BVerwG, vom 16.08.1995
Az.: 4 B 92.95 (4 VR 7.95)
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(BVerwG, 4. Senat; Az. 4 B 92.95 (4 VR 7.95) - BayVGH 8 A 94.40083, 40086 u. 40067)
In der Verwaltungsstreitsache _ _ _ _ hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 16. August 1995 durch den Vorsitzenden Richter Dr. G., den Richter H. und die Richterin He. beschlossen:
Die Beschwerden der Kläger zu 1, 2, 8, 18, 19, 24, 25, 28, 52, 70, 71, 76, 95, 101 und 102 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Januar 1995 werden zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der durch die Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz entstandenen Kosten im Verhältnis der für die Verfahren festgesetzten Streitwertanteile; die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 255 000 DM, für das Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO auf 127 500 DM festgesetzt.
Gründe:
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützten Beschwerden bleiben im Ergebnis ohne Erfolg.
Der Verwaltungsgerichtshof stützt seine Entscheidung im wesentlichen darauf, daß die von den Klägern favorisierte Wahltrasse 2.1 (W 2.1) an zwingenden wasserrechtlichen Gründen scheitern müsse. Die Abwägung sei zwar insoweit fehlerhaft, als für die W 2.1 keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden sei. Dieser Mangel habe sich jedoch auf das Abwägungsergebnis wegen des genannten wasserrechtlichen Hinderungsgrunds nicht auswirken können.
Die Beschwerden wenden sich gegen die wasserrechtliche Beurteilung der W 2.1 durch den Verwaltungsgerichtshof mit Grundsatz-, Divergenz- und Verfahrensrügen. Der Senat kann offenlassen, ob diese Rügen durchgreifen. Das angegriffene Urteil wäre nämlich im Ergebnis (Klageabweisung) auch dann zutreffend, wenn die Alternative W 2.1 nicht an zwingenden wasserrechtlichen Vorschriften scheitern würde. Dieser Gesichtspunkt (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO) ist bereits im Beschwerdeverfahren nach § 132 VwGO zu berücksichtigen (vgl. z.B. Beschluß vom 13. Juni 1977 - BVerwG 4 B 13.77 - BVerwGE 54, 99).
Die Abweisung der Klagen erweist sich im Ergebnis deshalb als richtig, weil der vom Verwaltungsgerichtshof markierte Abwägungsmangel nicht vorliegt. Es trifft nämlich nicht zu, daß für die Alternative W 2.1 eine förmliche Umweltverträglichkeitsprüfung hätte durchgeführt werden müssen. Vorhabenträger und Planfeststellungsbehörde sind nicht verpflichtet, jede mögliche oder von Dritten ins Spiel gebrachte Planungsalternative gleichermaßen detailliert und umfassend zu prüfen. Sie sind vielmehr befugt, Planungsalternativen, die nach einer Art Grobanalyse in einem frühen Planungsstadium nicht in Betracht kommen, für die weitere Detailprüfung auszuscheiden (vgl. Beschluß vom 26. Juni 1992 - BVerwG 4 B 1-11.92 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 89). Das ist hier geschehen. Im "Erläuterungsbericht zur Planfeststellung" vom 10. Mai 1993 hat sich die Autobahndirektion Südbayern ausführlich mit den Trassenvorstellungen des Bundes Naturschutz und des Vereins "Bürger bewahrt das L.tal" auseinandergesetzt und festgestellt, es erscheine "nicht sinnvoll und mit den Planungszielen nicht vereinbar, eine wesentlich teurere, mit den o.a. vielen Mängeln behaftete Planungsidee weiter auszuarbeiten". Sie sei "keine echte Alternative und deshalb in den Unterlagen zur Umweltverträglichkeit (Anhang 1) nicht enthalten" (vgl. dort S. 73 ff., S. 80/81; vgl. auch Planfeststellungsbeschluß S. 28).
Gleichwohl wird auch die Alternative W 2.1 (und zwar in der im Bereich Fa. zweibahnigen Variante, während im "Erläuterungsbericht" wohl von der durchgängig einbahnigen Variante ausgegangen wurde) im Planfeststellungsbeschluß (vgl. S. 59 ff.) in dem umfassenden Variantenvergleich "gleichberechtigt" mit den auch raumgeordneten Varianten W 1, W 2 und W 3 behandelt, insbesondere auch hinsichtlich der umweltrelevanten Auswirkungen. Damit wurde auch den Anforderungen des § 6 Abs. 4 Nr. 3 UVPG Rechnung getragen. Diese Bestimmung verlangt nicht - wie der Verwaltungsgerichtshof anzunehmen scheint - eine förmliche Umweltverträglichkeitsprüfung für sämtliche in Betracht kommende Varianten, sondern nur eine "Übersicht über die wichtigsten, vom Träger des Vorhabens geprüften Vorhabenalternativen und Angabe der wesentlichen Auswahlgründe unter besonderer Berücksichtigung der Umweltauswirkungen des Vorhabens". Eine solche Übersicht unter Angabe der genannten Gründe aber ist sowohl im "Erläuterungsbericht" als auch im Planfeststellungsbeschluß enthalten. Es liegt also weder ein Verstoß gegen § 6 Abs. 4 Nr. 3 UVPG vor noch ein hierauf bezogener Mangel in der Abwägung.
Selbst wenn man annähme, daß hinsichtlich der Prüfung der Umweltverträglichkeit der Alternative W 2.1 Mängel vorhanden sind, wären diese nach der Aktenlage nicht erheblich im Sinne von § 17 Abs. 6 c Satz 1 FStrG. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs wäre ein solcher Mangel nämlich schon nicht offensichtlich. Richtig ist zwar, daß das Fehlen einer förmlichen Umweltverträglichkeitsprüfung für den südlichen Teil der Alternative W 2.1 (die im nördlichen Teil - Untertunnelung Fa.s auf der Bahnlinie - mit der einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogenen Alternative W 2 identisch ist) offensichtlich ist. Es ist aber nach den obigen Ausführungen keineswegs offensichtlich, daß es sich hierbei auch um einen Mangel in der Abwägung handelt. Das wird nicht zuletzt auch dadurch deutlich, daß die Kläger das Fehlen der förmlichen Umweltverträglichkeitsprüfung für die Alternative W 2.1 im gesamten schriftlichen Vortrag nicht als Rechtsfehler angesprochen oder auch nur problematisiert haben.
Aber auch dann, wenn man das Fehlen einer förmlichen Umweltverträglichkeitsprüfung für die Alternative W 2.1 als offensichtlichen Mangel bei der Abwägung ansehen würde, wäre dieser nach der Aktenlage auf das Abwägungsergebnis nicht von Einfluß gewesen im Sinne von § 17 Abs. 6 c Satz 1 FStrG. Der Verwaltungsgerichtshof sieht einen solchen Einfluß auf das Abwägungsergebnis bereits dann als gegeben an, wenn sich im "hypothetischen Nachvollzug" nicht ausschließen lasse, daß eine auch bezüglich der Alternative W 2.1 vollständige Umweltverträglichkeitsprüfung zur Wahl dieser Alternative geführt hätte. Diese Frage sei angesichts der Geeignetheit der Variante W 2.1 und der Variabilität des Abwägungsgeflechts ohne weiteres zu verneinen, wenn die Alternative W 2.1 nicht gegen zwingendes Wasserrecht verstoßen würde. Diese Ausführungen deuten darauf hin, daß der Verwaltungsgerichtshof bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals "von Einfluß gewesen" in § 17 Abs. 6 c Satz 1 FStrG einen unzutreffenden Maßstab anlegt. Der Senat sieht keinen Anlaß, diese Bestimmung anders auszulegen als den insoweit wortgleichen § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB, der dem § 17 Abs. 6 c Satz 1 FStrG offensichtlich als Vorbild gedient hat. Nach der Rechtsprechung des Senats reicht es nicht aus, den möglichen Einfluß des Abwägungsmangels auf das Abwägungsergebnis lediglich abstrakt und hypothetisch festzustellen. Es muß vielmehr nach den Umständen des Einzelfalles die konkrete Möglichkeit eines solchen Einflusses bestehen; das kann etwa dann der Fall sein, wenn sich an Hand der Planunterlagen oder sonst erkennbarer oder naheliegender Umstände ergibt, daß sich ohne den Fehler im Abwägungsvorgang ein anderes Abwägungsergebnis abgezeichnet hätte (vgl. Beschlüsse vom 20. Januar 199 2 - BVerwG 4 B 71.90 - und vom 29. Januar 1992 – BVerwG 4 NB 22.90 - Buchholz 406.11 § 214 BauGB Nrn. 5 und 6 = NVwZ 1992, 663 und 662 = BauR 1992, 344 und 342; Urteil vom 21. August 1981 - BVerwG 4 C 57.80 - BVerwGE 64, 33 = Buchholz 406.11 § 155 b BBauG Nr. 1). Eine solche konkrete Betrachtungsweise hat der Verwaltungsgerichtshof allenfalls ansatzweise angestellt. Er hat aber nicht in Rechnung gestellt, daß die Alternative W 2.1 gerade deshalb nicht einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen wurde, weil sie bereits bei der "Grobauswahl" als ungeeignet eingestuft wurde. Diese gegen die W 2.1 sprechenden Gründe wären auch bei Durchführung einer förmlichen Umweltverträglichkeitsprüfung nicht entfallen, so daß keine Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, daß das Unterlassen dieser Prüfung die Trassenwahl beeinflußt haben könnte.
Liegt somit der vom Verwaltungsgerichtshof festgestellte Mangel im Abwägungsvorgang nicht vor bzw. ist dieser Mangel nicht erheblich im Sinne von § 17 Abs. 6 c Satz 1 FStrG, mußten die Klagen auch dann erfolglos bleiben, wenn der Alternative W 2.1 (oder W 2) keine zwingenden wasserrechtlichen Hindernisse entgegenstehen; denn der Verwaltungsgerichtshof hat festgestellt, daß die Abwägung im übrigen - also unabhängig von der fehlenden Umweltverträglichkeitsprüfung für W 2.1 - nicht zu beanstanden sei. Hiergegen ist aus revisionsgerichtlicher Sicht nichts zu erinnern. Ein Abwägungsfehler läge nämlich nur vor, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattgefunden hätte, wenn in die Abwägung nicht an Belangen eingestellt worden wäre, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden mußte, wenn die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt worden wäre oder der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen worden wäre, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot nicht verletzt, wenn sich die Planfeststellungsbehörde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendigerweise für die Zurückstellung eines anderen entscheidet. Die darin liegende Bewertung der privaten und öffentlichen Belange und ihrer Gewichtung im Verhältnis untereinander macht das Wesen der Planung als einer im Kern politischen und als solcher nur auf die Einhaltung des rechtlichen Rahmens gerichtlich überprüfbaren Entscheidung aus (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt Urteil vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 4.94 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Hiervon ausgehend ist nichts dafür ersichtlich, daß die auf einem umfassenden Trassenvergleich (vgl. Planfeststellungsbeschluß S. 58 ff.) aufbauende Entscheidung der Planfeststellungsbehörde für die Wahltrasse W 1 auf einem Abwägungsfehler beruhen könnte.
Mit der Zurückweisung der Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision sind die Anträge der Kläger nach § 80 Abs. 7 VwGO gegenstandslos geworden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf §§ 14, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. § 5 ZPO.
Die jeweiligen Einzelstreitwerte für die Kläger betragen im Beschwerdeverfahren für die Kläger zu 1 und 2: je 30 000 DM; für den Kläger zu 8: 45 000 DM; für den Kläger zu 19: 40 000 DM. Für die übrigen beschwerdeführenden Kläger: je 10 000 DM.
Für das Antragsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO betragen die Einzelstreitwerte jeweils die Hälfte der genannten Beträge.
G. - H. - He.
Gericht | BVerwG |
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Datum | 16.08.1995 |
Normen | § 17 FStrG, § 6 UVPG |
Stichworte | Planfeststellung einer Bundesfernstraße, Umweltverträglichkeitsprüfung, Planungsalternativen, Abwägung, Mängel im Abwägungsvorgang, Offensichtlichkeit von Mängeln |