BVerwG, vom 14.06.1995
Az.: 1 D 22.95
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Gründe:
I.
1. Das Bundesdisziplinargericht hat gegen den Beamten durch Urteil vom 25. Januar 1995 eine Geldbuße von 600 DM verhängt.
Es hat folgenden Sachverhalt festgestellt:
Am 3. August _ _ hatte der Beamte von 7.30 Uhr bis 16.00 Uhr Tagesdienst als Stoffbewirtschafter im Lager der _ _ . Es handelt sich dabei um eine reine Bürotätigkeit. Weil er aufgrund eskalierender familiärer Schwierigkeiten, für die er keine Lösung wußte, verzweifelt war, verließ er gegen 9.00 Uhr das Bahngelände und kaufte sich an einem in der Nähe gelegenen Kiosk eine Flasche Cognac, die er in sein Büro mitnahm und in der Zeit zwischen 9.30 Uhr und 12.00 Uhr austrank. Um 12.00 Uhr wurde er volltrunken mit einer Schürfverletzung vor der Rampe des Lagers des Betriebswerkes _ _ _ angetroffen. Da er weder ansprechbar war noch sich aufrecht halten konnte, wurde er mit dem Notarztwagen in ein Krankenhaus eingeliefert. Der Beamte konnte sich später an die Zeit ab 12.00 Uhr nicht mehr erinnern.
Eine bahnärztliche Untersuchung ergab keinerlei Anhaltspunkte für eine Alkohollabilität. Der Bahnarzt wertete den Vorfall als Ausnahmesituation bei akuter psychologischer Belastung.
Der Beamte räumt diesen Sachverhalt in vollem Umfange ein. Er sei damals in seiner Verzweiflung gewissermaßen ausgerastet. Ein solcher Vorfall werde sich nicht mehr wiederholen. Er trinke nur wenig Alkohol und mache seitdem autogenes Training. Auch sei er mit seiner Frau mehrfach bei einer Eheberatung gewesen und sein Familienleben sei jetzt geordnet.
Das Bundesdisziplinargericht hat den festgestellten Sachverhalt als vorsätzliche Verletzung der Pflichten des Beamten zu voller Hingabe an den Beruf (§ 54 Satz 1 BbG), zu achtungsund vertrauenswürdigem Verhalten (§ 54 Satz 3 BbG) sowie zur Beachtung dienstlicher Anordnungen (§ 55 Satz 2 BbG) gewürdigt und als innerdienstliches Dienstvergehen (§ 77 Abs.1 Satz 1 BbG) gewertet, das nicht leicht wiege. Unter Berücksichtigung des Umstands, daß der Beamte nicht in einem sicherheitsempfindlichen Bereich der Bahn, sondern im Bürodienst tätig sei und es sich offenbar um einen einmaligen, durch eine psychische Ausnahmesituation verursachten Vorfall gehandelt habe, hat es von einer förmlichen Disziplinarmaßnahme abgesehen und die verhängte Geldbuße für ausreichend gehalten.
2. Der Bundesdisziplinaranwalt hat gegen das Urteil des Bundesdisziplinargerichts rechtzeitig Berufung eingelegt, sie auf das Disziplinarmaß beschränkt und beantragt, gegen den Beamten eine angemessene Gehaltskürzung zu verhängen. Das Rechtsmittel wird im wesentlichen wie folgt begründet:
Das Bundesdisziplinargericht habe das disziplinare Gewicht der Verfehlung zu gering eingeschätzt, im persönlichen Bereich des Beamten liegende Tatumstände überbewertet und deshalb zu Unrecht eine Geldbuße für noch ausreichend erachtet. Der Bedeutung des absoluten Alkoholverbots für den Betriebsdienst der Bahn könne man bei einem derart gravierenden Verstoß wie im vorliegenden Fall nur gerecht werden, wenn die grundsätzliche disziplinare Bewertung schon in der Einstufung, also in der Wahl der Maßnahmeart zum Ausdruck komme. Die im übrigen positive Persönlichkeit des Beamten, seine bisherige Unbescholtenheit, seine guten dienstlichen Leistungen und sein Bemühen um die Vermeidung einer Wiederholung könnten bei der Bemessung der Laufzeit der gebotenen Gehaltskürzung angemessen berücksichtigt werden.
II.
Die Berufung des Bundesdisziplinaranwalts bleibt ohne Erfolg.
Das Rechtsmittel ist auf die Disziplinarmaßnahme beschränkt. Der Senat ist daher an den erstinstanzlich festgestellten Sachverhalt und dessen Würdigung als Dienstvergehen gebunden. Er hat nur über die hiernach angemessene Disziplinarmaßnahme zu entscheiden.
Der Schwere des festgestellten Dienstvergehens wird die vom Bundesdisziplinargericht verhängte Disziplinarmaßnahme der Geldbuße gerecht.
Zur disziplinaren Ahndung innerdienstlicher Verstöße gegen das absolute Alkoholverbot des § 27 der Allgemeinen Dienstanweisung für die Bahnbeamten (ADAB) hat der Senat Maßstäbe entwickelt, die für die Einstufung des Dienstvergehens von Bedeutung sind. Danach stellen innerdienstliche Alkoholverfehlungen bei Beamten im Betriebsdienst der Bahn grundsätzlich schwerwiegende Pflichtverletzungen DAR. Ein als Betriebsbeamter tätiger Mitarbeiter trägt in herausgehobener Funktion Verantwortung für Leben und Gesundheit der Reisenden und des Bahnpersonals sowie für die Unversehrtheit des Beförderungsgutes und des Bahnmaterials. Das ist ohne weiteres einsehbar und für jeden Betriebsbeamten der Bahn leicht verständlich. Überdies wird hierauf in dienstlichen Belehrungen immer wieder hingewiesen. Verstöße gegen das Nüchternheitsgebot im Betriebsdienst der Bahn zeigen daher einen hohen Mangel an Einsicht und Pflichtbewußtsein und sind deshalb grundsätzlich geeignet, das Dienstverhältnis zwischen dem Beamten und der Bahn zu gefährden. Deshalb ist bei Verstößen von Betriebsbeamten der Bahn gegen das Nüchternheitsgebot in aller Regel eine dem förmlichen Disziplinarverfahren vorbehaltene Disziplinarmaßnahme, also mindestens eine Gehaltskürzung, auch schon beim erstmaligen Verstoß dieser Art verwirkt (zur einschlägigen Rechtsprechung vgl. u.a. Urteil vom 9. April 1980 - BVerwG 1 D 33.79 - m.w.N., Urteil vom 24. Februar 1981 - BVerwG 1 D 30.80 -, Urteil vom 10. August 1983 - BVerwG 1 D 85.82/56.83 -, Urteil vom 25. Juli 1984 - BVerwG 1 D 69.84 - , Urteil vom 13. November 1984 - BVerwG 1 D 94.84 -, Urteil vom 10. Juli 1985 - BVerwG 1 D 164.84 -, Urteil vom 12. Dezember 1985 – BVerwG 1 D 44.85 -, Urteil vom 19. Mai 1992 - BVerwG 1 D 53.91 - ).
Diese auf Verstöße gegen das absolute Alkoholverbot von Beamten im gefahrengeneigten Betriebsdienst der Bahn bezogene ·Rechtsprechung kann nicht undifferenziert auch auf die außerhalb des Betriebsdienstes wahrgenommenen Tätigkeiten von Beamten bei der Bahn übertragen werden. Ausgangspunkt der eine förmliche Disziplinarmaßnahme rechtfertigenden Rechtsprechungsgrundsätze, an denen der Senat auch weiterhin festhält, ist die hohe Gefährdung für die Sicherheit des Schienenverkehrs, die von im Betriebsdienst tätigen alkoholisierten Bediensteten der Bahn ausgeht. Eine vergleichbare Gefährdung konnte demgegenüber von dem Beamten, der als Stoffbewirtschafter eine reine Bürotätigkeit ausübt, auch unter starker Alkoholisierung nicht ausgehen. Diese aufgrund der Funktion des Beamten gegenüber der unmittelbaren Betriebsdiensttätigkeit geringere Gefährdung durch eine Dienstverrichtung unter Alkoholeinfluß rechtfertigt auch eine Differenzierung hinsichtlich des disziplinaren Gewichts des Dienstvergehens. Zwar gilt bei der Bahn unabhängig von der ausgeübten Tätigkeit ein generelles absolutes Alkoholverbot. Dies bedeutet jedoch nicht, daß bei einem Verstoß hiergegen in jedem Fall gleichartige Disziplinarmaßnahmen verhängt werden müßten. Nur eine Einstufung des Dienstvergehens, die der jeweils funktionsabhängigen Gefahrenlage durch alkoholisierte Bedienstete der Bahn entspricht, wird der gesetzlichen Anforderung einer auf den Einzelfall abgestellten disziplinaren Reaktion gerecht (§ 3 BDO).
Der Senat hat zwar in zwei Entscheidungen vom 27. März 1984 - BVerwG 1 D 78.83 - und vom 6. August 1986 - BVerwG 1 D 47.86 -, in denen jeweils erschwerende Umstände mitzuberücksichtigen waren, hervorgehoben, daß Verstöße von Bahnbeamten gegen das absolute Alkoholverbot grundsätzlich eine dem förmlichen Disziplinarverfahren vorbehaltene Disziplinarmaßnahme zur Folge haben, obwohl in beiden Fällen die Beamten nicht im unmittelbaren Betriebsdienst tätig waren. Soweit aus diesen Entscheidungen ein einheitlicher, für alle Beamten der Bahn geltender Bemessungsgrundsatz für die disziplinare Behandlung erstmaliger Verstöße gegen das absolute Alkoholverbot entnommen werden sollte, hält der Senat aus den vorstehend genannten Erwägungen daran nicht mehr fest.
Die gegen den Beamten verhängte Geldbuße wird unter Beachtung der genannten Abwägungskriterien dem Gewicht des Dienstvergehens gerecht. Auch im Hinblick auf das positive Persönlichkeitsbild des Beamten, die inzwischen nicht mehr bestehende familiäre Belastungssituation, die für sein Fehlverhalten ursächlich war und den Umstand, daß Anzeichen für eine Alkohollabilität fehlen, sind keine Gründe für die Verhängung einer härteren Disziplinarmaßnahme erkennbar. Die verhängte Maßnahme reicht vielmehr sowohl ihrer Art als auch der Höhe nach aus, um dem Beamten das verbleibende Gewicht des Dienstvergehens deutlich zu machen und ihn vor weiteren, insbesondere einschlägigen Verfehlungen, die erheblich härtere Disziplinarmaßnahmen zur Folge hätten, ausreichend zu warnen.
Gericht | BVerwG |
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Datum | 14.06.1995 |
Normen | § 54 BbG, 55 BbG, § 77 BbG, § 27 ADAB |
Stichworte | Alkoholverbot, Gefährdung, Disziplinarmaßnahme, Rechtsordnung des Personals |