BVerwG, Stellungnahme des Oberbundesanwaltes vom 26.10.1994
Az.: 4 R 2.93
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Beglaubigte Ablichtung
In den Verwaltungsstreitsachen…- BVerwG 7 A.92 -…..- BVerwG 7 A 8.92 -…. - BVerwG 8 A 9.92 -.…- BVerwG 7 A 5.93 -….- BVerwG 7 A 6.93 -….- BVerwG 7 A 7.93 -…. – BVerwG 7 A 9.93 -…..beteilige ich mich nunmehr an den Verfahren.
Meine Ausführungen beschränke ich auf folgende Anmerkungen zur Zulässigkeit des sog. Schienenbonus (1) und zum Verhältnis der aktiven zu den passiven Lärmschutzmaßnahmen (2).
1. Die Regelung des § 3 der Verkehrslärmschutzverordnung - 16. BlmSchV - vom 12. Juni 1990 (BGBl. I S. 1036), nach der gem. Anlage 2 zu dieser Verordnung bei der Berechnung des Beurteilungspegels an Schienenwegen (mit Ausnahme von Rangierbahnhöfen u.ä. Anlagen) ein Abschlag in Höhe von 5 dB(A) zu machen ist, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Es ist allgemein anerkannt, daß auf Grund von verschiedenen Faktoren Schienenverkehrslärm als weniger lästig empfunden wird als Straßenverkehrslärm (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 3. Juli 1991 - BVerwG 4 C 13.88 -, S. 3 des Beschlußabdrucks). Insbesondere ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, daß der Schienenbonus in der Anlage 2 zu § 3 der Verkehrslärmschutzverordnung rechtsverbindlich festgelegt ist (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 27. Dezember 1993 - 7 B 121.93 -, S. 3 des Beschlußabdrucks), wobei dem Verordnungsgeber regelmäßig ein größerer Spielraum bei der Festlegung konkreter Grenzwerte (bzw. deren Berechnung) zusteht als dem für eine Entscheidung zuständigen Gericht. Der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat in seiner Äußerung vom 29. Juni 1987 - BVerwG 4 ER 500.86 - gegenüber dem Bundesverfassungsgericht im Verfahren 1 BvR 1301/84 (vgl. insoweit auch BVerfGE 79, 174 < 185 f. >) folgendes ausgeführt: "Die Verordnungsermächtigung kann immerhin dahin verstanden werden, daß dem Verordnungsgeber - bei genereller Beachtung des durch §§ 1, 3, 41 BImSchG vorgegebenen Niveaus - ein gewisser Handlungsspielraum bei der politischen Bewertung des Verhältnisses von zumutbarem Verkehrslärm und finanzieller Machbarkeit zustehen soll" (zitiert aus der amtlichen Begründung der Bundesregierung [BR-Drs. 661/89], abgedruckt bei Feldhaus: Bundesimmissionsschutzrecht, 53. Erg.-Lief., Stand: Februar 1994, Band 3, 2.16, S. 10). Bei Beachtung der generellen Vorgaben der §§ 41 ff. BImSchG kommt dem Verordnungsgeber insoweit ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu, zumal durch die Regelungen in der Verkehrslärmschutzverordnung unmittelbare und schwere Grundrechtseingriffe nicht veranlaßt wurden (vgl. Schulze-Fielitz, Rechtsfragen der. Verkehrslärmschutzverordnung [16. BImSchV]; in UPR 1994, 1 < 7 >). Bei der Festlegung des Schienenbonus in Höhe eines Abschlags von 5 dB(A) hat der Verordnungsgeber die durch §§ 41 ff. BImSchG vorgegebene Grenze seiner Verordnungsermächtigung nicht verlassen. § 43 Abs. 1 Satz 2 BlmSchG schreibt vor, daß im Rahmen der nach Satz 1 erlassenen Rechtsverordnungen den Besonderheiten des Schienenverkehrs Rechnung zu tragen ist. Schon bei der Verabschiedung des BundesImmissionsschutzgesetzes war bekannt, daß Schienenverkehrslärm anders auf Menschen einwirkt als Straßenverkehrslärm (vgl. die Nachweise bei Hauck: Lästigkeitsunterschied zwischen den Geräuschen des Straßenverkehrs und des Schienenverkehrs; in Zeitschrift für Lärmbekämpfung 1991, 162 < 163 >). Bereits damals verfügte man über umfangreiches Wissen bezüglich der Faktoren, die die Lärmwirkung bestimmen. Dabei gibt es eine Reihe unterschiedlicher, überwiegend psychologischer Einflüsse, auf Grund derer der Schienenverkehrslärm als weit weniger lästig empfunden wird als Straßenverkehrslärm: Geräuschpausen, regelmäßige Lärmeinflüsse, gleichbleibende Lautstärke - auch der Spitzenpegel - (vgl. hierzu Hauck a.a.O.). Zwar bedeutet dies nicht automatisch, daß zwingend ein Schienenbonus vorgeschrieben werden müßte. Im Rahmen der pflichtgemäßen Prüfung hat der Verordnungsgeber aber die ausdrückliche Ermächtigung, diese Besonderheiten in dem Berechnungsverfahren für die von Schienenverkehrswegen ausgehenden Lärmemissionen zu berücksichtigen.
Der Verordnungsgeber hat sich von langfristigen Untersuchungen leiten lassen, die ergeben haben, daß Schienenverkehrslärm sowohl am Tage als auch insbesondere während der Nachtzeit gegenüber Straßenverkehrslärm als weniger belastend empfunden wird. Sowohl durch die sog. Stuttgarter Studie (E. Holzmann: Ermittlung der Belästigung durch Verkehrslärm in Abhängigkeit von Verkehrsmittel und Verkehrsdichte in einem Ballungsgebiet [Straßen- und Eisenbahnverkehr]; Bericht 13 der Forschungsarbeiten des Verkehrswissenschaftlichen Instituts an der Universität Stuttgart, 1978) als auch in einer umfangreichen interdisziplinären Feldstudie (Planungsbüro Obermeyer [Hrsg.]: Interdisziplinäre Feldstudie II über die Besonderheiten des Schienenverkehrslärms gegenüber dem Straßenverkehrslärm [erweiterte Untersuchung] Bd. I, II; München 1983) und durch die ergänzend hierzu erstellte sog. Fensterstudie (Planungsbüro Obermeyer: Die unterschiedliche Lästigkeit von Schienen- und Straßenverkehrslärm innerhalb und außerhalb von Wohngebieten ["Fensterstudie"], München 1985; Kommunikationsstörungen durch Schienenverkehrslärm [ergänzende Auswertungen zur "Fensterstudie"], München 1986) wurde ermittelt, daß ein Schienenbonus existiert (vgl. Möhler: Gutachterliche Stellungnahme zu Windelberg "Typische Frequenzverteilung - Analyse einer problematischen Definition - vom 4. Mai 1993" u.a., München, Oktober 1993, S. 3 [als Anlage beigefügt]). Wissenschaftliche Untersuchungen darüber, warum dies der Fall ist, gibt es - soweit erkennbar - bisher nicht. Allerdings sind dies wohl in erster Linie die o.g. psychologischen Faktoren, denn die im täglichen Leben auftretenden Geräusche unterscheiden sich in ihrer Wirkung auf den Menschen wegen der unterschiedlichen Quellen teilweise ganz erheblich (vgl. Heimerl: Beurteilung des Schienenverkehrslärms unter Berücksichtigung seiner Besonderheiten; in Eisenbahntechnische Rundschau 1992, 485 < 490 >). Die Geräusche sind nämlich gekennzeichnet durch ihren Schalldruck, durch die Frequenzzusammensetzung, durch die Häufigkeit und Dauer ihres Auftretens, durch die zeitliche Verteilung sowie durch ihren Informationsgehalt (Heimerl a.a.O.). Relativ leise auf den Menschen einwirkende Geräusche durch ein Radio in der Nachbarwohnung werden z. B. regelmäßig als erheblich lästiger empfunden als relativ lauter Regen (vgl. Hauck a.a.O., S. 163).
Im übrigen wurde sowohl der Anteil der Güterzüge (und die daraus resultierende unterschiedliche Lärmbelästigung, die außerdem in der Schall 03 ihren Niederschlag findet) als auch eine relativ hohe Zugfrequenz in den dargelegten grundlegenden Studien angemessen berücksichtigt (Möhler a.a.O.).
Als Ergebnis kann deshalb festgehalten werden, daß bei Zugrundelegung eines Mittelungspegels im Pegelbereich von 50 dB(A) bis 70 dB(A) der Schienenbonus tagsüber mit mindestens 5 dB(A) und nachts sogar mit 10 dB(A) angesetzt werden kann (vgl. Hauck a.a.O. S. 164 ff.; Heimerl a.a.O. S. 187 ff.). Dabei ist die Zugrundelegung des Mittelungspegels aus unterschiedlichen Gründen sachgerecht (vgl. Möhler: Spitzenpegel beim Schienenverkehrslärm; in Zeitschrift für Lärmbekämpfung 1990, 35 < 39 f. >), zumal hierüber auch internationales Einvernehmen erzielt worden ist (vgl. Heimerl a.a.O. S. 490).
Als Folge dessen finden diese Besonderheiten bei der Berechnung des Beurteilungspegels bei Schienenwegen im Korrektursummand S als "Korrektur um minus 5 dB(A) zur Berücksichtigung der geringeren Störwirkungen des Schienenverkehrslärms" (Anlage 2 zu § 3 der Verkehrslärmschutzverordnung) ihren Niederschlag.
Die Regelung des sog. Schienenbonus erweist sich nach alledem als sachgerecht und begegnet deshalb keinen rechtlichen Bedenken; der Umstand, daß der Schienenbonus generell nur auf 5 dB(A) festgelegt wurde, gibt im wesentlichen vielmehr eine politische Entscheidung des Verordnungsgebers wieder.
2. Gemäß § 41 Abs. 1 BImSchG ist bei der Planfeststellung für eine wesentliche Änderung einer Eisenbahn grundsätzlich durch Maßnahmen des aktiven Lärmschutzes sicherzustellen, daß keine nach dem Stand der Technik vermeidbaren Verkehrsgeräusche hervorgerufen werden, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet wären, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Nachbarschaft herbeizuführen. Zu diesem Zweck ist sicherzustellen, daß die in § 2 der Verkehrslärmschutzverordnung festgelegten Immissionsgrenzwerte nicht überschritten werden. Die in § 2 der Verkehrslärmschutzverordnung festgelegten Immissionsgrenzwerte regeln allerdings nur die zum Schutz der Nachbarschaft gebotenen aktiven Lärmschutzmaßnahmen. Gemäß § 41 Abs. 1 BImSchG i.V.m. § 3 BImSchG können unter besonderen Umständen des Einzelfalls weitergehende Lärmschutzmaßnahmen erforderlich sein, um durch Verkehrsgeräusche hervorgerufene Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Tierwelt oder solche Menschen zu verhindern, die nicht zur Nachbarschaft gehören.
Ein Anspruch des betroffenen Anliegers auf Durchführung aktiver Lärmschutzmaßnahmen besteht jedoch gemäß § 41 Abs. 2 BImSchG nur, soweit die Kosten der Schutzmaßnahmen nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Schutzzweck stehen. Dabei ergibt sich beim Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche aus dem Regelungszusammenhang ein grundsätzlicher Vorrang der aktiven vor den passiven Lärmschutzmaßnahmen i.S. eines gesetzlichen Regel-Ausnahme-Verhältnisses. Insoweit besteht für den Träger des Vorhabens kein freies Wahlrecht zwischen aktiven und passiven Lärmschutzmaßnahmen. Eine dem Stand der Technik entsprechende aktive Lärmschutzmaßnahme i.S.d. § 41 Abs. 1 BImSchG darf nach § 41 Abs. 2 BImSchG nur dann - ausnahmsweise - unterbleiben, soweit die Kosten dieser Schutzmaßnahme außer Verhältnis zu dem angestrebten Schutzzweck stünden. Aus dem gesetzlichen Regel-AusnahmeVerhältnis ergibt sich, daß aktive Lärmschutzmaßnahmen nicht allein deshalb unterbleiben dürfen, weil ihre Durchführung teurer wäre als die passiver Lärmschutzmaßnahmen, welche zur Einhaltung der gleichen Innenschallpegel in benachbarten Gebäuden führten; vielmehr darf die aktive Lärmschutzmaßnahme erst bei der in § 41 Abs. 2 BImSchG genannten Unverhältnismäßigkeit von Kosten und Schutzzweck des aktiven Lärmschutzes unterbleiben. § 41 Abs. 2 BImSchG verlangt insofern eine spezifische Verhältnismäßigkeitsprüfung. Bei welcher Höhe der Beträge die Unverhältnismäßigkeit des Aufwands für aktiven Lärmschutz anzunehmen ist, bestimmt sich deshalb regelmäßig nach den Umständen des Einzelfalls und entzieht sich daher einer grundsätzlichen Klärung (BVerwG, Beschluß vom 30. August 1989 - BVerwG 4 B 97.89 - S. 4 des Beschlußabdrucks; auszugsweise abgedruckt bei Buchholz, BVerwG, 406.25, § 41 BImSchG Nr. 5).
Rechtlich irrelevant ist das Verhältnis der Kosten der aktiven Lärmschutzmaßnahme zu den Gesamtkosten des geplanten Streckenabschnitts (vgl. Landmann/Rohmer/Hansmann, Umweltrecht, Rn. 44 zu § 41 BImSchG). Denn die Pflicht zur Vornahme von verschiedenen Lärmschutzmaßnahmen mit gleicher Schutzwirkung kann nicht davon abhängen, ob sie in einem kürzeren oder in einem längeren Streckenabschnitt gelegen sind. Art und Umfang des an der Gesamtstrecke vorzunehmenden Lärmschutzes dürfen nicht von der Zerlegung in große oder kleine Teilabschnitte und damit der Zahl der beantragten Planfeststellungsbeschlüsse beeinflußt werden.
Der angestrebte Schutzzweck der Maßnahme des aktiven Lärmschutzes ergibt sich aus der in § 41 Abs. 1 BImSchG enthaltenen gesetzlichen Zielbestimmung. Anzustreben ist eine Verhinderung schädlicher Umwelteinwirkungen. Zum Schutz der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche sind deshalb grundsätzlich alle aktiven Lärmschutzmaßnahmen geboten, die zur Einhaltung der in § 2 der Verkehrslärmschutzverordnung festgelegten Immissionsgrenzwerte erforderlich sind.
Dabei gilt im übrigen, daß selbst dann, wenn die Kosten der zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche erforderlichen und dem Stand der Technik entsprechenden aktiven Lärmschutzmaßnahmen außer Verhältnis zu ihrem Nutzen steht, nicht völlig auf den aktiven Lärmschutz verzichtet werden darf, sondern gemäß § 41Abs. 2 BImSchG nur, "soweit" die Kosten unverhältnismäßig wären. Es ist demgemäß zu prüfen, ob weniger wirksame Maßnahmen möglich sind, deren Kosten im Vergleich zum Schutzziel der Lärmminderung noch verhältnismäßig wären. Bei einer Abwägung der widerstreitenden Belange kann sich im Einzelfall ergeben, daß eine Kombination aktiver und passiver Lärmschutzmaßnahmen im Hinblick auf das gesetzliche Schutzziel geboten, aber auch ausreichend ist.
Bei der insoweit erforderlichen Abwägung ist deshalb die Anzahl der zu schützenden Anwohner und Gebäude (Nachbarschaft) ebenso zu berücksichtigen wie sonstige zu schützende Personen. Auch Ausmaß, Art, Dauer und zeitliche Verteilung der nach Durchführung der aktiven Lärmschutzmaßnahmen noch zu erwartenden Lärmimmissionen spielen ebenso eine Rolle wie Ausmaß, Art, Dauer und zeitliche Verteilung der Lärmimmissionen, welche zu erwarten wären, wenn zwar keine aktiven Lärmschutzmaßnahmen, wohl aber ein dann gebotener passiver Lärmschutz an betroffenen Gebäuden durchgeführt würde.
Dabei ist im Rahmen der spezifischen Verhältnismäßigkeitsprüfung auch zu berücksichtigen, daß durch aktive Lärmschutzmaßnahmen grundsätzlich eine allgemeine Minderung des Lärmniveaus bewirkt wird. Zwar sind die durch § 41 Abs. 2 BImSchG beschränkten Anforderungen des § 41 Abs. 1 BImSchG durch die Verkehrslärmschutzverordnung konkretisiert worden. Die Vorgaben der Verkehrslärmschutzverordnung sind allerdings nicht - wie oben dargelegt - abschließend (vgl. auch Jarass, Bundesimmissionsschutzgesetz, Rn. 25 zu § 41). Insbesondere dann, wenn durch relativ kostengünstige Maßnahmen ein aktiver Lärmschutz erreicht werden kann, sind diese regelmäßig vorzuziehen.
Nicht unberücksichtigt bleiben kann allerdings bei der im Rahmen des § 41 Abs. 2 BImSchG vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung der Grad der Vorbelastung. Obwohl durch die Verkehrslärmschutzverordnung eine Konkretisierung der Immissionsgrenzwerte vorgenommen wurde und insoweit die Höhe der noch zumutbaren Immissionsgrenzwerte nicht von einer Vorbelastung abhängen kann, ist bei der nach § 41 Abs. 2 BImSchG durchzuführenden Verhältnismäßigkeitsprüfung das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme beim Zusammentreffen verschiedener Nutzungsarten zu beachten. Ebenso wie in einem Gebiet, welches bereits durch hohe Vorbelastungen betroffen ist, regelmäßig keine aufwendigen Maßnahmen des aktiven Lärmschutzes veranlaßt werden können, wenn die Änderung eines Schienenweges lediglich zu einer kaum spürbaren Erhöhung des Geräuschniveaus (unter 3 dB(A)) führt (vgl. Jarass a.a.O. Rn. 24 zu § 41), können Bewohner, die schon bisher Verkehrslärm ausgesetzt waren, nicht erwarten, daß ihnen der gleiche Schutz zuteil wird wie Bewohnern unbelasteter Gebiete (vgl. Landmann/Rohmer/Hansmann a.a.O. Rn. 34 zu § 41 BImSchG). Denn die Planfeststellungsbehörde hat im Rahmen der planerischen Abwägung zu entscheiden, welche Schutzvorkehrungen zu treffen sind (Hessischer Verwaltungsgerichtshof, UPR 1992, 115, < 117 >). Dabei spielt das Gebot der Rücksichtnahme eine Rolle, weil es sich im wesentlichen "als ein Versuch (darstellt), planerische Entscheidungen in ihre Umgebung einzubetten und auf diese Weise das eine dem anderen angemessen zuzuordnen" (Weyreuther, BauR 1975, 1 < 3 >). Durch das Gebot der Rücksichtnahme soll. insbesondere sichergestellt werden, daß "einander abträgliche Nutzungen nur in rücksichtsvoller Weise einander zugeordnet werden" (Schlichter in Berliner Kommentar zum BauGB, Rn. 35 zu den Vorb. zu §§ 29 ff.). Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des § 41 Abs. 2BImSchG ist das Gebot der Rücksichtnahme deshalb von Bedeutung, zumal es seine Wurzeln im verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip hat (Battis/Krautzberger/ Löhr, BauGB, Rn. 122 zu § 1). Zwar besteht grundsätzlich ein Vorrang auf Anordnung aktiver Lärmschutzmaßnahmen, die Planfeststellungsbehörde kann einen Anlieger aber auf Grund einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, zu denen auch eine entsprechende Lärmvorbelastung gehört, auf passive Lärmschutzmaßnahmen verweisen (vgl. Hessischer Verwaltungsgerichtshof a.a.O.). Selbst Anwohner, die bislang keiner Lärmvorbelastung unterlagen, können deshalb grundsätzlich auf passive Lärmschutzmaßnahmen verwiesen werden (vgl. BVerwG, Beschluß vom 30. August 1989 - BVerwG 4 B 97.89 - S. 5 des Beschlußabdrucks).
Gemessen an diesen Vorgaben stimme ich (in bezug auf die hier u.a. streitigen Planfeststellungsabschnitte 6 und 7) der Einschätzung der Beigeladenen in der "Studie über Kosten und Wirkung eines weitergehenden aktiven Lärmschutzes an der ABS 50 (Planfeststellungsabschnitte 6 und 7)" vom März 1994 zu. Unter Hinweis auf die "Schalltechnische Variantenuntersuchung" des Ingenieurbüros Bonk/Maire/Hoppmann vom 9. Februar 1994 sind die zusätzlichen Kosten der aktiven Lärmschutzmaßnahmen selbst bei der jeweils kleinsten Variante im Verhältnis zu den Kosten für passive Lärmschutzmaßnahmen wohl unverhältnismäßig hoch. Dabei ist zu berücksichtigen, daß nach Auffassung der Beigeladenen das durchschnittliche Lärmniveau teilweise lediglich geringfügig (unter 3 dB(A)) sinken würde, was unter Beachtung der hohen Vorbelastung von besonderer Bedeutung bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist. Dabei fällt im übrigen ins Gewicht, daß eine anzustrebende, rasche optische Einbindung der Lärmschutzwände in das Landschaftsbild regelmäßig dann nicht mehr möglich ist, wenn Lärmschutzwände mit einer Höhe von 4 m über Schienenoberkante errichtet werden, zumal der Schienenweg teilweise auf einem bereits relativ hohen Damm verläuft.
Andererseits habe ich Zweifel, ob von seiten der Beklagten und der Beigeladenen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ausreichend berücksichtigt worden ist, daß durch höhere Lärmschutzwände eine generelle Absenkung der Immissionswerte bewirkt wird. Denn passive Lärmschutzmaßnahmen gewähren im allgemeinen keinen völlig gleichwertigen Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen. Den Umfang dessen, was unter dem Gesichtspunkt der Wohnruhe zu schützen ist, hat das Bundesverwaltungsgericht bereits im Urteil vom 21. Mai 1976 - BVerwG 4 C 80.74 - (BVerwGE 51, 15 < 33 >) umschrieben. Zu den schützenswerten Wohnbedürfnissen gehören grundsätzlich die Möglichkeit des Wohnens und Schlafens bei (gelegentlich) geöffneten Fenstern sowie eine angemessene Nutzung der Außenwohnbereiche. Bei Berücksichtigung dieses Umstands sind die Mehrkosten pro (zusätzlich entlasteter) Wohneinheit erheblich niedriger anzusetzen als in der Vergleichsberechnung der "Schalltechnischen Variantenuntersuchung" des Ingenieurbüros Bonk/Maire/Hoppmann.
Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht seinerzeit festgestellt, daß diese Grundsätze generell lediglich in nicht nachteilig vorbelasteten Wohngebieten zur Geltung kommen (BVerwG a.a.O.). Bei Beachtung der hier zu berücksichtigenden Vorbelastung begegnet die Abwägung der Beklagten und der Beigeladenen deshalb m.E. keinen grundlegenden Bedenken.
Beispielhaft hat das Bundesverwaltungsgericht im übrigen im Beschluß vom 30. August 1989 - BVerwG 4 B 97.89 - einen Aufwand für eine Lärmschutzwand in Höhe von 316.800,- DM für sachlich nicht gerechtfertigt angesehen, wenn dem Schutzzweck durch passive Lärmschutzmaßnahmen und Entschädigung mit einem Aufwand von insgesamt 40.940,- DM Rechnung getragen werden kann, obwohl in dem dort entschiedenen Fall das fragliche Grundstück offenbar keiner Lärmvorbelastung unterlag (S. 4 f. des Beschlußabdrucks). Dabei spielte nach Auffassung des 4. Senats des Bundesverwaltungsgerichts keine Rolle, daß die Ersparnis im Verhältnis zu dem Gesamtaufwand für das Bauvorhaben nur einen geringen Teil ausmachte.
Abschließend unterstreiche ich, daß es im öffentlichen Interesse liegt, für dieses wichtige "Verkehrsprojekt Deutsche Einheit" die notwendige Planungssicherheit unverzüglich zu erreichen, wobei den Interessen des Lärmschutzes nur im Rahmen der dargelegten Verhältnismäßigkeitsprüfung Rechnung getragen werden kann.
Beglaubigte Ablichtungen in der erforderlichen Anzahl und eine weitere Anlage (ebenfalls in der erforderlichen Anzahl) sind beigefügt.
Gericht | BVerwG |
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Typ | Stellungnahme des Oberbundesanwaltes |
Datum | 26.10.1994 |
Normen | § 3 BImSchG, § 41 BImSchG, § 2 BImSchVO, § 3 BImSchVO |
Stichworte | "Schienenbonus" im Sinne der 16. BImSchVO, Berechnung des Mittelungspegels, über die 16. BImschVO hinausgehender Lärmschutz, Verhältnismäßigkeitsprüfung gem. § 41 Abs. 2 BImSchG, optische Einbindung von Lärmschutzwänden in das Landschaftsbild, Lärmschutzr |