Wirkungen des Eisenbahnverkehrs auf die angrenzenden Flächen durch den Streckenausbau vermehrt. Die Beschränkungen, denen die Antragstellerin im Hinblick auf die Bebaubarkeit ihres Gemeindegebiets unterliegt, werden dadurch jedoch aus rechtlicher Sicht nicht wesentlich erhöht. Daß die Antragstellerin bisher bei ihren Planungen den bereits vorhandenen Bahnanlagen möglicherweise nicht die gebotene Aufmerksamkeit geschenkt hat, muß bei dieser Betrachtung unberücksichtigt bleiben.
Es fehlt insoweit aber nicht nur an dem für einen Erfolg der Klage erforderlichen Eingriff in die Planungshoheit. Daneben ist auch nicht erkennbar, daß die allgemeinen Anforderungen, die an die Antragstellerin bei der Beplanung ihres Gemeindegebiets im Hinblick auf das Vorhaben der Beigeladenen gestellt werden, rechtswidrig wären. Dies könnte nur angenommen werden, wenn die von der Antragsgegnerin bestätigte Trassenwahl der Beigeladenen fehlerhaft wäre. Auch dafür ist nichts erkennbar. Angesichts der einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle entzogenen planerischen Gestaltungsfreiheit der Antragsgegnerin liegt ein Rechtsfehler nicht schon darin, daß sie sich abweichend von den Vorstellungen der Antragstellerin für die von der Beigeladenen vorgesehene Trassenalternative entschieden hat. Rechtswidrig wäre diese Entscheidung nur, lägen ihr das Planungsermessen sprengende Abwägungsfehler zugrunde. Auf solche Mängel deuten weder der Vortrag der Antragstellerin noch die Begründung der angegriffenen Entscheidung hin. Die Antragsgegnerin hat im Planfeststellungsbeschluß nachvollziehbar dargelegt, warum sie sich so und nicht anders entschieden hat. Eine Nichtberücksichtigung oder Fehlgewichtung von Belangen kann diesen Ausführungen nicht entnommen werden. Auch hier blendet die Antragstellerin bei ihrer Kritik die Vorprägung aus, die das Gemeindegebiet durch die bereits vorhandene Anlage erfährt. Soweit sie die für die Umfahrung ermittelten Kosten anzweifelt und damit die Ordnungsmäßigkeit des der Abwägung zugrundeliegenden Tatsachenmaterials in Frage stellt, hat ihr Vortrag keine hinreichende Substanz, um die sachverständig untermauerten Feststellungen der sog. Gleisstudie zu erschüttern. Insbesondere ist ihr in diesem Zusammenhang erhobener Einwand gegen die veranschlagten Lärmschutzkosten nicht berechtigt. Es ist angesichts der Ausführungen der Gutachter ohne weiteres nachvollziehbar, daß westlich der Umfahrungsstrecke aktiver Lärmschutz angeordnet werden müßte, weil dargelegt wird, daß auch bei der gewünschten Verlegung der Strecke im gesamten Bereich der Ortslage ein nächtlicher Beurteilungspegel von 49 dB(A) oder höher zu erwarten wäre. Notwendig wäre also nicht nur der Schutz der Anwohner am B.- Weg, für die die festgestellte Planung keinen aktiven Lärmschutz vorsieht.
b) Der auf ihr sog. Selbstgestaltungsrecht zielende Einwand der Antragstellerin ist ebensowenig begründet. Dabei mag hier dahingestellt bleiben, unter welchen Voraussetzungen im einzelnen eine Gemeinde berechtigt ist, eine Beeinträchtigung solcher örtlichen Belange als einer Verletzung ihres Rechts aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG zu rügen (vgl. dazu Steinberg, a.a.O., § 7 Rn. 79 m.w.N.). Das vom Senat grundsätzlich anerkannte Selbstgestaltungsrecht (Urteil vom 18. März 1987 - BVerwG 7 C 31.85 - BVerwGE 77, 134 ) kann jedenfalls nur durch Maßnahmen betroffen sein, die das Ortsbild entscheidend prägen und damit nachhaltig auf das Gemeindegebiet und die Entwicklung der Gemeinde einwirken. Solche Wirkungen des Vorhabens der Beigeladenen sind angesichts der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten ausgeschlossen. Entgegen den Behauptungen der Antragstellerin verläuft die Bahnlinie nicht durch den Ortskern, sondern am ostwärtigen Ortsrand. Östlich von ihr liegen lediglich die Bebauung am B.- Weg und zwei weitere Anwesen. Da die Eisenbahn hier überdies seit alters verkehrt, ist der Ort ungeachtet seiner ländlichen Struktur insoweit auch von seinem Erscheinungsbild vorgeprägt. Diese Prägung verstärkt sich zwar durch die aktiven Lärmschutzmaßnahmen und die Elektrifizierung. Der Charakter des Ortes ändert sich dadurch jedoch nicht, zumal es möglich ist, eine 2 m hohe Lärmschutzwand durch gestaltende Maßnahmen in die Umgebung einzubinden. Daß die mit dem heutigen Bahnverkehr üblicherweise verbundenen Oberleitungen maßgeblichen Einfluß auf die Gemeindeentwicklung haben können, kann ernstlich nicht angenommen werden.
4. Schließlich würde auch die - aus rechtlichen Gründen nicht mögliche - Berücksichtigung des verspäteten Vortrages der Antragstellerin zu keinem anderen Ergebnis führen. Aus ihrem Schriftsatz vom 20. Februar 1995 und ihrem Vorbringen im Orts- und Erörterungstermin läßt sich entnehmen, daß sie neben den Beschränkungen, denen die Bebaubarkeit ihres gesamten Gemeindegebiets künftig unterliegt, auch einen Eingriff in konkrete Planungen im Bereich des Bebauungsplans Nr. 2 und des Entwurfs des Bebauungsplans Nr. 3 beanstandet. Da diese Baugebiete in unmittelbarer Nachbarschaft zur Bahntrasse liegen und daher in ihrer Nutzbarkeit bereits durch die vorhandenen Bahnanlagen deutlich beeinträchtigt sind, war und ist es zunächst Aufgabe der Antragstellerin, ihre Planung auf diese vorgegebene Situation abzustimmen. Für die Antragsgegnerin ergaben sich im Planfeststellungsverfahren im Hinblick auf diese Baugebiete solange keine neuen Fragestellungen, wie die Antragstellerin nicht konkret geltend machte, daß und warum gerade der Ausbau des Verkehrsweges, also die Änderung der vorgegebenen Situation, ihre Planungen obsolet zu machen drohte (vgl. Urteil des Senats vom 30. August 1993, a.a.O.). Schon deshalb scheidet ein zur Fehlerhaftigkeit des Planfeststellungsbeschlusses führender Abwägungsmangel und damit ein rechtswidriger Eingriff in die Planungshoheit der Antragstellerin aus.
Gericht | BVerwG |
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Datum | 31.03.1995 |
Normen | Art. 28 GG, § 80 VwGO, § 80a VwGO, § 5 VerkPBG, § 20 AEG |
Stichworte | Öffentliche Belange, öffentliches Interesse, Selbstverwaltungsrecht, Suspensiveffekt |